Zu spät und zu riskant? Ausschreibung für neuen Reaktorblock im Akw Dukovany läuft
Am Donnerstag hat das Energieunternehmen ČEZ gemeinsam mit Regierungsvertretern die Ausschreibung für einen neuen Block im Atomkraftwerk Dukovany gestartet. Die Bauarbeiten sollen 2024 beginnen, der Betrieb dann 2036 aufgenommen werden. Kritik gibt es unter anderem von Umweltverbänden, die die zukünftige Energiegewinnung in Tschechien lieber auf erneuerbare Ressourcen ausrichten würden. Kernkraftunterstützern hingegen geht der Reaktorneubau nicht schnell genug voran.
Mindestens zehn Jahre ist der Ausbau des Kernkraftwerks Dukovany schon ein Thema in Tschechien. Um die Ausschreibung nun tatsächlich auf den Weg zu bringen, war Premier Petr Fiala (Bürgerdemokraten) persönlich nach Südmähren gereist, gemeinsam mit seinen Ministern für Finanzen, Zbyněk Stanjura (Bürgerdemokraten), sowie für Industrie und Handel, Jozef Síkela (parteilos). In Anwesenheit der Gäste eröffneten Vertreter der halbstaatlichen Betreiberfirma ČEZ am Donnerstag den Wettbewerb um den Bau des fünften Reaktorblocks.
Mit einem geschätzten Wert von knapp 200 Milliarden Kronen (8,1 Milliarden Euro) startet damit die größte Ausschreibung in der Geschichte der Tschechischen Republik. Die Frage, ob sie nach all den Jahren nicht zu spät komme, will Dana Drábová nicht eindeutig beantworten. Die Leiterin des staatlichen Amtes für Reaktorsicherheit sagte in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks:
„Gute Frage, schwere Antwort. Die Dinge gehen halt so schnell voran, wie es möglich ist. Der Ausschreibung stand in der Vergangenheit eine Reihe von Hürden im Weg. Die größte war das Fehlen einer politischen Übereinkunft darüber, wie das Auswahlverfahren aussehen sollte – im Hinblick auf die Bewerber ebenso wie im Hinblick auf die Finanzierung des Blockneubaus.“
Im Spiel sind inzwischen noch drei Interessenten: Das Unternehmen EDF aus Frankreich, das US-amerikanische Westinghouse sowie das Staatsunternehmen KHNP aus Südkorea. Nach langer öffentlicher Debatte wurden im vergangenen Jahr die russische Agentur Rosatom sowie die chinesische CGN-Gruppe wegen Sicherheitsbedenken vom Wettbewerb ausgeschlossen. Nach dieser wichtigen Entscheidung hätten die Ausschreibungsanforderungen allerdings erneut überarbeitet werden müssen, meint Michal Šnobr. Der Analytiker der J&T Finanzgruppe und Minderheitsaktionär beim Unternehmen ČEZ hält das Auswahlverfahren für veraltet:
„Meiner Meinung nach ist dies eine falsche Entscheidung. Denn solche Wettbewerbe zum Ausbau von Atomkraftwerken, wie ihn Tschechien durchführt, finden auf europäischer Ebene schon nicht mehr statt. Hier startet aber nun eine Ausschreibung, die ursprünglich für die Auswahl der russischen Firma Rosatom vorbereitet wurde. Jetzt wird veröffentlicht, was von diesem Entwurf nach dem Ausschluss der russischen und chinesischen Bewerber übriggeblieben ist. Dadurch wird der Prozess verkompliziert, und vielleicht werden die Pläne für den Reaktorbau auf diese Weise niemals umgesetzt.“
Kritik: Erneuerbare Energien werden vernachlässigt
Ein solch bedeutsames, teures und auch riskantes Projekt werde in keinem anderen europäischen Land mehr durch einen Wettbewerb vergeben, fährt Šnobr fort. Vielmehr sei man überall schon dazu übergegangen, einen konkreten Betreiber direkt zu beauftragen:
„Dies gilt vor allem für die Länder in Mittel- und Osteuropa, wie etwa Polen oder Rumänien. Ähnlich wurde dies auch in Finnland und Ungarn gehandhabt. Dort waren allerdings russische Projektanten ausgewählt worden, und deswegen ist damit nun erst einmal Schluss. Nirgendwo gab es also eine Ausschreibung, die von einem privaten Unternehmen gesteuert ist – wie hierzulande im Falle von ČEZ. Vielmehr haben staatliche Unternehmen eine direkte Wahl getroffen. Dies ist viel einfacher und schafft Möglichkeiten, den Ausbau zu beschleunigen.“
Gegen eine schnelle Umsetzung der Baupläne wenden sich wiederum einige Umweltschutzorganisationen. Die tschechischen NGOs Calla und Hnutí Duha (Bewegung Regenbogen) etwa kritisieren, dass die Regierung keine Analyse der wirtschaftlichen und sicherheitstechnischen Vor- und Nachteile eines neuen Reaktorblockes in Dukovany hat anfertigen lassen. Dies sei aber noch im Wahlkampf von dem Bündnis aus Piraten und Bürgermeisterpartei Stan versprochen worden, das heute mit in der Regierung sitzt. In einer gemeinsamen Stellungnahme fordern Calla und Hnutí Duha zudem, die energiepolitischen Kapazitäten Tschechiens lieber auf erneuerbare Ressourcen auszurichten.
Dana Drábová verteidigt den Ausbau des Kernkraftwerks Dukovany:
„Denn es ist eine Investition für mindestens 60, wenn nicht 80 Jahre. In dieser Zeit wird Tschechien dank des neuen Blocks zehn Prozent seines Energiebedarfs verlässlich abdecken können. Sicher müssen wir gleichzeitig auch alle Kräfte für die Entwicklung der erneuerbaren Quellen aufbringen sowie für die Einsparung von Energie. Trotzdem gehört auch die Kernenergie dazu, denn alles zusammengenommen wird es ohne sie nicht reichen.“
Eine große Unbekannte ist Drábová zufolge nämlich nach wie vor die Frage, wie die Kohle ersetzt wird, die in Tschechien nur noch bis 2033 zur Energiegewinnung genutzt werden soll. Und wegen des Krieges in der Ukraine müsse auch mit dem Wegfall von russischem Erdgas gerechnet werden, so die Expertin.
In Tschechien gibt es zwei Atomkraftwerke. Die beiden Blöcke im südböhmischen Temelín haben jeweils eine Leistung von 1000 Megawatt. Dukovany verfügt über vier Blöcke mit einer jeweiligen Leistung von 510 Megawatt. Der neu geplante fünfte Block soll 1200 Megawatt produzieren. Aus den beiden Anlagen stammt derzeit etwa ein Drittel der in Tschechien produzierten Energie.
Finanzierung ist bisher unklar
Mit einer Erhöhung dieses Anteils solle eine größere energetische Unabhängigkeit Tschechiens erreicht werden, so die Begründung der Regierung für einen schnellen Akw-Ausbau. Dieses Argument hat durch den Krieg in der Ukraine und die politische Isolierung Russlands wieder an Gewicht gewonnen, denn Tschechien ist abhängig von dem dort geförderten Erdöl. Falls der neue Block tatsächlich wie geplant 2036 ans Netz geht, wird er aber nur kurzzeitig für eine höhere Produktivität in Dukovany sorgen. Wie Industrie- und Handelsminister Síkela nämlich Anfang des Monats in Erinnerung brachte, müssen die dortigen bestehenden vier Reaktoren bis 2045 abgeschaltet werden. Hier knüpft Michal Šnobr an:
„Die Regierungspolitiker betonen, dass es um die Eigenständigkeit Tschechiens geht und dadurch niedrige Energiepreise garantiert werden. Keines der beiden Argumente entspricht der Wahrheit. Die Energieunabhängigkeit Tschechiens spielt keinerlei Rolle, der Bau eines Reaktorblockes ändert überhaupt nichts an der landesweiten Energiebilanz. Zudem liefert er keinen billigen Strom, das belegen die Erfahrungen in Europa. Vielmehr besteht ein großes Risiko, dass der Strom teurer sein wird, als wir es uns jetzt vorstellen.“
Dieses Risiko könne erst ausgeräumt werden, wenn die Regierung bekannt gibt, wie sie den Akw-Ausbau überhaupt finanzieren wolle, ergänzt Šnobr. Auf diesen weißen Fleck in der Ausschreibung macht auch der tschechische Ableger von Transparency International aufmerksam. Die Organisation hat am Donnerstag in einem offenen Brief an Minister Síkela moniert, dass noch zu viele Unklarheiten zur Finanzierung bestehen würden. Die Autoren verweisen auf die letzte bekannte Summe von 162 Milliarden Kronen (6,6 Milliarden Euro), mit der die Vorgängerregierung von Andrej Babiš (Partei Ano) gerechnet habe – und dies auf sehr intransparente Weise, wie es in dem Schreiben heißt. Über die genauen Kosten und die zu erwartende Belastung des Staatshaushaltes sei aber, so Transparency International, bis heute nichts bekannt.