Zurück zu den Ursprüngen von Pilsen und der ältesten Kirche Westböhmens

Pilsen

Die westböhmische Kreisstadt Plzeň / Pilsen muss nicht weiter vorgestellt werden. Weniger bekannt ist aber, dass sich ihre Ursprünge nicht im heutigen Stadtzentrum befinden, sondern etwa zehn Kilometer südöstlich davon.

Burg Radyně | Foto: Lukáš Milota,  Tschechischer Rundfunk

Jeder, der auf der Autobahn D5 von der deutschen Grenze Richtung Prag unterwegs ist und Pilsen passiert, muss auch daran vorbei fahren: Gleich auf den ersten Blick ist der Hügel mit der mächtigen Burg Radyně zu sehen. Etwas weniger auffällig ist die Anhöhe Hůrka oberhalb der Kleinstadt Starý Plzenec / Alt-Pilsen. Der Ort wurde schon in der Urzeit besiedelt. Im frühen Mittelalter, in den Anfängen des böhmischen Staates, wurde die Burgstätte namens Pilsen als ein Macht- und Verwaltungszentrum der Přemysliden in Westböhmen errichtet. Archäologische Funde haben ergeben, dass sich vor Ort eine weitentwickelte Stadt mit mehreren Kirchen und einem Fürstenhof befand. Von dort aus wurden die Steuern eingetrieben, ein Gericht hatte hier seinen Sitz, Münzen wurden geprägt. Jan Benedikt vom örtlichen Tourismuszentrum führt uns zur Anhöhe:

„Wir befinden uns direkt im Herzen der Burgstätte Hůrka. Hier steht das einzige bis heute erhaltene Bauwerk, die Rotunde der heiligen Peter und Paulus. Die erste urkundliche Erwähnung über die Burgstätte stammt aus dem Jahr 976. Der Geschichtsschreiber Thietmar von Merseburg berichtete in seiner Chronik über eine Schlacht zwischen den Bayern und den Böhmen unter der Burg Pilsen.“

Rotunde der heiligen Peter und Paulus in Starý Plzenec | Foto: Pavel Halla,  Tschechischer Rundfunk

Niederlage von Kaiser Otto II. bei Pilsen 976

Der böhmische Fürst Boleslaw II. besiegte in dieser Schlacht den römischen Kaiser Otto II. Nahe der Stadt Pilsen – „iuxta Pilisini urbem“ – badende Soldaten seien waffenlos von Boleslaw überrascht und niedergemetzelt worden. Der Kaiser musste sich danach nach Cham zurückziehen, heißt es in der Chronik von Thietmar von Merseburg weiter, Zitat:

„Im Jahre des Herrn 976 entfloh Heinrich, Herzog der Baiern, der abgesetzt und excommuniziert war, nach Böhmen. Dort suchte ihn, wie er sich beim Herzog Bolisliw aufhielt, der Kaiser mit einem starken Heere auf, richtete aber gegen diese beiden nichts aus, sondern verlor vielmehr noch eine Schaar von Baiern, die ihm zu Hülfe kamen, und bei der Stadt Pilisini (Pilsen) ein Lager geschlagen hatten, durch folgende List eines Kriegers des Bolislaw. Eines Abends badeten sich die Baiern: sie hatten keine Wachen aufgestellt; da rückte plötzlich der Feind in voller Rüstung heran und erschlug die Entkleideten, wie sie in den Zelten ober auf dem grünen Anger ihm entgegen eilten, und kehrte dann mit der ganzen Beute erfreut und wohlbehalten heim. Der Kaiser aber zog, als er die Niederlage so vieler Männer vernommen hatte und weil ihm sein Weg zum Rückzuge offen stand, gerades Wegs nach seiner Stadt Camma.“

Der Geschichtsschreiber habe mit Pilsen nicht die heutige Stadt gemeint, betont Jan Benedikt:

Burgstätte Hůrka | Foto: Kateřina Dobrovolná,  Tschechischer Rundfunk

„Sie existierte damals noch nicht, sondern sollte erst 300 Jahre später gegründet werden. Er hatte vielmehr die Přemysliden-Burgstätte auf einer hohen Landzunge über dem Fluss Úslava im Sinn.“

Burgstätte der böhmischen Fürsten und Könige

Die Siedlung mit der Burg Pilsen lag an einer strategisch günstigen Stelle: an der Fernstraße von Böhmen in die wichtigen Zentren des Heiligen Römischen Reiches, Regensburg und Nürnberg, wo sie über den Fluss Úslava führt. Die frühe Stadt war eine wichtige Stütze und zeitweilige Residenz der böhmischen Fürsten und Könige. 988 machte dort laut Quellen Bischof Adalbert auf seiner Reise nach Rom Halt. Die Festung erlangte ihre größte Bedeutung im zwölften und in der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts.

Peter-und-Paulus-Rotunde | Foto: Kateřina Dobrovolná,  Tschechischer Rundfunk

Von der Burganlage sind heute nur die Kirchenbauten aus Stein zum Teil erhalten geblieben. Der Touristenbegleiter beschreibt die Peter-und-Paulus-Rotunde:

„Es ist eine typische romanische Rotunde. In der kleinen Apsis befindet sich ein Altar, der kirchlichen Ritualen diente. Interessant ist, was unter den Füssen zu sehen ist: Dort liegen Repliken des ursprünglichen Pflasters. Auf den Fliesen sind der römische Kaiser Nero und das mythische Mischwesen Greif dargestellt. Dass sie sich auf dem Boden befinden, ist symbolisch: Kaiser Nero wurde so von den Gläubigen betrampelt.“

Die Historiker hätten sich lange über das Alter der Rotunde gestritten, sagt Jan Benedikt:

Peter-und-Paulus-Rotunde | Foto: Pavel Halla,  Tschechischer Rundfunk

„Nach Meinung einiger Historiker stammt sie aus dem 10. Jahrhundert. Andere neigen heute eher zu der Ansicht, dass sie erst in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts errichtet wurde. Nichtdestotrotz handelt es sich zumindest um eine der ältesten Kirchenbauten in Westböhmen.“

Nachdem die Siedlung an Bedeutung verloren hatte, verfiel die Rotunde und im 15. Jahrhundert stürzte sie sogar ein. Sie wurde im nachfolgenden Jahrhundert wieder hergerichtet, zu einer umfangreichen Instandsetzung kam es aber erst im 20. Jahrhundert. Vom ursprünglich frühmittelalterlichen Gebäude sind nur das Mauerwerk der Apsis und der anschließende Ostteil des Schiffes erhalten.

Peter-und-Paulus-Rotunde

Foto: Pavel Halla,  Tschechischer Rundfunk

Neben der Rotunde gab es ursprünglich noch weitere Kirchen an diesem Ort. Benedikt verweist auf zwei von ihnen:

„Die Kirche des heiligen Laurentius stand direkt auf der Akropolis in unmittelbarer Nähe der hölzernen Burg. Dann gab es hier noch die Kirche des heiligen Kreuzes. Diese stand ganz im Osten, hinter dem Burgwall und außerhalb der Befestigung. Diese beiden Kirchen wurden leider im 19. Jahrhundert zerstört. Heute ist nur der ursprüngliche Grundriss an den jeweiligen Stellen markiert.“

Die mächtige Anlage, platziert auf einer Landzunge, war aus geographischen Gründen nicht für den Ausbau zu einer mittelalterlichen Stadt geeignet. Ende des 13. Jahrhunderts wurde sie durch eine Neugründung ersetzt, die auch ihren Namen erhielt. Am Zusammenfluss der Flüsse Mies, Radbusa, Úhlava und Úslava entstand die heutige Stadt Pilsen.

Peter-und-Paulus-Rotunde | Foto: Pavel Halla,  Tschechischer Rundfunk

„Der Niedergang der Burgstätte erfolgte im 13. Jahrhundert schrittweise. Im Jahr 1266 stellte König Přemysl Ottokar II. die hiesigen Kirchen dem Patronat des Klosters in Chotěšov zu. Damit hat der Niedergang begonnen. Vollendet wurde dieser durch Ottokars Sohn, Wenzel II: Der König hatte um 1295 zehn Kilometer südwestlich von hier eine neue Stadt namens Neu-Pilsen gegründet. Dorthin sind nach und nach die meisten Ämter und viele Einwohner von Alt-Pilsen abgewandert.“

Auf dem Gelände des ehemaligen Pilsen auf Hůrka erkennt man immer noch den mächtigen östlichen Wall, einen Teil des westlichen Burgwalls sowie kleinere Wälle, die die einzelnen Vorburgen trennten. Die Anhöhe blieb bis zum Ende des 19. Jahrhunderts kahl, so dass die Überreste der ehemaligen Burg mit der Akropolis und allen Burgwällen gut sichtbar waren. Um die Jahrhundertwende wurden allerdings der nördliche Hang mit einem Fichtenwald und die eigentliche Burgstätte mit Kirschbäumen bepflanzt. Der Wald verhüllte die Spuren des einst mächtigen Zentrums. Heute kann man die Rotunde besuchen und die Baufundamente der beiden Kirchen besichtigen. Darüber hinaus braucht es aber etwas Fantasie, um sich die Existenz, Größe und Bedeutung der ursprünglichen Burg vorstellen zu können.

Foto: Kateřina Dobrovolná,  Tschechischer Rundfunk

Die ehemalige Burganlage auf der Anhöhe Hůrka in Alt-Pilsen ist frei zugänglich. Ein Lehrpfad führt durch die Gegend. Die Rotunde ist von Mai bis September jeweils am ersten Samstag des Monats von 13 bis 16 Uhr zugänglich. Besichtigungen außerhalb dieser Öffnungszeiten für Gruppen ab sechs Personen können im Informationszentrum in Starý Plzenec (https://www.rotunda-hurka.cz) gebucht werden.

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Autoren: Markéta Kachlíková , Kateřina Dobrovolná
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