Zweite Corona-Welle: Notstand nein, Krisenstab ja

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In den vergangenen Tagen haben in Tschechien mehrere Experten unterschiedliche Prognosen zur Corona-Krise abgegeben. Demnach muss für den gesamten September insgesamt mit bis zu 70.000 Neuinfizierten gerechnet werden. Und schon wird die Ausrufung eines neuen Notstandes gefordert. Am Montag kommt aber zunächst erstmal der zentrale Krisenstab zusammen.

Roman Chlíbek  (Foto: Jan Ptáček,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)

Den bisherigen Tagesrekord bei den Corona-Neuinfizierten vermeldeten die tschechischen Labore für den vergangenen Donnerstag. Die 3130 neuen Fälle dieses Tages sind das Dreifache von dem, was sich der Epidemiologe Roman Chlíbek zum Ziel gesetzt hat. Das Mitglied des Corona-Expertenteams der tschechischen Regierung sprach am Freitag in einem Interview für das Onlineportal des Tschechischen Rundfunks davon, das Niveau der täglichen Neuinfektionen bei 1000 und die Gesamtzahl für den September bei 30.000 zu halten.

Auch wenn die Werte am Wochenende leicht zurückgingen, ist klar, dass Chlíbeks Ziel nicht eingehalten werden kann. Pessimistische Schätzungen gehen bereits jetzt davon aus, dass bis zum Jahresende drei Millionen Menschen in Tschechien von einer Corona-Infektion betroffen gewesen sein werden. Die Lage sei ernst, sagt Chlíbkek. Trotzdem könne die Lösung der zweiten Corona-Welle kein erneuter Shutdown des Landes sein:

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„Wir können nicht die Situation am Beginn der Pandemie mit der heutigen vergleichen. Als das Virus in Tschechien ausbrach, hatten wir keinerlei Daten, Erfahrungen oder Kenntnisse. Damals haben wir die rasantesten Maßnahmen ergriffen, die möglich waren. Jetzt scheint es mir logischer, schrittweise vorzugehen und stufenweise Einschränkungen einzuführen. Das ist besser, als sofort wieder alles zu schließen.“

Nach Chlíbeks Angaben finden zurzeit 20 Prozent der Ansteckungen in Schulen statt. Deswegen gelten dort seit Freitag strengere Hygienevorschriften, wie etwa die Maskenpflicht in Klassenzimmern. Nach Ansicht Roman Prymulas ist das aber noch nicht alles, was auf die Tschechen in nächster Zeit zukommt. Der Regierungsbeauftragte für medizinische Forschung, der vermutlich noch am Montag zum neuen Gesundheitsminister ernannt wird, hält eine Schließung der weiterführenden Schulen in den kommenden Tagen für möglich:

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„Das ist sicher eine Möglichkeit, denn in den Schulen kommt es zur Infektionsübertragung. Das wird uns bald erwarten. Ich denke, dass die Maßnahme innerhalb einer Woche kommt. Leider ist die epidemiologische Lage zurzeit verschärft, also müssen wir über eine Schließung der Schulen diskutieren – wenigstens in jenen Regionen, in denen es zur massiven Ausbreitung des Corona-Virus kommt, und das ist im Moment Prag.“

Flächendeckende Schulschließungen meinte der gerade zurückgetretene Gesundheitsminister Adam Vojtěch (parteilos) am Monatsanfang noch verhindern zu können. Da lag die Zahl der täglichen Corona-Neuinfektionen bei 500. Prymula wagte am Sonntag im tschechischen Privatfernsehen hingegen schon eine Prognose von 6000 bis 8000 neuen Tagesfällen in nächster Zeit.

Vladimír Černý  (Foto: ČT24)

Chlíbek bezeichnete diese Werte in seinem Interview als „gruselige Zahlen“. Aber auch etwas nüchternere Schätzungen können in den Krankenhäusern für Engpässe sorgen. Im Tschechischen Fernsehen erläuterte Vladimír Černý, der Vorsitzende der Tschechischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin:

„Sollte diese Zahl 4000 oder mehr erreichen, kommen wir dem Moment sehr nah, an dem wir die Versorgung aller anderen Patienten, die nicht Covid-19 haben, grundlegend einschränken müssen. Darum tun wir alles, damit das Notsystem greift und alle Reservekapazitäten aktiviert werden. Das ganze System wurde auf dieses mögliche Szenario vorbereitet.“

Jan Hamáček  (Foto: ČTK / Vladimír Pryček)

Roman Prymula forderte aufgrund seiner Prognose die erneute Ausrufung des Notstands. Dem widersprachen noch am Sonntag sowohl Gesundheitsminister Vojtěch als auch Innenminister Jan Hamáček (Sozialdemokraten). Unter der Leitung Hamáčeks tritt am Montag zunächst wieder der zentrale Krisenstab zusammen. Wie der Minister in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks am Montag ankündigte, soll der Krisenstab alle Prognosen durchdiskutieren:

„Wir arbeiten mit mehreren Szenarien, denn die Pandemie kann sich auf verschiedene Weise weiterentwickeln. Mittelschwere Schätzungen gehen davon aus, dass die Reproduktionszahl bei 1,6 bleibt. Damit hätten wir zum Ende des Monats 70.000 Infizierte. Die 8000 täglichen Neuansteckungen, die Herr Prymula anführt, entstammen dem schlimmsten Szenario, auf das wir auch vorbereitet sind.“

Zdeněk Hřib  (Foto: Jessica Petrů,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)

Der Prager Oberbürgermeister Zdeněk Hřib (Piraten) ließ am Sonntag sogleich verlauten, dass er angesichts der kritischen Lage in der Hauptstadt einen Vertreter in den Krisenstab entsenden wolle. Die Erweiterung des Gremiums wird laut Hamáček diskutiert. Für die erste Sitzung am Montag stehe aber zunächst die allgemeine Einschätzung der Lage an, sagte der Innenminister:

„Zuerst werden wir natürlich die aktuelle Situation bewerten, vor allem die Bettenkapazitäten in den Krankenhäusern. Wenn die Angaben, die wir zur Verfügung haben, stimmen, dann steigt mit den positiven Fällen zu gleicher Prozentzahl auch die Zahl jener Menschen an, die in Krankenhäusern behandelt werden müssen. Wir tun alles, um erstens einen Kollaps des tschechischen Gesundheitssystems zu vermeiden und zweitens eine Verbreitung des Virus in den Risikogruppen, nämlich unter Senioren zu verhindern.“