Zwischen Gleichmacherei und Elitebewusstsein: Hochbegabte in Tschechien
Projekte "alternativer" Schul- und Unterrichtsformen haben es immer noch schwer in Tschechien. Wer von der Norm der staatlichen Bildungsanstalten abweichen und etwa eine Privatschule gründen will, dem verlangen zahlreiche gesetzliche Hürden viel Energie und ein dickes Fell ab. Ohne dass ihm der Erfolg garantiert wäre. Stanislav Svoboda, Vorsitzender der Vereinigung "Skola detem" ("Schule für die Kinder") hat dies am eigenen Leib erfahren. Im Januar hat das Schulministerium das Projekt der von ihm initiierten ersten Grundschule für hochbegabte Kinder in Tschechien platzen lassen.
"Die eigentlichen Gründe für die Ablehnung unserer Schule sehe ich darin, dass das Ministerium nichts will, was vom Durchschnitt abweicht. Es will eine Einheitsschule als Maß aller Dinge. Und dabei nimmt es überhaupt keine Rücksicht darauf, was die Schüler und Eltern davon halten. Denn genauso wenig, wie wir alle in dasselbe Restaurant gehen, genauso wenig lassen wir uns sagen, dass unsere Kinder alle dieselbe Art von Ausbildung brauchen. Unsere Kinder sind unterschiedlich und brauchen unterschiedliche Lernformen."
Um den speziellen Lernbedürfnissen hoch begabter Kinder gerecht zu werden, hatte sich im August 2003 die Bürgervereinigung "Skola detem" gegründet. Ihr konkretes Ziel: eine Alternative zu den staatlichen Schulen zu schaffen, an denen hoch begabte Kinder sich unterfordert fühlen und darauf nicht selten mit Verhaltensauffälligkeiten reagieren. Die meisten Lehrer an staatlichen Schulen seien nicht in der Lage, damit umzugehen, meint Stanislav Svoboda:
"Das Schulwesen ist einfach gezeichnet vom Erbe des Kommunismus: Die Kinder sollten hauptsächlich gehorsam sein, keine Fragen stellen, nicht diskutieren und den Lehrer als Autorität akzeptieren. Mit diesem Problem war ich als Schüler vor 30 Jahren konfrontiert - und dasselbe erlebt heute mein Sohn. Als ich das feststellte, hat mich das sehr überrascht. Ich hatte gedacht, dass sich seit der politischen Wende hier doch etwas verändert hat."
Verändert haben sich die gesetzlichen Möglichkeiten. Theoretisch zumindest war die Gründung einer Schule für hoch begabte ein realisierbares Vorhaben. Dies jedenfalls suggerierte das Schulministerium der Bürgervereinigung "Skola detem". Diese mietete im 6. Prager Stadtbezirk entsprechende Räumlichkeiten an und lies - alles aus eigener Initiative und eigenen Mitteln - eine erste Klasse für Hochbegabte im Probebetrieb laufen. Für die staatliche Anerkennung der Schule stellte das Schulministerium immer neue Bedingungen, die die Schule alle erfüllte. Nach zehn Monaten Schulbetrieb schließlich ließ das Ministerium verlauten:"Die demographische Entwicklung sagt uns, dass es immer weniger Kinder gibt, die Zahl der Schulen hingegen nicht abnimmt. Und deshalb gibt es hier weder Raum noch Grund für neue Schulen, wenn noch nicht einmal die bestehenden Schulen nicht mit Schülern gefüllt sind."
Für die Bürgervereinigung "Skola detem" eine völlig inakzeptable Argumentation, mit der sie sich nicht zufrieden geben will. Gegenwärtig überlegen die beteiligten Eltern, welche rechtlichen Schritte sie am besten wählen, um gegen das Urteil des Ministeriums zu protestieren. Möglicherweise wird der Fall vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg landen.
Eva Vondrakova ist Vorsitzende der Gesellschaft für Talent und Begabung - ECHA in Prag. Ihrer Meinung nach ist die Ablehnung der Schule für Hochbegabte ein anschauliches Beispiel für das gestörte Verhältnis der Tschechen zu ihren Eliten:
"Es gibt hier eine große, sehr starke Lobby, die auf ziemlich aggressive Weise die Gleichmacherei betreibt. Diese Menschen machen sich überhaupt nicht bewusst, was der Begriff Elite überhaupt bedeutet. Sie erinnern sich an die Elite im schlechten Sinne - an diejenigen, die sich auf unlautere Weise bereichern und über die anderen erheben. Aber eine Elite im positiven Sinne kennen sie nicht."Eben jene positiven Eliten sind es, die die Bürgervereinigung "Schule für die Kinder" in ihrer Schule mit dem Namen "Weg zum Erfolg" ausbilden will. STanislav Svoboda:
"Wir brauchen eine Schicht gebildeter Menschen, die sich nicht scheut, ihre Meinung zu sagen und in Opposition zu offiziellen Meinungen zu treten. Nur solche Menschen sind in der Lage, die Tschechische Republik zu repräsentieren in der Europäischen Union und in der Welt."
Das tschechische Schulministerium vermutet dahinter jedoch elitäres Gebaren. Auf jegliche Anfragen zu individuellen Lernbedürfnissen von Kindern gibt es in monotoner Wiederholung über eine Pressesprecherin seine Losung wider: Integration der Hochbegabten in die staatlichen Schulen statt Segregation in Form von Privatschulen. Für Eva Vondrakova eine leere Phrase:
"Wenn integriert werden soll, brauchen die Lehrer eine kleinere Schülerzahl, mit der sie entsprechend arbeiten können. Wenn behinderte oder hoch begabte Schüler in der Klasse sind, braucht der Lehrer einen Assistenten zur Unterstützung, braucht entsprechende Lehrmittel und Methoden, wie man mit diesen Kindern umgeht. Nichts davon gibt es. Zu sagen, man will integrieren und einfach nur unterschiedliche Kinder in eine Klasse zu stecken, ohne ihnen besonderen Unterricht zu bieten - das ist keine wirkliche Integration. Das ist umgekehrt zum Schaden aller."
Während das Schulministerium hartnäckig auf seinem Standpunkt beharrt und die Probleme eines immer noch viel zu wenig differenzierten Schulsystems nicht wahrhaben will, hat die tschechische Öffentlichkeit im Fall des Projekts "Schule für die Kinder" klar Stellung bezogen:
"An dem feedback der Öffenlichkeit konnte man ganz eindeutig ablesen, dass sie ein vielfältiges Schulsystem begrüßen würde. Sie hat begriffen, dass es nicht nur um das Problem der hoch begabten Kinder geht. Ähnliche Probleme gibt es jede Menge, sei es bei den Aufnahmeprüfungen an den Hochschulen, bei der Schließung von Grundschulen usf. Die Vorgehensweise des Schulministeriums ist sehr rigide und gehört in die Zeit vor 1989."
Das Erbe des Kommunismus reiche hier als alleinige Erklärung nicht aus, meint Eva Vondrakova von der Gesellschaft für Talent und Begabung. Dazu sei die Situation in den postkommunistischen Gesellschaften heute zu unterschiedlich: Allein in der benachbarten Slowakei etwa gibt es 24 Schulen für Hochbegabte.