300 Jahre Tschechische Technische Universität in Prag
Die ausklingende Woche stand in Prag im Zeichen eines großen Jubiläums: Die Tschechische Technische Hochschule (CVUT) beging den 300. Jahrestag ihrer Gründung. An einigen der aus diesem Anlass durchgeführten Veranstaltungen nahm auch Staatspräsident Vaclav Klaus teil. Über die Anfänge dieser bedeutenden Universität und ihre weitere Entwicklung hat Radio Prag mit Ing. Jan Mikes von der Fakultät für Elektrotechnik gesprochen.
Die nun schon drei Jahrhunderte an der Tschechischen Technischen Hochschule Prag verbreitete Lehre auf dem Gebiet von Wissenschaft, Technik und Technologie war stets von einem Leitsatz geprägt - sie sollte dem technischen Fortschritt dienen. Die Anfänge der Ingenieurausbildung waren alles andere als einfach. Sie wurden von etlichen Schwierigkeiten begleitet, die nur aufgrund des enormen Eifers der Hochschulgründer überwunden wurden.
"Die Schaffung des öffentlich zugänglichen Hochschulstudiums technischer Fachgebiete in den Ländern der böhmischen Krone wird der Initiative von Christian Josef Willenberg zugeschrieben. Auch wenn wir nicht wissen, wie er eigentlich aussah, weil kein Porträt von ihm überliefert wurde, über sein aufregendes Leben ist viel bekannt. Willenberg, der 1676 im schlesischen Liegnitz geboren wurde, war ein leidenschaftlicher Bewunderer der Technik. Berühmt geworden ist er vor allem als Fachmann für Befestigungen. Als Soldat hatte er lange Zeit in der französischen Armee gedient und dabei fast ganz Westeuropa durchquert. Zur damaligen Zeit wurden militärische und technische Kenntnisse über Befestigungen ganz hoch angesehen. Und auch Willenberg interessierte sich lebhaft dafür."
Willenbergs Fachkenntnisse, insbesondere seine Kenntnisse über die mathematischen Wissenschaften und die Bauweise der französischen und deutschen Befestigungen, lösten die Aufmerksamkeit des böhmischen Adels aus. Und so begann der Adel, Willenbergs Bemühungen um einen Unterricht in den Ingenieurwissenschaften zu unterstützen.
"Seine erworbenen Erfahrungen versuchte sich Willenberg schon am 30. Januar 1705 zu verzinsen, als er an der Böhmischen Hofkanzlei in Wien einen Entwurf für die Lehre der technischen Wissenschaften in Böhmen vorlegte. Für das Ablegen der Prüfungen in Mathematik, Arithmetik, Geometrie und Trigonometrie wurde er 1706 sogar in den Stand eines kaiserlichen Ingenieurs erhoben. Er hatte jetzt einen Titel, aber immer noch keine Schule, in der er lehren konnte. Als Josef I. der Thronfolger von Kaiser Leopold wurde, stellte Willenberg einen erneuten Antrag. Diesmal mit Erfolg. Auf der Grundlage einer am 18. Januar 1707 von Kaiser Josef I. in Tschechisch ausgestellten Urkunde entstand die erste öffentliche Ingenieurschule in Mitteleuropa. Sie trug den Namen Ständeingenieurschule Prag. Dieses Datum wurde also der Gründungstag unserer Alma mater."
Trotzdem war noch nichts gewonnen. Die administrative Unterstützung war zwar gesichert, aber zur Realisierung des Lehrstuhls kam es noch lange nicht. Erst unter Kaiser Karel VI. wurde Willenberg zum Professor berufen - zehn Jahre nach der Empfehlung von Josef I. Die ersten Vorlesungen fanden in Willenbergs Wohnung statt, in der auch alle Bücher, die Maschinenmodelle sowie weitere Lehrmittel und Werkzeuge aufbewahrt wurden."Der Lehrplan des damaligen Unterrichts umfasste im ersten Jahrgang die theoretische Geometrie und die Arithmetik, im zweiten Jahrgang wurden die Kenntnisse auf die allgemeinen Wissenschaften angewendet. Großer Wert wurde auf die Erkenntnisgewinnung zu den Befestigungsbauten gelegt, die Studenten begannen mit Zirkel, Zeichenmappen und anderen Hilfsmitteln zu arbeiten. Willenbergs Hoffnung, zwölf Plätze mit Studenten zu besetzen, erfüllte sich jedoch nicht. Für den ersten Jahrgang hatten nur neun Studenten gemeldet."
Nach Willenbergs Tod setzte sein ehemaliger Student Jan Ferdinand Schor die Arbeit des Professors erfolgreich fort. Er war ein Maler, Architekt, Soldat und technischer Pionier, der sich in jungen Jahren als Maler von Altären in römischen Kirchen ernährte. Wie Willenberg hatte er keinen Lehrraum zur Verfügung, und so musste auch er seine Wohnung in der Prager Altstadt dafür nutzen. Er war aber nicht nur als Professor tätig. Schor machte sich unter anderem um den Bau von Wasserbauten verdient. Die ersten Kammerschleusen in Böhmen, und zwar an der Moldau bei Zupanovice und Modrany (heute ein Stadtteil von Prag), wurden unter seiner Anleitung gebaut.
"Seine Lehrtätigkeit an der Ständeingenieurschule hatte Schor am 12. November 1726 aufgenommen. Er lehrte hier fast 40 Jahre. Schon recht bald unterrichtete er mehr als 30 Studenten. Im ersten Jahrgang lehrte er Mathematik, elementare Geometrie, Trigonometrie und Vermessen. Im zweiten Jahrgang waren es Physik, Statik, Hydrostatik und Aerometrie, im dritten Jahrgang dann Mechanik, Hydraulik, Optik und vor allem praktische Anwendungen. Auf die Praxis legte Schor besonderen Wert."
Der dritte Professor war der anerkannte Landvermesser und Wasserbauingenieur Frantisek Antonin Herget, der schon im unglaublich jungen Alter von 26 Jahren zum Direktor des Instituts ernannt wurde. Zu seinen größten Verdiensten gehört die Einführung von Wissenschaft und Technik in die Bereiche der Wirtschaft. Zu seiner Zeit haben sich die Studenten bereits nicht mehr in die Wohnung ihres Professors gedrängt, denn die Schule hatte Schritt für Schritt neue Räume erhalten. Ab dem Jahr 1776 haben die Vorlesungen zum Beispiel im ehemaligen jesuitischen Seminar des Prager Klementinums stattgefunden. Auf die weitere Entwicklung des technischen Schulwesens hatten auch die modernen Ideen, die zum Ende des 18. Jahrhunderts im revolutionären Frankreich geprägt wurden, einen großen Einfluss. In Paris entstand damals die Ecole Polytechnique, die auch für die habsburgische Monarchie zu einem Vorbild für die technische Bildung wurde.
"Als Hauptfigur der Schule in jener Zeit entpuppt sich Professor Frantisek Josef Gerstner. Im Jahr 1798 erarbeitet er den Entwurf zur Gründung einer Technischen Universität, in der nach dem Muster der Ecole Polytechnique in Paris die Ingenieursdisziplinen eng mit dem Studium der Mathematik und den anderen Wissenschaften verknüpft werden sollten. Also genau das, was die Industrialisierung in Böhmen erforderte. Im Jahr 1803 wurde die Ständeingenieurschule zu einem Polytechnischen Institut umgewandelt, und Gerstner wird sein erster Direktor. Im Laufe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlangt das Institut ein hohes Niveau, das mit anderen Universitäten in der Welt vergleichbar ist. Den weiteren Aufschwung bremst ein wenig der Bach-Absolutismus zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Dennoch gelingt es, die TU in Prag zur einer Spitzeneinrichtung auszubauen."
Ein interessantes Intermezzo in der Geschichte der Hochschule stellt die Periode von 1863 bis 1869 dar. In dieser Zeit wird das Studium zweisprachig gelehrt: Der bisher ausschließlich in Deutsch erteilte Unterricht wurde nun ebenso in Tschechisch gehalten. Nach dem Vorbild anderer Universitäten wurde auch in Prag ein Rektor an die Spitze der Hochschule gestellt. Der erste war Karel Koristka. Im April 1869 gab Kaiser Franz Josef I. die Zustimmung zur Aufteilung der Universität in ein tschechisches und ein deutsches Institut.
"Das tschechische Institut war in drei Gebäuden untergebracht - einem Haus in der Dominikaner Straße, im Odkolek-Haus im Stadtteil Kleine Seite und zum Teil auch in der ehemaligen Kaserne in der Resselstraße (Resslova). Im Jahre 1874 siedelte es in einen Neubau auf dem Karlsplatz um. In den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts wurde das Angebot des Lehrstoffs erneut erweitert. Die markanteste Veränderung war die Einführung von Vorlesungen in Elektrotechnik. Das älteste Skript trägt die Jahreszahl 1888."
Im 20. Jahrhundert setzt sich die stürmische Entwicklung der Technischen Hochschule Prag fort. Und zwar einerseits, was das sich ständig ausweitende Angebot der gelehrten Fächer betrifft, und andererseits, was die organisatorische Seite anbelangt. Diese ist fortan sehr eng mit der politischen Situation im Land verknüpft. Ihren heutigen Namen Tschechische Technische Universität erhielt das Institut nach der Gründung der Tschechoslowakischen Republik, und zwar im Jahre 1920 auf der Grundlage eines Dokuments des Ministeriums für Schulwesen und Volkskultur.