Ändert Tschechien seine Corona-Impfstrategie?
In der vergangenen Woche wurde in Tschechien erneut ein Rekord bei den Impfungen erreicht. Am Donnerstag erhielten fast 82.000 Menschen einen der Stoffe gegen das Coronavirus. In den nächsten Tagen und Wochen soll das Tempo hierzulande weiter zulegen. Doch Kritiker vermissen eine konkrete Strategie der tschechischen Regierung.
Am schnellsten geht es derzeit in den großen Impfzentren voran. Eines ist in der Halle des O2-Universums in Prag eingerichtet worden. Dort werden derzeit mehr als 3000 Menschen am Tag immunisiert. Ende des Monats will man einen Tageswert von 7000 bis 8000 erreichen. Premier Andrej Babiš (Partei Ano) hat deswegen vergangene Woche angekündigt, die Zahl der kleineren Impfzentren zu reduzieren.
Außerhalb dieser erfolgreichen Entwicklung stehen die Hausärzte. Eigentlich sollten sie schon längst in die Impfkampagne eingebunden sein. Denn bei ihnen stehen viele ältere Menschen auf der Warteliste. Tatsächlich haben über 26 Prozent aus der Bevölkerungsgruppe ab 80 Jahren und rund 29 Prozent jener ab 70 Jahren nicht einmal die erste Spritze bekommen. Das geht aus den offiziellen Daten vom Freitag hervor.
„In den höchsten Alterskategorien liegt das zum Teil auch am Misstrauen gegenüber der Impfung. Gerade die praktischen Ärztinnen und Ärzte könnten dabei helfen, dieses Misstrauen zu überwinden. Zum anderen Teil ist die Ursache aber auch, dass die großen Impfzentren für viele Menschen zu weit weg liegen“, sagt der Biochemiker Jan Trnka vom Zentrum für die Modellierung biologischer und gesellschaftlicher Prozesse.
Wegen dieser Schwierigkeiten sollten die Hausärzte in der Impfkampagne eigentlich als wichtiges Bindeglied dienen. Doch sie fühlen sich auf ein Nebengleis geschoben – so wie Pavla Voříšková aus dem ostböhmischen Chrudim:
„Wir haben jetzt einen weiteren Monat gewartet, aber keine Impfmittel erhalten. Vor allem aber werden wir nicht informiert. Dadurch ist es schwierig, meinen Patienten die Lage zu erklären.“
Vergangenen Mittwoch wurde ein Treffen mit Vertretern der Hausärzte vonseiten der Regierung abgesagt. Da sollte unter anderem bestätigt werden, dass die Praxen vorrangig den Impfstoff von Moderna erhalten, dessen Lieferung nun gesichert sein dürfte. Petr Šonka ist Vorsitzender des Verbandes praktischer Ärzte. Am Sonntag beklagte er in einer Talkshow des öffentlich-rechtlichen Tschechischen Fernsehens, dass er überhaupt nicht mehr wisse, woran er sei:
„Ich verfolge mit Beunruhigung die neuesten Informationen. Am Mittwoch haben wir eigentlich beschlossen, dass die praktischen Ärzte den Impfstoff von Moderna erhalten und endlich loslegen können. Am nächsten Tag hören wir vom Gesundheitsminister, dass die Senioren nicht bei den Ärzten warten, sondern sich zu den großen Impfzentren ummelden sollten. Und am Samstag haben wir aus bisher unbestätigten Quellen erfahren, dass Premier Babiš die Impfstrategie ändert und auf die großen Zentren ausrichtet. Obwohl ich täglich mit dem Ministerium in Kontakt stehe, bin ich verwirrt. Und ich frage mich, wer denn die Kampagne leitet und mit wem wir kommunizieren sollen.“
Dabei treibt Premier Babiš das Tempo voran. So sollen die Impfungen nicht erst diesen Mittwoch, sondern schon am Dienstag für die nächste Altersgruppe zugänglich werden. Šonka könnte sich aber noch mehr Geschwindigkeit vorstellen. Laut dem Verbandschef sind die jüngeren Tschechinnen und Tschechen ohnehin relativ unwillig, sich immunisieren zu lassen. Dieses Problem sieht auch der Leiter der Vakzinologischen Gesellschaft, Roman Chlíbek:
„Wir sollten die derzeit allgemein eher positive Einstellung zum Impfen nutzen. Je länger die Impfkampagne dauert und je länger die jüngeren Menschen hierzulande warten, desto mehr sinkt ihre Bereitschaft zur Immunisierung. Davor haben wir Angst.“
Der Verbandsvorsitzende Petr Šonka plädiert deswegen dafür, die Altersbeschränkung für die Corona-Impfungen so schnell wie möglich aufzuheben.