Alkoholkonsum in Tschechien: Früher Einstieg, dann aber moderates Trinkverhalten

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Ob die Tschechische Republik nun darauf stolz sein kann oder sich eher dafür schämen muss, liegt im Auge des Betrachters, eins steht jedoch fest: Mit rund 160 Litern Bier pro Kopf und Jahr liegt sie weltweit an der Spitze. Kürzlich ging nun eine weitere Rekordmeldung zum Thema Alkohol über die Nachrichtenticker ein: Im Vergleich zu anderen EU-Ländern werde hierzulande am frühesten mit dem Trinken begonnen. Die Statistik vermittelt den Eindruck, dass es sich bei den Tschechinnen und Tschechen um ein Volk von Alkoholikern handelt. Dass dem aber nicht so ist und die wahren Probleme des Alkoholkonsums - auch geographisch gesehen - ganz woanders liegen, zeigt die Interpretation der Zahlen in einem größeren Zusammenhang, wie Sandra Dudek berichtet:

Das "vikend" und die "hemenex" - englisch ausgesprochen, aber tschechisch geschrieben, gab es schon einige Zeit, bevor der "American Way of Life" auch in Tschechien Einzug gehalten hat. Mit neuen Wortkreationen nistet er sich nun auch immer mehr in der tschechischen Sprache ein: In einer Werbekampagne wurde beispielsweise das lautmalerische Wort "frikulin" eingesetzt, um vor allem Jugendliche anzusprechen, die genau das sein wollen: "free, cool und in". Und dieses Image, so die logische Schlussfolgerung, könne man sich "antrinken". Beworben wurden so genannte Alcopops, also Limonadengetränke, denen hochprozentige Alkoholika beigemischt sind. Der durch die Mischung insgesamt relativ geringe Alkoholgehalt kombiniert mit der Süße einer Limonade soll wohl Jugendliche auf den Geschmack von Alkohol bringen. Darauf dürften die jungen Tschechinnen und Tschechen, zumindest laut Statistik, allerdings auch ohne Werbung kommen: Hierzulande nämlich trinken die Buben bereits mit rund elf Jahren, die Mädchen im Schnitt mit zwölf Jahren erstmals Alkohol, wie das Europäische Schulprojekt zu Alkohol und anderen Drogen, kurz ESPAD-Studie genannt, ergab. Neben dem immer wieder zitierten höchsten Pro-Kopf-Verbrauch an Bier liegt die Tschechische Republik nun also auch beim Einstiegsalter in den Alkoholkonsum an der Spitze der EU-Länder. Allerdings seien diese beiden Indikatoren alles andere als repräsentativ, wenn es darum gehe, die eigentlichen Probleme des Alkoholkonsums feststellen zu wollen, wie Helmut Wagner, Generaldirektor der Amsterdam Group, der Europäischen Allianz der führenden Hersteller von Bier, Wein und Spirituosen, erläutert:

"Schweden, Finnland, Norwegen, die haben einen sehr geringen Pro-Kopf-Verbrauch, aber das Trinkverhalten, das ist fürchterlich. Die Leute gehen am Wochenende ein, zwei Tage raus und hauen sich die Birne zu, dass es kracht. Der Pro-Kopf-Verbrauch ist gering, aber die Probleme sind groß, vor allem in Bezug darauf, was das Trinkverhalten mit sich bringt: Unfall, Suizid, ungewollter Sex. Die Probleme sind, trotz niedrigem Pro-Kopf-Verbrauch, sehr groß."

Auch in Hinblick auf andere Aspekte erscheine der Alkoholkonsum in Tschechien in einem ganz anderen Licht als aufgrund der beiden Rekordzahlen vermutet, so Wagner weiter:

"Wenn man sich ansieht, wer regelmäßig trinkt unter den Jugendlichen, die 15 bis 16 Jahren alt sind, dann liegt die Tschechische Republik auch hier im Mittelfeld, umrahmt von Griechenland, Dänemark, Italien nach unten und nach oben von England. Oder wenn es darum geht, wie oft junge Leute in den letzten 30 Tagen getrunken haben, dann befindet sich auch da die Tschechische Republik in "guter Gesellschaft" von beispielsweise Norwegen und Finnland."

Foto: Simona Kalasova
Das Alkoholproblem in der Tschechischen Republik ist also, betrachtet man es im größeren Zusammenhang, insgesamt kein so gravierendes wie beispielsweise in Großbritannien oder den skandinavischen Ländern. Allerdings kann natürlich auch hier einiges getan werden, um die Lage zu verbessern. Und genau das ist eines der Anliegen der Amsterdam Group, die vor 15 Jahren von führenden Alkoholikaherstellern in Amsterdam gegründet worden ist. Ihr Hauptziel ist es, sich um die sozialen Aspekte des Alkoholkonsums zu kümmern und den bewussten und verantwortungsvollen Umgang mit Alkohol zu kommunizieren. Alkohol hat als psychoaktive Substanz unbestritten auch eine negative Seite. Im Gegensatz zu beispielsweise Zigaretten ist aber der Genuss in Maßen weder gefährlich noch schädlich. Kein Hersteller von Alkoholika, meint Wagner, habe aber Interesse daran, dass seine Produkte missbraucht werden. Dies würde nur dem Image und letztendlich auch dem Absatz schaden, denn absatzsteigernd könne nur ein Produkt sein, das keinen Makel habe.

Die Bewusstseinsbildung für einen verantwortungsvollen Umgang mit Alkohol müsse aber früh ansetzen und daher hat die Amsterdam Group in drei EU-Ländern, nämlich in England, Spanien und der Tschechischen Republik, ein Pilotprojekt gestartet. Das so genannte Jules Verne-Programm ist ein Aufklärungsprogramm in Schulen, das sich über Lehrer an Jugendliche, aber auch deren Eltern wendet. Dazu Helmut Wagner:

"Denn eines bringen die wissenschaftlichen Studien in diesem Zusammenhang in den letzten Jahren auch immer deutlicher zutage und das ist die Tatsache, dass die Familie immer noch der entscheidende Faktor ist, wie Jugendliche Alkohol konsumieren. Später kommt ein bisschen die peer pressure hinzu, aber über die gesamte Zeit des Heranwachsens haben immer noch die Eltern den größten Einfluss. Die peer pressure mag im Alter von 13 bis 16 Jahren eine Rolle spielen, aber auch hier ist entscheidend, wie die Familienbeziehungen sind und ob es in der Familie ein Reglement zum Thema Alkohol gibt oder nicht."

Die peer pressure, also der Gruppendruck unter Gleichaltrigen, führt in einigen EU-Ländern zu regelmäßigen Alkoholexzessen und mitunter auch zu seltsamen Verhaltensweisen: In Schweden, Großbritannien, den Niederlanden und Irland beispielsweise betreibt ein Drittel der Jugendlichen regelmäßig so genanntes binge drinking. Das bedeutet, dass sie sich nur zu dem einen Zweck treffen, sich so rasch und billig wie möglich zu betrinken. Häufig zieht dies verheerende Folgen nach sich, wie durch betrunkene Lenker verursachte Autounfälle, ungewollte Schwangerschaften in jüngsten Jahren oder gar Selbstmorde. Eine Aufklärung über den Alkoholkonsum und vor allem seine möglichen Auswirkungen bei Missbrauch muss also schon früh beginnen. Deshalb wendet sich das Jules Verne-Programm der Amsterdam Group an Schülerinnen und Schüler, um langfristig den Umgang mit dem Alkoholkonsum zum Positiven zu verändern. In der Tschechischen Republik werden mit dem Programm insbesondere drei Ziele verfolgt, erklärt Helmut Wagner:

"Erstens soll es das Einstiegsalter in den Alkoholkonsum verschieben, d.h. dass die Tschechische Republik da nicht mehr an der Spitze liegt, sondern nach unten in der Skala rückt oder, wenn es das Alter angeht, nach oben rückt. Zweitens sollen die Jugendlichen, die trinken, dass die weniger trinken. Und drittens, weil dieses Programm sich an Lehrer und Eltern richtet, dass die Eltern dazu ermutigt werden, wenn es einen Alkoholcomment in der Familie gibt, den zu verschärfen, und wenn es noch keinen gibt, einen zu errichten."

Der Umgang mit dem Alkoholkonsum ist so unterschiedlich wie die EU-Länder selbst. Die größten Probleme hat Großbritannien: Rund drei Millionen Briten sind alkoholabhängig und jährlich begehen Tausend von ihnen Selbstmord. Im März dieses Jahres hat die Europäische Kommission ein Diskussionspapier zur Alkoholstrategie der EU ausgearbeitet. Ein darin formulierter Lösungsansatz für Alkoholmissbrauch ist die Anhebung des gesetzlichen Mindestalters, ab dem Alkoholika gekauft und konsumiert werden dürfen, auf 18 Jahre. Allerdings ist diese Regelung bereits in den meisten EU-Staaten gültig. Ein weiterer großer Themenbereich ist Alkohol am Steuer, denn das ist der Hauptgrund für rund ein Viertel der Verkehrsunfälle in der Europäischen Union. Eine gesetzliche Vorgabe von 0,0 Promille, wie zum Beispiel in der Tschechischen Republik, nützt aber nichts, wenn die notwendigen Begleitmaßnahmen nicht vorhanden sind, sprich: wenn ihre Einhaltung nicht kontrolliert wird. Beim verantwortungsvollen Alkoholkonsum müssen eben viele Faktoren berücksichtigt werden und viele Institutionen an einem Strang ziehen. Die Thematik sei sehr komplex und wenn man das Problem mit dem Alkohol angehen wolle, dann reiche es eben nicht, sich allein um den Pro-Kopf-Verbrauch eines Landes und dessen Senkung zu kümmern, sondern neben der Bewusstseinsbildung auch ein Netz an Gegenmaßnahmen zum Alkoholmissbrauch aufzubauen, meint Helmut Wagner von der Amsterdam Group:

"Man muss sich auf das Verhalten der Leute konzentrieren. Ich will den Pro-Kopf-Verbrauch in der Tschechischen Republik nicht für gut heißen, aber bitte seien Sie sich dessen bewusst: ein geringer Pro-Kopf-Verbrauch heißt nicht geringe Probleme."





Folgende Hinweise bringen Ihnen noch mehr Informationen über den Integrationsprozess Tschechiens in die Europäische Union:



www.integrace.cz - Integrace - Zeitschrift für europäische Studien und den Osterweiterungsprozess der Europäischen Union

www.euroskop.cz

www.evropska-unie.cz/eng/

www.euractiv.com - EU News, Policy Positions and EU Actors online

www.auswaertiges-amt.de - Auswärtiges Amt