Alternative oder Bedrohung: Windkraft in Tschechien

Foto: Europäische Kommission

In Deutschland und anderen europäischen Ländern sind sie längst fixer Bestandteil der Energieversorgung. In Tschechien fristen sie bisher noch ein Schattendasein: die Windkraftwerke. Alle Windräder zusammen erbringen weniger als ein Zehntel der Leistung des Atomkraftwerks Temelín. Daniel Kortschak hat mit dem Vorsitzenden der Tschechischen Vereinigung für Windkraft (ČEVS), Michal Janeček, gesprochen und ihn auch gefragt, was dran ist an der Behauptung, die deutschen Windkraftwerke bedrohten die Stromversorgung in Tschechien.

Herr Janeček, wie ist die derzeitige Situation der Windkraft in Tschechien? Wie viele Windkraftwerke gibt es hierzulande und wie hoch ist im Moment die installierte Leistung?

„Zurzeit gibt es in Tschechien 120 Windkraftwerke mit einer Gesamtleistung von 180 Megawatt. In diesem Jahr werden noch einige Kraftwerke in Betrieb gehen, so dass wir zum Jahresende mit einer Leistung von 192 Megawatt rechnen.“

Wenn wir das jetzt mit Deutschland vergleichen: Wie hoch ist dort die installierte Leistung?

„In Deutschland sind mittlerweile Windkraftwerke mit einer Leistung von rund 25.000 Megawatt am Netz. Das also ein Vergleich zwischen David und Goliath.“

Kann man in Tschechien Windkraftwerke überhaupt effizient betreiben? Wenn wir wieder nach Deutschland blicken, dort stehen viele Windkraftwerke ja an der Küste. Gibt es in Tschechien Gebiete mit vergleichbaren Bedingungen?

„In Deutschland stehen die die Kraftwerke nicht nur an der Küste. Sie sind sogar ziemlich gleichmäßig über jene Bundesländer verteilt, die im Landesinneren liegen. Bei uns findet man zum Beispiel in Nordböhmen, im Mährisch-Schlesischen Kreis oder auf der Böhmisch-Mährischen Höhe ganz ähnliche Bedingungen vor, die für die Windkraft durchaus günstig sind. Auch dort weht der Wind im Durchschnitt mit mindestens sechs Meter pro Sekunde und das ist für die Investoren ein Anreiz, dort Windkraftwerke zu errichten. Es gibt Projekte für einen Ausbau der Stromproduktion auf 1000 Megawatt. Das könnten wir innerhalb von drei, vier Jahren erreichen. Insgesamt haben wir für Tschechien ein Potenzial von rund 2700 Megawatt ausgerechnet.“

Foto: Europäische Kommission
Die klimatischen Bedingungen sind also auch in Tschechien durchaus günstig. Warum gibt es dann hierzulande im Vergleich zu Deutschland nur so wenige Windkraftwerke?

„Seit 2005 gibt es in Tschechien ein Gesetz zur Förderung von Energie aus erneuerbaren Quellen. Das hat einen wahren Ökoenergie-Boom ausgelöst. Aber bereits ein Jahr später haben die ersten Regionen begonnen, künstliche Barrieren zu schaffen. Genau deshalb haben wir uns nun auch mit einer Beschwerde an die Europäische Kommission gewandt. Denn unserer Meinung nach wird dieses Gesetz zur Förderung der erneuerbaren Energien nicht eingehalten. Die meisten Genehmigungsverfahren verlaufen nicht transparent und von einer Gleichbehandlung aller Stromproduzenten oder gar einer Bevorzugung ökologisch verträglicherer Energiequellen kann keine Rede sein. In den Regionen herrscht auch ein starkes ‚Kirchturmdenken’ vor. Jeder will seine eigenen Interessen verteidigen. Jeder Landkreis lässt seine eigenen Studien etwa zum Landschaftsbild ausarbeiten. Das betrifft vor allem die Windkraft, weil diese Windräder natürlich sehr hoch sind und daher auf besonderen Widerstand der Landschaftsschützer stoßen. Dass diese Kraftwerke saubere Energie produzieren und damit auch zum Umweltschutz beitragen, spielt für die Regionalpolitiker keine Rolle. In einigen Regionen kam es auch zu klaren Gesetzesverstößen: Windkraft- und Solaranlagen haben zwar eine Baugenehmigung erhalten, gleichzeitig hat sich aber die Kreisverwaltung geweigert, den Bebauungsplan zu ändern. Da hat man als Investor dann praktisch keine Chance. Auch deshalb haben wir uns nun bei der EU über die tschechische Vorgangsweise beschwert.“

Welche Rolle spielt dabei der halbstaatliche Stromkonzern ČEZ? Hat dieser überhaupt ein Interesse an erneuerbaren Energiequellen oder konzentriert man sich dort ganz auf die Kohle und den Ausbau der Kernkraft?

„Sie sagen es: Der Konzern ČEZ konzentriert sich nur auf die Kohle und den Ausbau der Kernkraft. Aber seit 2007 hat ČEZ eine Tochtergesellschaft, die sich um die Förderung der alternativen Energiequellen kümmern soll. Die arbeiten auch an irgendwelchen Projekten, die Frage ist aber, wie die konkrete Strategie von ČEZ in diesem Bereich aussieht.“

Die staatliche tschechische Energienetz-Agentur ČEPS hat kürzlich auf einer Pressekonferenz heftige Kritik an Deutschland geübt. Angeblich überlasten die deutschen Windkraftwerke mit ihrer stark schwankenden Stromproduktion das tschechische Energienetz. Stimmt das? Wie kann es überhaupt sein, dass deutsche Kraftwerke das tschechische Stromnetz beeinträchtigen?

„Das ist zunächst eine technische Frage. Vereinfacht gesagt: Elektrizität als physikalisches Phänomen verteilt sich unkontrolliert und lässt sich nur schwer regulieren. Wenn in Deutschland an der Küste starker Wind weht, dann gibt es in Deutschland eine massive Überproduktion und wenn über die internationalen Stromleitungen gerade keine Elektrizität von Tschechien nach Deutschland fließt, dann schwappt dieser Strom-Überschuss teilweise zu uns und belastet das hiesige Hochspannungsnetz. Das kommt seit etwa drei Jahren immer wieder vor. Und sobald dieses Phänomen auftritt, geht ČEPS an die Öffentlichkeit und wirft die Medienmaschinerie an. Da wird dann gerne auch ein wenig übertrieben. Man muss aber in Betracht ziehen, wie oft es tatsächlich zu so einer Überlastung kommt. Der Stromkonzern hat selbst öffentlich gesagt, dass das im Vorjahr an genau einem einzigen Tag der Fall war. Das ganze ist unserer Meinung nach auch eine künstlich aufgebauschte Angelegenheit.“

Sie haben die Pressekonferenz des Stromnetz-Betreibers ČEPS angesprochen: Dort haben Vertreter der staatlichen Firma ja auch ihre Pläne zum Ausbau des tschechischen Stromnetzes vorgestellt. Besteht da vielleicht ein Zusammenhang, zwischen diesen Plänen und der Kritik an der angeblichen Überlastung durch die Windkraftwerke?

Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag
„Ja, sicher. Ich bin ja schon froh, dass ČEPS diesmal seine Aussagen ein wenig relativiert hat. Früher waren die Meldungen deutlich negativ gefärbt gegenüber der Windkraft im Allgemeinen und die Leute haben natürlich sofort geglaubt, die tschechischen Windkraftwerke sind an allem schuld. Jetzt sind plötzlich die deutschen Windkraftwerke schuld, das ist ja schon etwas Anderes. Und man sagt jetzt auch, dass es sich um ein technisches Problem handelt, das man lösen kann. ČEPS muss sehr viel Geld in die Erneuerung seines Stromnetzes investieren. Das ist heute zwar in einem guten Zustand aber dennoch veraltet. Aber diese Investitionen müssen ohnehin getätigt werden. Die Windkraftwerke sind da nur ein netter Aufhänger für ČEPS, um den Medien und der Öffentlichkeit einen ‚Schuldigen’ für diesen Investitionsbedarf zu präsentieren. Dabei stellt sich auch mit dem Ausbau der klassischen Kraftwerke wie etwa der Erweiterung des AKW Temelín für den Stromnetz-Betreiber ČEPS die Frage, wie man das lösen soll. Denn für den zusätzlichen Strom braucht es neue Leitungen und die werden im Rahmen der heutigen Gesetze nur sehr schwer genehmigt. Meiner Meinung nach will ČEPS da auch Druck ausüben, um diese Genehmigungen durch eine Gesetzesänderung in Zukunft leichter zu bekommen. Der Bau neuer Hochspannungsleitungen hat eine Vorbereitungszeit von etwa zehn Jahren. Die Zeit drängt also und ČEPS versucht es nun eben mit Druck.“