Auf der Suche nach dem verlorenen Film – Milan Klepikov

Milan Klepikov (Foto: Autorin)

Macht man das Hobby zum Beruf, so schwindet mit der Zeit die Begeisterung, sagt Milan Klepikov. Doch er bereut seine Berufswahl nicht. Milan Klepikov ist Filmhistoriker. Das wurde er erst, nachdem er aus der Emigration in Deutschland zurückgekommen war. Neben seiner Arbeit beim Nationalen Filmarchiv ist Milan Klepikov auch bei zahlreichen Filmfestivals tätig. Maria Hammerich-Maier hat es zum Anlass genommen, um mit Milan Klepikov zu sprechen: über seine filmischen Vorlieben, seine Arbeit sowie persönliche Erlebnisse.

Milan Klepikov  (Foto: Autorin)
Herr Klepikov, eines der größten tschechischen Filmfestivals, das Febiofest, hat gerade stattgefunden. Sie waren dort sehr beschäftigt, jeden Abend haben Sie sich Filme angesehen. Sie hatten auch die Gelegenheit, Wim Wenders zu treffen…

„Das war für mich sehr interessant, weil ich vor 13 Jahren ein Buch mit Texten von Wim Wenders zusammengestellt und übersetzt habe. Deshalb hat es mich gefreut, einmal auch den Menschen Wenders kennen zu lernen. Die Gelegenheit ergab sich halt erst nach 13 Jahren hier beim Febiofest.“

Was hat Wim Wenders persönlich für einen Eindruck auf Sie gemacht?

„Zu Beginn des Gesprächs war er etwas reserviert. Man merkt, dass er einfach von einem Gespräch zum nächsten gehetzt wird oder hetzen muss. Denn er macht während des Febiofests zahlreiche Diskussionen mit den Zuschauern. Er geht praktisch von einem Saal in den anderen und muss ständig dieselben Fragen beantworten. Aber am Ende hat sich doch ein gutes Gespräch ergeben.“

Sind Filme von der Art, wie sie Wim Wenders macht, auch Filme, die Ihnen persönlich gut gefallen und Ihrem Geschmack entsprechen?

„Am meisten mochte ich seine alten Filme aus den siebziger und achtziger Jahren, bis hin zu ‚Der Himmel über Berlin’. Dieser Film wurde auch hier sehr berühmt und begründete den Kult um Wenders.“

Ansonsten interessieren Sie sich, glaube ich, vor allem für historische Filme.

„Das ist der Hauptinhalt meines Berufs. Ich habe es vor allem mit den klassischen Filmen zu tun und stelle aus verschiedenen Gebieten der klassischen Filmkunst Programme zusammen.“

Sie machen im Kino Ponrepo im Prager Stadtzentrum Retrospektiven alter Filme. Welche Filme zeigen Sie da?

„Filme unterschiedlicher Genres aus mehreren Ländern. Weil unser Filmarchiv vor allem reiche Bestände der allerfrühesten Filme hat, mache ich zum Beispiel eine Retrospektive mit dem Titel ‚Der Film vor hundert Jahren’. Die beschäftigt sich dieses Jahr also mit Filmen von 1909. Das sind sehr seltene, kurze Filme von den Anfängen der Kinematographie, und sie finden beim Publikum großen Anklang.“

Kino Ponrepo  (Foto: Autorin)
Welches Publikum besucht diese Retrospektiven, und wie reagieren die Leute auf die alten Filme?

„Ein Teil der Zuschauer sind Studenten, und zwar sowohl vom Institut für Filmwissenschaft der Karlsuniversität als auch von der Famu, der Filmakademie. Dann kommen die eingefleischten Filmkenner, aber manchmal auch sonstige Filminteressierte.“

Sie haben Filmwissenschaft studiert, und zwar Anfang der neunziger Jahre, nachdem Sie aus Deutschland nach Prag zurückgekommen waren. Zuvor hatten Sie fast ein Jahrzehnt in Deutschland gelebt. Da gab es einen Vorfall, als Sie das erste Mal nach der Öffnung der Grenze versuchten, in die Tschechoslowakei einzureisen. Können Sie den erzählen?

Kino des Nationalen Filmarchivs  (Foto: Autorin)
„Meine Mutter und ich waren voll Euphorie und wollten nach Prag fahren. Das war im Dezember 1989, unmittelbar nach den Ereignissen vom 17. November. Wir wurden aber an der Grenze abgewiesen, weil wir unsere tschechischen Pässe nicht mitgenommen hatten. Wir hatten geglaubt, dass diese alten kommunistischen Reisepässe nicht mehr gelten würden. Wir mussten dann von Marktredwitz an der bayerischen Grenze wieder zurückfahren. Erst ein paar Tage später sind wir mit dem Pass ganz einfach über die Grenze gekommen, da gab es keine Probleme mehr.“

Und nachdem Sie nach Tschechien zurückgekehrt sind, haben Sie dann den Beruf gefunden, der auch Ihrem Interesse entspricht?

„Oft ist es so: Wenn man sein Hobby zu seinem Beruf macht, dann verliert man die ganz große Lust, die man dafür in den Jahren zuvor empfunden hat. Vieles verfliegt, weil man es als Pflicht betrachtet. Aber vielleicht ist mir noch ein wenig Freude an der Sache geblieben.“

Sie publizieren auch, Sie schreiben Filmkritiken. Für welche Zeitschriften schreiben Sie und was sind Ihre Themen?

„Ich rezensiere Filme, die ich interessant finde, und Bücher, die sich mit dem Film beschäftigen. Es gibt drei oder vier anspruchsvollere Filmzeitschriften in Tschechien, die Auswahl ist nicht groß. Vor zwei Jahren gab es in Österreich eine Miloš-Forman-Retrospektive. Dafür habe ich die Einführungen zu den Filmen geschrieben.“

Filmfestival in Karlsbad  (Foto: Štěpánka Budková)
Das Nationale Filmarchiv arbeitet mit dem Ausland zusammen. Sie restaurieren auch alte Filme?

„Vor kurzem haben wir einen sehr berühmten Film restauriert, ‚Die Büchse der Pandora’. Dieser Streifen wird im Juli bei den Filmfestspielen in Karlsbad vorgeführt. Das ist schon der zweite Film von Georg Wilhelm Pabst, den wir restauriert haben. Pabst war in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts als Regisseur sehr berühmt. Vor ein paar Jahren haben wir seinen Film ‚Der Schatz’ gezeigt, das war ebenfalls beim Filmfestival in Karlsbad.“

Das Nationale Filmarchiv ist ja für seine Restaurationen von alten Filmen international renommiert…

„Ja, dafür sind wir bekannt. Vor allem unsere Restaurationen von Stummfilmen sind anerkannt. Wir versehen die restaurierten Fassungen mit Farbe. Jedes Jahr restaurieren wir einen anderen Film. Letztes Jahr haben wir ‚Die Spinnen’ restauriert. Das ist einer der ersten großen Filme von Fritz Lang, er ist nirgendwo auf der Welt mehr vorhanden. Nur in Prag gab es eine Originalkopie davon, und es war schon eine großartige Sache, diesen Film zu restaurieren und auch der Öffentlichkeit zeigen zu können.“

Kino Ponrepo  (Foto: Autorin)
Als Sie nach 1989 in die damalige Tschechoslowakei zurückkamen, was hatten Sie da für Gefühle? Welchen Eindruck hatten sie von dem Wechsel aus der Nürnberger Lebenswelt, in der sie zuvor fast ein Jahrzehnt lang waren? Hat es lange gedauert, bis Sie sich hier wieder eingewöhnt haben?

„Eigentlich nicht. Ich fand nämlich alles so vor, wie es vor meiner Emigration gewesen war. Das war ja gerade typisch für den Kommunismus, dass sich nie etwas geändert hat. Alles ist langsam abgebröckelt, hat sich langsam verschlechtert. Aber das Schöne war, dass sozusagen der Zustand von 1981, als ich auswanderte, visuell noch ganz erhalten war. Ich bin eigentlich wieder in die Vergangenheit eingetaucht, und das war schon ein schönes Gefühl, so nach Marcel Proust. Es hat mich eher dann gestört, als sich visuell alles zu verändern begann. Wenn man heute durch die Prager Altstadt geht, sieht man lauter englische Aufschriften. Das alte Prag ist für die Touristen herausgeputzt, und von der früheren Atmosphäre ist nicht mehr viel übrig. In diesem Punkt bin ich ziemlich nostalgisch.“

Kino des Nationalen Filmarchivs  (Foto: Autorin)
Für einen Menschen, der Filme gerne mag, muss Prag eine großartige Stadt sein. Sie haben zwar erwähnt, dass die Filmkultur hier nicht so hoch steht. Aber im Vergleich zu anderen Städten tut sich hier doch auf dem Gebiet des Films sehr viel?

„Quantitativ gesehen geschieht sehr viel. Aber das wirkliche Interesse an hochwertigen Filmen ist gering. Denn die mediale Unterstützung ist heute nicht mehr vorhanden.“

Glauben Sie, dass das Kino eine Zukunft hat?

„Das glaube ich schon. Es wird aber eine Zukunft für weniger Menschen als heute sein. Es werden sich weniger Leute für Filmkunst interessieren. Aber ich glaube nicht, dass das Kino untergehen wird. Ich glaube nicht an solche Untergangsszenarien."