Aus Böhmen nach Alaska: "Das zweite Leben tschechischer Torarollen"

Torarolle aus dem 19. Jahrhundert

Die Torarolle ist der wichtigste Religionsgegenstand im jüdischen Glauben. Wie kommt es, dass Torarollen, die ursprünglich an verschiedenen Orten Tschechiens entstanden sind, heute von jüdischen Gemeinden genutzt werden, die oft weit entfernt vom Entstehungsort der Schriftrollen liegen? Die Antwort auf diese Frage findet man in einer Ausstellung, die vor kurzem vom Jüdischen Museum in Prag eröffnet wurde.

In den böhmischen und mährischen Museumssammlungen gab es in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg nur sehr selten Torarollen. Denn sie sind so kostbar, dass keine Gemeinde sie unter normalen Umständen an ein Museum abgeben würde. Während der Nazi-Okkupation wurden fast 1800 Torarollen aus den Gemeinden des Protektoratgebietes zusammengetragen. Nach dem Holocaust wurden jedoch nur wenige der jüdischen Gemeinden wieder aufgebaut. 1950 wurde das Jüdische Museum von den Kommunisten verstaatlicht, und 1964 beschloss der Staat, 1.500 Torarollen aus den Museumssammlungen ins Ausland zu verkaufen. Das Schicksal dieser Schriftrollen wird in der Ausstellung "Das zweite Leben tschechischer Torarollen" beschrieben, die vom Prager Jüdischen Museum eröffnet wurde. Kuratorin Dana Veselska dazu:

"Die Torarolle bedeutet für eine jüdische Gemeinde sehr viel und ist wirklich kostbar. Die Tatsache, wie viele Schriftrollen die Gemeinde besitzt, zeugt von ihrer Wichtigkeit. Der Verkauf einer solchen Menge von Torarollen war deswegen ungewöhnlich. Die Torarollen hatten ein sehr interessantes Schicksal: Sie wurden an eine jüdische Institution in Großbritannien verkauft. Der tschechoslowakische Staat und der Käufer vereinbarten damals, dass die Torarollen nicht zu kommerziellen Zwecken genutzt werden, sondern nur zu Religions-, Bildungs- und Erziehungszwecken dienen."

Die Torarollen werden vom Londoner "Memorial Scrolls Trust" verwaltet. Diese Institution leiht sie dauerhaft jüdischen Gemeinden aus, wo die liturgischen Gegenstände ihrem ursprünglichen Zweck dienen. Heute findet man die einst verkauften Schriftrollen auf fast jedem Kontinent, zum Beispiel auch in Neuseeland und Alaska, sagt die Kuratorin. Rückblickend sieht sie den Verkauf nicht mehr so negativ, denn die Torarollen hätten die Chance bekommen, in den jüdischen Gemeinden genutzt zu werden. Die ausländischen Gemeinden interessieren sich oft sehr für die Herkunft ihrer Torarollen:

"Sie bemühen sich Kontakte zu der tschechischen Stadt aufzunehmen, wo die Schriftrolle einst entstanden ist. Und sie erinnern sich an die Holocaust-Opfer, die aus dieser Region stammten."

Die Ausstellung über das beachtenswerte Schicksal der tschechischen Torarollen ist in der Robert Guttmann-Galerie in Prag bis 28. Januar 2007 zu sehen.

Fotos: Jüdisches Museum in Prag