1) Geheimnisvolle Monumentalbauwerke aus der Steinzeit: Kreisgrabenanlagen in Tschechien
In Mitteleuropa – und damit ebenso auf tschechischem Boden – dürften sie die ersten Monumentalbauten gewesen sein. Die Rede ist von sogenannten Kreisgrabenanlagen. Sie stammen aus der mittleren Jungsteinzeit, als die Menschen in den hiesigen Breiten begannen, sesshaft zu werden. Die riesigen Bauwerke geben den Forschern allerdings weiterhin Rätsel auf. Und genau deswegen starten wir mit den Kreisgrabenanlagen eine neue Serie. In dieser geht es um die tschechische Archäologie und ihre interessantesten Funde.
Die Kreisgrabenanlagen in Tschechien haben einen Durchmesser von bis zu 240 Meter. Sie sind also wirklich monumental. Die Fundorte in Tschechien liegen vor allem in Südmähren und im Einzugsgebiet der Elbe. Doch was sind eigentlich diese Kreisgrabenanlagen, die auch Rondelle genannt werden? Jaroslav Řídký ist Archäologe an der Akademie der Wissenschaften in Prag. Gegenüber Radio Prag International erläutert er:
„Es handelt sich um Grabenringe, in deren Innern sich noch ein oder mehrere kleinere Ringe befinden. Diese nennen wir Palisadenringe. Manchmal bestehen auch Abdrücke von Holzpfählen, die Pfostenlöcher heißen. Auch diese sind immer kreisförmig angeordnet. In das Zentrum der Anlagen führen zwei oder mehrere Eingänge, am häufigsten sind es vier. Die Kreisgrabenanlagen haben einen Durchmesser, der von 30 bis sogar 240 Meter reichen kann. Meist liegt er aber bei 60 bis 80 Meter.“
Finden lassen sich diese prähistorischen Bauwerke aus der Zeit zwischen 4800 und 4600 Jahren vor unserer Zeitrechnung in ganz Mitteleuropa.
„Das reicht vom Westen Deutschlands über Tschechien, Österreich und Polen bis in den Südosten der Slowakei und den Westen Ungarns. Dabei stimmt auch die zeitliche Zuordnung in all diesen Regionen überein. Das heißt, sie entstanden in der ersten Hälfte des fünften vorchristlichen Jahrtausends, und das auf dem Gebiet unterschiedlicher Kulturgruppen“, so Archäologe Řídký.
Archäologie aus der Luft
Das Problem jedoch ist, überhaupt die Orte früherer Kreisgrabenanlagen zu erkennen. Entweder entstanden an den Orten später Städte – so etwa könnte es im Falle Prags gewesen sein –, oder sie wurden wegen intensiver landwirtschaftlicher Bestellung eingeebnet. Das heißt, die Anlagen sind in den seltensten Fällen heute noch sichtbar. Deswegen werden sie per Luftbildarchäologie gesucht. Dabei werde auf Besonderheiten in der Vegetation geachtet, erläutert Jaroslav Řídký:
„Auf Getreide- oder Rapsfeldern sind die Orte zu erkennen, an denen früher etwas stand. Denn dort werden die Pflanzen erst später reif – beziehungsweise sie sind höher oder niedriger. Zudem bleibt der Schnee im Frühjahr dort länger liegen. Der Grund ist eine andere Bodenbeschaffenheit an jenen Orten, an denen Bauten im Boden verschwunden sind.“
Erste Funde wurden allerdings noch vor den Möglichkeiten der Luftbildarchäologie gemacht – nämlich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der Forschungsboom setzte aber erst in den 1980er Jahren ein. Mittlerweile würden jedes Jahr neue Kreisgrabenanlagen entdeckt, sagt Řídký. Rund 200 seien bis heute bekannt.
Seit den ersten Entdeckungen versuchen die Forscher herauszufinden, wozu die Anlagen gedient haben mögen. Im 19. Jahrhundert wurden sie als Befestigungsanlagen gedeutet oder später auch als riesige Nutztiergehege. Um heutige Erklärungsansätze zu erläutern, holt der Archäologe weit aus. Er geht in die Phase menschheitlicher Entwicklung nach der letzten Eiszeit in Europa zurück. Diese endete etwa 24.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung.
„Es gab unterschiedliche Erklärungsversuche. Sie liefen darauf hinaus, dass Mitteleuropa danach nicht besiedelt gewesen sei. Daraus entwickelte sich die Theorie der neolithischen Revolution. Das bedeutet, dass die ersten Siedler aus Vorderasien ins Zentrum Europas kamen und sich niederließen. Allerdings hat sich mittlerweile gezeigt, dass dies nicht ganz der Wahrheit entspricht. Zudem wissen wir nicht, wie die betreffenden Gemeinschaften früher organisiert waren“, bekennt Řídký
Und gerade die Kreisgrabenanlagen sind eine der wenigen Quellen, die die Wissenschaftler nutzen können, um mehr zu erfahren. Dabei werden Analogien hergestellt zu anderen Kulturen:
„Der Bau der Anlagen musste organisiert gewesen sein, denn er dauerte wohl eine gewisse Zeit. Das deutet auf gewisse Machtstrukturen hin. Man darf sich dies aber nicht nur aus heutiger Sicht vorstellen, dass jemand also auf einem bestimmten Gebiet versucht hat, die Menschen dort zu beherrschen, und so zu Macht und Reichtum gelangt ist. Wie wir aus der Kulturanthropologie wissen, gab es noch weitere Systeme der Machtausübung, die heute vielleicht nicht mehr bestehen.“
Rondelle mit ritueller Bedeutung
Heutige Interpretationen gehen laut Řídký dahin, dass die Anlagen eine rituelle Bedeutung gehabt haben dürften. So liegen die Eingänge zu den Rondellen in unterschiedlichen Himmelsrichtungen:
„Ein nicht unbedeutender Teil der Archäologen arbeitet deswegen mit Astronomen zusammen und behauptet, dass die Eingänge nicht zufällig in unterschiedliche Richtungen zeigen. Zum einen seien sie in Richtung markanter Punkte in der Natur ausgerichtet, zum anderen hätten sie als Kalender fungiert. Das heißt, dass zu bestimmten Zeiten im Jahr wie zum Beispiel zur Tag- und Nachtgleiche oder zum Winter- oder Sommerbeginn die Sonne beim Auf- oder Untergang genau in die Eingänge schien. Daraus leiten sie ab, dass die Anlagen vorrangig rituelle Bedeutung gehabt haben dürften. Diese Funktion müssen wir aber, und daran gibt es keine Zweifel, um die soziale Bedeutung ergänzen. Es könnte hier zu Zusammenkünften einer größeren Gruppe von Menschen gekommen sein, die wahrscheinlich auch von weiter entfernt herkamen.“
Dass die Kreisgrabenanlagen spezielle Orte für Treffen gewesen sein dürften, darauf deutet etwas Weiteres hin. Und zwar, dass sich solche Rondelle nicht in allen neolithischen Siedlungen finden lassen, sondern nur in einigen. Laut Jaroslav Řídký könnten jene mit Kreisgrabenanlagen eine zentrale Funktion im damaligen Gemeinwesen gehabt haben.
Die Forschung an den monumentalen Bauwerken ist in Tschechien jedoch nicht so fortgeschritten wie zum Beispiel im benachbarten Österreich. Das heißt, keine der Anlagen wurde bisher öffentlichkeitswirksam rekonstruiert. Aus wissenschaftlicher Perspektive seien aber zwei Funde hierzulande von Bedeutung, so der Archäologe:
„Beim Bau einer Umgehungsstraße bei Kolín wurden insgesamt drei Rondelle gefunden. Eines davon ist überhaupt das größte in Mitteleuropa. Es hatte bis zu 240 Meter Durchmesser und bestand aus drei voll ausgebauten Grabenringen. Der vierte wurde jedoch nicht vollendet – sonst wären die erwähnten 240 Meter erreicht worden. Vier Eingänge führten ins Zentrum. Rund 50 Meter neben diesem sogenannten Mega-Rondell entstand ungefähr zur selben Zeit noch eine weitere Kreisgrabenanlage. Sie hatte aber nur einen Grabenring. Auch bei ihr führten vier Eingänge ins Innere, aber sie waren etwas anders angeordnet als beim großen Nachbarn.“
Während bei den Anlagen nahe dem mittelböhmischen Kolín keine Aufschüttungen mehr zu erkennen waren, ist dies nahe der Gemeinde Třebovětice im Böhmischen Paradies etwas anders. Denn der Fundort liegt im Wald…
„Die Entdeckung wurde gerade deswegen gemacht, weil noch ein Erdwall zu erahnen war. Ob es solche Erdwälle gegeben hat, darüber hatten die Wissenschaftler zuvor 30 bis 40 Jahre lang gestritten. Heute wissen wir, dass die Anlagen wirklich Wälle gehabt haben. Interessierte können sich im Wald von Třebovětice selbst davon überzeugen. Soweit ich weiß, gibt es nur vier solcher Fälle in ganz Mitteleuropa – der eine bei uns und drei weitere in Österreich“, sagt der Experte von der Akademie der Wissenschaften.
Mindestens so geheimnisvoll wie die Entstehung der Kreisgrabenanlagen ist auch ihr relativ plötzliches Verschwinden, das 4700 Jahre vor unserer Zeitrechnung einsetzte. Auch dazu bestehen einige Erkenntnisse und mehrere Theorien.
„Es ist möglich, dass die meisten Rondelle gezielt wieder zugeschüttet wurden. Vielleicht geschah dies aus rituellen Gründen, oder es kam zu einem Kollaps der entsprechenden Machtsysteme, den wir bis heute jedoch nicht erklären können. Für Letzteres haben wir nur gewisse Hinweise aus der Kulturanthropologie. So können wir sehen, dass sich die Struktur der Siedlungen in manchen Gegenden damals verändert hat“, erläutert Řídký
Der Archäologe weist zudem auf eine interessante Parallele hin. Gerade aus der Zeit des größten Baubooms von Kreisgrabenanlagen würden auch die meisten Funde an verzierter Keramik stammen:
„Im westlichen Teil Mitteleuropas hatten die Keramiken Einstiche mit einem mehrzinkigen Gerät, sodass teils komplizierte Muster entstanden. Neben dieser sogenannten Stichbandkeramik entstanden weiter östlich unterschiedlich farbige Bemalungen – gelbe, rote und weiße. Weil eben so viel Keramik gefunden wurde, sind auch die Datierungen recht einfach. Zugleich konnten zahlreiche importierte Produkte ausgegraben werden – also Artefakte, die nicht in die jeweilige Gegend passen. Das heißt, wir haben an allen Orten der Kreisgrabenanlagen Gegenstände unterschiedlicher Kulturen gefunden.“
Im Fall der tschechischen Fundorte sagt Jaroslav Řídký, dass dies im westlichen Landesteil meist Stichbandkeramik war. Ebenso sind aber bemalte Keramikteile freigelegt worden, die mit Sicherheit nicht auf tschechischem Boden entstanden sind, sondern in der Slowakei. Ob dies bedeute, dass die damaligen Menschen herumgewandert seien oder aber Handel betrieben hätten, könne man leider jedoch bisher nicht sagen, so der Archäologe.
Kreisgrabenanlagen in Kürze
Die ersten Anlagen enstanden wohl etwa 4850 v. Chr., ab 4700 v. Chr. wurden sie wieder aufgegeben. Das bedeutet, dass sie nur wenige Generationen über genutzt wurden!
Die Rondelle tauchen ungefähr zur selben Zeit auf den Gebieten von vier bis fünf archäologischen Kulturen und Kluturgruppen auf.
Kreisgrabenanlagen stechen durch ihre Größe und ihre Form aus allem heraus, was bis heute aus der damaligen Zeit bekannt ist. Ihr Grundriss war standardisiert (kreisförmig, Eingänge, innere Palisadenringe sowie ein Kreisgraben an der Außenseite), ihre Gestaltung wies Regelmäßigkeiten auf: maximal drei innere Palisadenringe und vier äußere Gräben.
Die Serie entsteht in Kooperation mit dem Archäologischen Institut der Akademie der Wissenschaften in der Tschechischen Republik.