Bayerisch-böhmischer Barock aus dem 3D-Drucker

Foto: Martina Schneibergová

Mit einer neuen Methode sollen zerstörte Dörfer in den ehemaligen Sudetengebieten digital zugänglich gemacht werden. Dazu werden historische Fotografien auf eine bestimmte Weise dokumentiert. Dies ist das Ziel eines Forschungsprojektes der Technischen Hochschule Deggendorf, an dem sie mit dem Museum Fotoatelier Seidel in Český Krumlov / Krumau und der Südböhmischen Universität in České Budějovice / Budweis zusammengearbeitet hat. Dieses und ein weiteres Forschungsprojekt beschreibt eine Ausstellung, die vor kurzem in der Galerie der Bayerischen Repräsentanz in Prag eröffnet wurde. Professor Wolfgang Dorner leitet an der Technischen Hochschule Deggendorf das Institut für Angewandte Informatik. Martina Schneibergová hat bei der Vernissage mit ihm gesprochen.

Foto: Martina Schneibergová

Professor Wolfgang Dorner  (Foto: Martina Schneibergová)
Herr Professor Dorner, wie ist die Idee für die beiden Projekte entstanden?

„Die Idee zum Projekt PhotoStruk war sehr banal. Ich habe nach historischen Fotografien zum Thema Hochwasser recherchiert und habe im Fotoatelier Seidel ein Bild gefunden, das beschriftet war mit ,Stadt, Fluss, Gebäude‘. Ich habe sofort gewusst, dass es Passau ist. Das war der Initialzünder. Ich habe gedacht, es gibt doch viele Leute, die die Region kennen, die zwar keine Historiker oder Archäologen sind, aber trotzdem einen Beitrag leisten können, indem sie etwas über ein Foto sagen können, was für die Wissenschaft wichtig sein könnte: Wo wurde das Foto gemacht, wer ist darauf dargestellt oder wann vielleicht es gemacht wurde. Das war der Anlass für PhotoStruk, die Idee, dass wir die Fotografien online zur Verfügung stellen und den Leuten, die daran interessiert sind, die Möglichkeit geben, ihr Wissen über diese Fotografien zu annotieren.“

Wie arbeiten Sie mit dem Museum Fotoatelier Seidel in Český Krumlov zusammen?

Foto: Martina Schneibergová
„Das Fotoatelier Seidel war für uns ein wunderbarer Ansprechpartner als Experte zum Thema historische Fotografien – es ging darum, wo man diese Fotografien findet, wie sie verwaltet werden, usw. Auf der anderen Seite ist das Fotoatelier Seidel ein gigantischer Schatz von Fotos. Wir haben momentan mit einem Satz von 1000 bis 1500 historischen Bildern gearbeitet, die uns das Atelier zur Verfügung gestellt hat. Natürlich war es extrem spannend, mit solchen Daten arbeiten und mit solchen Experten zusammenarbeiten zu können. Dabei konnte man dann sehen, wo die Informatik helfen kann, den Geisteswissenschaften und der breiten Bevölkerung einen Mehrwert zu schaffen.“

Können Sie den Begriff PhotoStruk erklären?

„Die Idee ist, aus Fotografien dreidimensionale Objekte zu rekonstruieren. Der erste Punkt ist, das richtige Foto im Atelier zu finden und zweitens dieses Foto einem Objekt, einem zerstörten Gebäude zuzuweisen. Und im dritten Schritt haben unsere Kollegen aus Budweis eine exzellente Arbeit geleistet, indem sie die Fotos mit Befunden aus der Archäologie kombinieret und daraus alte, zerstörte Gebäude wieder aufleben lassen haben.“

Foto: Martina Schneibergová
Haben Sie dabei Entdeckungen gemacht, mit denen Sie vorher nicht gerechnet haben?

„Für uns als Informatiker war ein spannendes Thema, wie wir die künstliche Intelligenz dafür nutzen können.“

Man muss bemerken, dass es bei PhotoStruk nicht nur um Bilder aus Bayern, sondern auch aus dem Böhmerwald geht. Sind Sie dabei auf Spuren von inzwischen verschwundenen Dörfern gestoßen?

„Es ist faszinierend, dass wir im Atelier Seidel 70 Jahre Geschichte der Fotografie erleben können. Das Museum Fotoatelier Seidel in Krumau ist bestimmt einen Besuch wert, es ist ein einzigartiger Ort. Es ist zudem ein Schatz der Dokumentation der Grenzregion. Die Seidels haben nicht nur in Krumau, sondern auch im Bayerischen Wald und Böhmerwald fotografiert.“

Hatten Sie die Möglichkeit, jemanden zu treffen, der den jüngeren Seidel noch gekannt hat?

„Leider nicht persönlich. Wir haben aber mit Herrn Hudičák vom Atelier Seidel und seinen Kollegen Ansprechpartner, die die Geschichte des Ateliers perfekt kennen und uns mit Rat zur Seite standen. Wir waren nicht nur daran interessiert, bei den Fotos Daten zu analysieren. Sie haben uns vermittelt, was hinter den Fotografien an Technik steckt, wie man damals gearbeitet hat, wie das Atelier aufgebaut war. Dies war für uns sehr hilfreich, um zu wissen, wie wir die Computertechnik nutzen können, um die Fotos besser zu verstehen.“

Foto: Martina Schneibergová

Wie sind die 3D-Modelle entstanden, die in der Ausstellung gezeigt werden?

Foto: Martina Schneibergová
„Unsere Kollegen von der Universität in Budweis, die Archäologen sind, haben die Befunde von Grabungen mit den alten Bildern kombiniert. Dann haben sie damit angefangen, aus diesen Bildern dreidimensional vermessungstechnische Computermodelle zu bauen. Diese wurden über einen 3D-Drucker ausgegeben. Im Fall des Projektes Peregrinus Silva Bohemica haben wir uns mit dem Barock auseinandergesetzt. Dort haben die Experten von der Westböhmischen Universität in Pilsen auf Basis von alten Plänen, aktuellen Fotografien und eigenen Vermessungsarbeiten 3D-Modelle rekonstruiert, die wir jetzt verwenden.“

Woher kommt der Name des zweiten Projektes?

„Mit dem Titel Peregrinus Silva Bohemica haben wir ein wenig Reminiszenz zu den historischen Pilgerrouten genommen, die es zwischen Bayern und Böhmen gibt und auf denen sich viele Barockdenkmäler befinden. Zum anderen wollten wir damit zum Ausdruck bringen, dass der Bayerische Wald und der Böhmerwald tatsächlich Regionen sind, wo man auch heutzutage noch auf den Spuren des Barock pilgern kann. Wir haben den religiös besetzten Begriff verwendet und das Kulturelle mit übertragen, weil wir die Leute motivieren wollen, aus den Städten rauszugehen und den Barock nicht nur dort zu suchen. Sie sollten auch aufs Land gehen und dort durch die Landschaft pilgern und miterleben, wie große berühmte Baumeister wie die Familie Asam oder Dientzenhofer bei uns in der Region Kulturdenkmäler geschaffen haben. Diese integrieren sich in die wunderschöne Landschaft.“

Peregrinus Silva Bohemica  (Foto: Martina Schneibergová)
Kommen wir noch auf die Modelle von Bauwerken zurück, die in der Ausstellung gezeigt werden. Es gibt darunter einige, die man auch berühren darf. Wie sind sie entstanden?

„Uns stehen für das Projekt Peregrinus Silva Bohemica zwei Arten von Modellen zur Verfügung. Die einen wurden von der Universität in Olomouc aus Papierblöcken im 3D-Druckverfahren erstellt. Das sind Farbmodelle. Wir haben aber auch Tastmodelle erstellen lassen. Sehbehinderte können die Barockvielfalt, seine Formen und Sprache mit den Fingern ertasten und erleben.“

Wird die Ausstellung auch an weiteren Orten gezeigt?

„Wir sind jetzt mit der Ausstellung so zu sagen on tour. Wir haben einige Exponate bereits in Freyung und in Deggendorf präsentiert. Hier in Prag präsentieren wir zum ersten Mal die beiden Projekte in einem so großen Umfang. Wir haben aber schon zahlreiche Anfragen erhalten, um die Objekte an anderen Orten zu zeigen. Unser Institut für angewandte Informatik hat jetzt im Herbst zehn Jahre Jubiläum. Da werden wir die Ausstellung für uns selbst verwenden und den Leuten in der Region zeigen, was für Schätze es bei ihnen gibt. Die Ausstellung wird auch im Centrum Bavaria Bohemia in Schönsee zu sehen sein. Wir werden sie auch an weiteren Orten in der Region zeigen.“

Sie stammen aus Landshut. In Ihrem Vortrag bei der Vernissage haben Sie erwähnt, dass Sie eigentlich keine Beziehung zu den Regionen Bayerischer Wald und Böhmerwald hatten. Hat sich das während der Arbeit an den beiden Projekten geändert?

„Ja, das hat sich komplett geändert – bis dahin, dass ich im Sommer im Urlaub mit meiner Familie in Böhmen unterwegs war.


Die Ausstellung mit dem Titel „Spurensuche – Wiederentdeckung von kulturellem Erbe im Grenzgebiet“ ist in der Bayerischen Repräsentanz in Prag bis Ende September zu sehen. Sie ist von Montag bis Freitag zwischen 9 und 12 Uhr sowie zwischen 14 und 16 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei.

Foto: Martina Schneibergová