Begegnung "auf Tschechisch"

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Es treffen sich ein Südkoreaner, ein Deutscher und ein Kanadier - wie sprechen sie? Tschechisch! Die Tschechische Republik wird nicht oft zum Mittelpunkt des Geschehens, aber Anfang des Monats wurde Tschechien zum einzigen Thema der Diskussion. Denn es haben sich Experten für die tschechische Literatur in Prag getroffen. Über den Dritten Kongress der literaturwissenschaftlichen Bohemistik berichtet Bára Procházková in der heutigen Ausgabe der Rubrik "Begegnungen":

Und was haben dieser Südkoreaner, der Deutsche und der Kanadier gemeinsam? Ein tschechisches Buch in der Hand - denn alle drei sind nach Prag gekommen, um über die Werke der tschechischen Schriftstellerin Bozena Nemcova zu sprechen. Und nicht nur diese drei! Weitere 170 Fachleute für tschechische Literatur aus über 20 Staaten der Welt haben sich Anfang Juli in der Prager Akademie der Wissenschaften getroffen, um sich in tschechischer Sprache über die tschechische Literatur auszutauschen. Dabei soll auch Tschechien selbst für die Bohemisten zum Mittelpunkt werden, erklärt der Direktor des Kongresses, Pavel Janousek:

"In der heutigen Zeit scheint es so zu sein, dass das Wichtigste irgendwo hinter der Grenze passiert und dass die tschechische Wissenschaft nur dann einen Erfolg hat, wenn sie sich im Ausland präsentiert. Aus der Sicht der Bohemistik ist das aber anders, weil wir das Zielland für alle sind. Irgendwo in der Welt leben Menschen, die die tschechische Sprache gelernt haben, die tschechische Literatur lesen und für die wir interessant sind."

Die Fachleute haben besonders die literaturwissenschaftliche Bohemistik zu ihrem Forschungsschwerpunkt gewählt, sagt Janousek weiter:

"Die Bohemistik ist ein Fach, das sich mit der tschechischen Sprache, der tschechischen Literatur, der tschechischen Geschichte und mit der tschechischen Kultur beschäftigt. Dieser Kongress repräsentierte also nur einen Teil der allgemeinen Bohemistik."

Nach dem EU-Beitritt Tschechiens ist an europäischen Universitäten eine Welle von Schließungen von bohemistischen Abteilungen ins Rollen gekommen. Die Bohemisten kämpfen dagegen. Die Wichtigkeit der Bohemistik für das kulturelle Erbe hat der Slawist von der Universität Greifswald, Alexander Kratochvil, beschrieben:

"Die Welt braucht die Bohemistik natürlich, um die schönen tschechischen Bücher im Original lesen zu können und um den Inhalt zu vermitteln, falls sie nicht im Original gelesen werden können. Andererseits braucht die Welt die Bohemistik, weil Tschechien ein altes Kulturland im Herzen Mitteleuropas ist und eine Brückefunktion zwischen Ost und West hat."

Das erste Mal fand das Treffen der Kenner der tschechischen Literatur 1990 statt, seitdem lädt die tschechische Akademie der Wissenschaften alle fünf Jahre ins Herz der Bohemistik ein, um wissenschaftliche Gespräche über die tschechische Literatur zu führen. Der erste Kongress sollte erstmal nur einen Überblick schaffen, wer und wo sich mit der Bohemistik auf der Welt beschäftigt. Fünf Jahre später haben sich die Bohemisten zum zweiten Mal in Prag getroffen, so Janousek:

"Der zweite Kongress hat vor fünf Jahren im Jahr 2000 stattgefunden, und das magische Datum hat dem Kongress auch sein Thema gegeben. Das Treffen wurde der Problematik des Jahrtausends in der tschechischen Literatur aber auch in den Literaturen der anderen Länder gewidmet, aus denen die Teilnehmer gekommen sind. Sie haben dann die tschechische und die ausländische Sicht miteinander verglichen."

Der dritte Kongress wurde gleich drei Themen gewidmet. Das erste Themenfeld war dem tschechischen Dichter Vladimir Holan anlässlich seines 100. Geburtstages gewidmet, das zweite Motiv war der 150. Geburtstag des berühmten Werkes von Bozena Nemcova mit dem Titel "Babicka" (Großmutter). Das Rahmenthema schließlich war ein Blick über die Grenze: Die tschechische Literatur im Ausland und das Ausland in der tschechischen Literatur. Was ist aber eigentlich die tschechische Literatur im Ausland? Eine Antwort vom Direktor des Kongresses, Pavel Janousek:

"Wenn man von der tschechischen Literatur in der Welt spricht, dann gibt es sehr unterschiedliche Antworten. Denn die tschechische Literatur sieht in Polen, in Korea, in Kanada oder in Ungarn jeweils anders aus. Wichtig ist der gegenseitige Einfluss, es geht darum, dass die Nationen gegenseitig voneinander wissen und sich reflektieren. Wenn ich aber ganz allgemein sprechen sollte, dann ist die tschechische Literatur in der Welt Milan Kundera und Franz Kafka. Von Kafka wissen wir allerdings nicht, ob es tschechische Literatur ist."

Die Themen sind wichtig, das Zusammenkommen der Menschen jedoch wichtiger. Dies galt auch beim Bohemistikkongress in Prag, bestätigt Janousek:

"Dieses Treffen verfolgt immer zwei Aufgaben. Erstens die wissenschaftliche Seite, denn es treffen sich Fachleute aus der ganzen Welt, die sich mit tschechischer Literatur beschäftigen und hier dann die Ergebnisse ihrer Arbeit präsentieren. Im wissenschaftlichen Teil waren interessante Beiträge aus aller Welt zu hören. Es ist immer sehr interessant, wenn ein bestimmtes Phänomen von Personen mit unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet wird. Meinungen aus aller Welt werden hier miteinander konfrontiert. Des Weiteren ist es wichtig, dass sich dort Menschen treffen, die sich nur aus Fachzeitschriften oder aus Büchern kennen. Beim Kongress treffen sie sich endlich persönlich."

 Gertraude Zand  (Foto: Autorin)
Dies kann auch Gertraude Zand, Bohemistikprofessorin am Institut für Slawistik an der Universität Wien, bestätigen. Sie hat es zwar aus Wien nicht weit nach Tschechien, dennoch freut sie sich immer, ihre Kollegen zu treffen, denn die Bohemistikwelt ist sehr übersichtlich. Dazu Zand:

"Es ist ganz lustig, wenn sich hier die Bohemisten aus aller Welt treffen. Meistens arbeitet man relativ exponiert, obwohl es bei mir in Wien nicht so schlimm ist. Vor allem gilt das aber zum Beispiel für Bohemistikinstitute irgendwo in Südkorea. Nun strömt alles an einem Ort zusammen, und das ist sehr interessant, weil man vergleichen kann, was hier und dort gemacht wird. Gleichzeitig bewegt man sich direkt im Zentrum der Bohemistik. Es gibt sehr viele Vorträge. Was mir aber wichtiger erscheint, sind die Kontakte, die man mit anderen Persönlichkeiten knüpfen kann. Manchmal ergeben sich auch sehr gute Möglichkeiten für irgendwelche gemeinsamen Projekte."

Auch Alexander Kratochvil von der Universität in Greifswald ist froh, dass die tschechische Akademie der Wissenschaften regelmäßige Treffen der Tschechisch-Experten veranstaltet:

"Es war sehr wichtig, Kollegen aus der ganzen Welt zu treffen."

Während des Kongresses wurde ein neuer Gedanke ausgesprochen: Eine Weltgesellschaft der Bohemisten soll gegründet werden. Auf die Frage, warum die Welt die Bohemistik braucht, sagt Janousek von der Akademie der Wissenschaften:

"Das ist eine ähnliche Frage, wie die, warum die Welt Anglistik, Romanistik, Germanistik oder ein anderes Fach braucht, das sich einer bestimmten Nation widmet. Es ist dabei egal, ob es sich um ein kleines oder ein großes Volk handelt. Ich denke, dass es gut ist, wenn die Welt die Vielfalt respektiert und wenn diese Vielfalt in der Welt präsentiert wird."

Obwohl die Bohemisten zu inoffiziellen Botschaftern der Tschechischen Republik in der Welt geworden sind, lässt ihre Unterstützung vonseiten Tschechiens in diesem Falle noch zu wünschen übrig, bedauert Pavel Janousek. Die Fachleute bräuchten zumindest halbjährige Forschungsaufenthalte im tschechischen Umfeld, damit sie für ihre Arbeit in den Quellen recherchieren können, so Janousek:

"Die Tschechische Republik verhält sich gegenüber diesen Personen meistens nicht besonders zuvorkommend. Im Gegensatz zu den Nachbarländern hat Tschechien keine Austauschprogramme, mit denen die Experten zum Studium und zur Forschung hierher gelockt werden. Auf der Ebene der Universitäten funktioniert der Austausch einigermaßen, aber was die Akademie der Wissenschaften betrifft, so ist die Kommunikation mit dem Ausland manchmal sehr schwierig."