Brünner Hauptbahnhof soll 800 Meter nach Süden reisen
Unseren nun folgenden "Schauplatz", liebe Hörerinnen und Hörer, den verlegen wir diesmal in die mährische Stadt Brno / Brünn. Diese macht nämlich derzeit durch ein Bauvorhaben von sich reden, das getrost als Monsterprojekt bezeichnet werden kann. Und zwar sowohl was den Kostenaufwand betrifft, als auch hinsichtlich seiner umfangreichen Auswirkungen auf die städtische Infrastruktur. Die Stadtverwaltung plant, den Brünner Hauptbahnhof an eine andere Stelle zu verlegen. Damit würde sie nicht nur riesige Areale einer Neugestaltung unterziehen, sondern auch Tonnen von Material und vor allem viele Milliarden Kronen bewegen. Entsprechend heftig ist auch der Streit, der in Brünn über das Projekt ausgebrochen ist. Gerald Schubert hat beide Seiten gehört und den folgenden Beitrag gestaltet:
Sie zählt wohl zu den wichtigsten Nord-Südverbindungen im europäischen Eisenbahnverkehr, und vor allem für die Reisenden zwischen Deutschland, Tschechien und Österreich ist sie von großer Bedeutung: Die Bahnstrecke Hamburg - Berlin - Dresden - Prag - Wien. Auf dem zuletzt genannten Abschnitt gibt es noch eine Stadt zu nennen, nämlich die mährische Metropole Brno / Brünn - mit etwa 370.000 Einwohnern immerhin die zweitgrößte Stadt der Tschechischen Republik. Wenn Sie auf dieser Strecke schon einmal gefahren sind, dann ist Ihnen vielleicht der alte Bahnhof in Brünn aufgefallen, dem man trotz seines schon recht verfallenen Glanzes die architektonische Schönheit durchaus noch ansieht. Ein weiteres Spezifikum des Brünner Hauptbahnhofs: Er liegt direkt in der Stadtmitte. Nur wenige Schritte sind es bis zur Fußgängerzone, die zum zentralen Hauptplatz Námestí svobody führt. Geht es nach den Plänen der Brünner Stadtverwaltung, dann könnte es damit jedoch bald vorbei sein. Der Bahnhof soll um etwa 800 Meter nach Süden verlegt werden. Gegenüber Radio Prag erklärt Vizebürgermeister Petr Zbytek, warum:
"Wenn Sie aus der Luft auf die Stadt Brünn hinunterblicken, dann sehen Sie genau, wo die Bebauung durch Wohnhäuser endet. Dahinter liegt eine riesige Fläche von etwa 80 bis 100 Hektar, auf der ein Gewirr aus Gleisen und verschiedenen alten Bahnhofsgebäuden herrscht. Durch einen Umbau des gesamten Eisenbahnknotens will die Stadt Brünn dieses Gelände nun öffnen. So, dass die Stadt und ihre Bebauung sich nach Süden hin weiter entwickeln können, auf ein Gebiet, das heute völlig vernachlässigt ist. Außer Gleisen, verschiedensten Abfällen und Gebäuden, die niemand mehr braucht, ist dort überhaupt nichts."
Eine Argumentation, die die Gegner des Mammutprojekts nicht teilen. Martin Ander ist Vorsitzender der Umweltorganisation Duha und engagiert sich nun auch in der Brünner Initiative namens "Bahnhof im Zentrum". Gegenüber Radio Prag erklärt er seine Argumente:
"Wir wenden vor allem zwei Dinge ein. Erstens: Die Entwicklung des südlichen Teils des Stadtzentrums ist auch bei Beibehaltung des Bahnhofs an seiner jetzigen Stelle möglich. Außerdem ist die geplante 'Entwicklung' ziemlich künstlich. Die Stadtverwaltung versucht, mit enormen Kosten die Entwicklung in einem einzigen Stadtteil in Gang zu bringen. Das lässt befürchten, dass es später kein Geld für andere Stadtviertel geben wird - für den Bau von Schulen, die Renovierung von Kliniken, die Wartung von Gehwegen, oder auch die Errichtung von neuen Parkplätzen in den Stadtrandsiedlungen, was in Brünn ein großes Problem darstellt."
Außerdem, so Ander, hat die Lage des Bahnhofs dort, wo er sich jetzt befindet, große Vorteile:
"Der Bahnhof ist heute in unmittelbarer Nähe des historischen Stadtkerns. Von ihm aus sind diverse Ämter und Institutionen, die im Zentrum Brünns liegen, für die Bahnreisenden zu Fuß zu erreichen. Außerdem liegt direkt vor dem Bahnhof ein einzigartiger Knotenpunkt des öffentlichen Verkehrs, wo derzeit acht der insgesamt dreizehn Straßenbahnlinien zusammenkommen. Sollte der Bahnhof verlegt werden, dann würde das eine sehr plötzliche und kostspielige Investition für die Stadt bedeuten. Denn außer dem Umbau der Bahnanlagen selbst müssten neue Leitungssysteme, neue Verkehrswege und neue Straßenbahntrassen errichtet werden. Das alles ist ein enormes Risiko, das die Stadt nicht eingehen sollte. Sie sollte stattdessen der Modernisierung des Bahnhofs an der jetzigen Stelle den Vorzug geben, die keine so schnellen und umfangreichen Investitionen erfordert."
Dieses Argument lässt wiederum Petr Zbytek, Brünner Vizebürgermeister und Befürworter der Bahnhofsverlegung, nicht gelten. Denn die Folgekosten, so meint er, seien durchaus überschaubar:
"Natürlich: Wenn die Stadt eine Verlegung des Bahnhofs will, dann muss sie auch für eine Anbindung des öffentlichen Nahverkehrs sorgen. Wir rechnen dabei mit Kosten von etwa 3 Milliarden Kronen im Laufe von zehn Jahren. Das sind 300 Millionen Kronen, also etwa 10 Millionen Euro pro Jahr für die städtische Infrastruktur. Also für Straßen und für den städtischen Nahverkehr."
Werfen wir aber einen Blick auf die Kosten, die die eigentliche Verlegung des Bahnhofs mit sich bringen würde, also noch bevor die Stadt irgendwelche Folgemaßnahmen treffen müsste: Hier ist von etwa 20 Milliarden Kronen die Rede, das sind mehr als 650 Millionen Euro. Die Finanzierung würde nicht nur auf die Stadt Brünn entfallen, beteiligen würden sich auch der Landkreis Südmähren, die Tschechische Republik und die Europäische Union. Dennoch hat das Vorhaben eine solche Tragweite, dass vor zwei Wochen ein lokales Referendum über die künftige Position des Bahnhofs entscheiden sollte. Das Ergebnis: 85 Prozent sprachen sich gegen seine Verlegung aus. Das Ergebnis ist allerdings für die Stadtverwaltung nicht bindend. Denn dazu wäre eine Wahlbeteiligung von mindestens 50 Prozent nötig gewesen, zu den Urnen aber kamen gerade mal knappe 25 Prozent. Martin Ander von der Initiative "Bahnhof im Zentrum" ist enttäuscht. Aber:
"Das Referendum war sicher nicht das letzte Wort in dieser Sache. Es stehen Landkreiswahlen bevor, wo sich auch jene Bürger dazu äußern können, die außerhalb Brünns leben und nicht am Referendum teilnehmen konnten. Sie haben jetzt die Möglichkeit eine Partei zu wählen, die für die Beibehaltung des Bahnhofs im Zentrum eintritt. Das Regionalparlament wird nämlich eine wichtige Rolle spielen, denn der Landkreis ist ja einer der vier Partner beim Umbau des Bahnknotens."
Für Vizebürgermeister Petr Zbytek war es umgekehrt wohl eine gute Nachricht, dass das größte lokale Referendum der tschechischen Geschichte aufgrund der geringen Wahlbeteiligung nicht verbindlich ist. Dennoch: Die 85 Prozent, die sich gegen den Plan der Stadt ausgesprochen haben, muss auch er ernst nehmen:
"Die 70.000 Bürger, die für die Beibehaltung des Bahnhofs gestimmt haben, kann man natürlich nicht einfach übergehen. Wir müssen also mit unserer Informationskampagne fortfahren, damit die Leute verstehen, dass ein Umbau des Bahnhofs an seiner jetzigen Stelle und ein Neubau an einer anderen Stelle finanziell ungefähr aufs Gleiche hinauslaufen. Und dass die Menschen auch nicht durch Bauarbeiten belästigt werden. Denn die spielen sich alle außerhalb des verbauten Gebiets ab, auf einem Areal, auf dem außer Gleisen nichts ist."
Die nächste Etappe in der Causa beginnt also voraussichtlich nach der Landkreiswahl am 5. und 6. November. Doch auch wenn viele Bürger gegen das Mammutprojekt Bahnhofsverlegung sind: Bei der Wahl zum Regionalparlament spielen doch auch ganz andere politische Fragen eine Rolle. Wie auch immer am Ende entschieden wird: Das alte Bahnhofsgebäude bleibt in jedem Fall bestehen. Es steht nämlich unter Denkmalschutz.