Bürgerrechte, Dialekte und cineastische Leckerbissen

Der Januar steht in Tschechien im Zeichen des Gedenkens an die Charta 77. Der 40. Geburtstag der damaligen Bürgerrechtsbewegung ist auch für das Tschechische Zentrum ein Anlass zu mehreren Veranstaltungen. Zudem geht es in den nächsten Wochen um Literatur, Sprache und Film. Mehr zum Programm in der Bundeshauptstadt im Interview mit der stellvertretenden Leiterin des Zentrums, Christina Frankenberg.

Markéta Pilátová  (Foto: Martin Melichar,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Frau Frankenberg, wir haben zwar den Auftakt für das Jahr 2017 mit dem Doku-Montag verpasst, aber schon in der kommenden Woche geht das Programm des Tschechischen Zentrums weiter. Und zwar kommt die Schriftstellerin Markéta Pilátová nach Berlin und wird bei Ihnen lesen. Vielleicht können Sie die Autorin und ihren Roman Tsunami Blues den Hörern vorstellen?

„Der Roman Tsunami Blues spielt, wie wir das von Markéta Pilátová kennen, zwischen der Tschechischen Republik und Lateinamerika. Diesmal nimmt uns die Autorin mit in die mährische Provinz und spannt einen interessanten und überraschenden Handlungsbogen nach Kuba. Die Geschichte hat zu tun mit dem Geheimnis einer mährischen Hispanistik-Professorin und dem Lebensgeheimnis eines kubanischen Trompeters, der in der mährischen Provinz wohnt. Der Roman wurde von Mirko Kraetsch übersetzt und ist kurz vor Weihnachten auf Deutsch erschienen. Ich freue mich sehr, dass wir die Autorin bei uns zu Gast haben werden, und auch der Übersetzer Mirko Kraetsch wird sicher Zeit haben, bei unserer Lesung vorbeizuschauen. Markéta Pilátová wird im Übrigen auf Tschechisch lesen, die deutsche Übersetzung projizieren wir dann. Damit werden sowohl die deutschen als auch die tschechischen Muttersprachler auf ihre Kosten kommen sowie diejenigen, die Tschechisch lernen. Stattfinden wird das Ganze am Donnerstag, 19. Januar.“

Wie erwähnt war an diesem Montag bereits ein Dokumentarfilm bei Ihnen zu sehen. Und zwar über einen der Musiker der Plastic People of the Universe, deren Verhaftung damals den Anstoß gegeben hat für die Charta 77. Und in dem Ton, könnte man sagen, geht es am 23. Januar bei einem weiteren Doku-Montag weiter. Ich spiele an auf Marta Kubišová…

„Der Film ‚Die magische Stimme einer Rebellin‘ zeigt Marta Kubišová auch als politische Persönlichkeit.“

„Wir werden dann den Dokumentarfilm ‚Magický hlas rebelky‘, also ‚Die magische Stimme einer Rebellin‘, eben über Marta Kubišová zeigen. Ganz viele Tschechen kennen Kubišová als ‚Stimme des Prager Frühlings‘ und hervorragende Sängerin. Vielleicht nicht ganz so viele wissen, dass sie recht schnell die Charta 77 unterschrieben hat. Sie war sogar die erste weibliche Sprecherin der Charta. Der Dokumentarfilm von Olga Sommerová stellt eben Marta Kubišová nicht nur als Sängerin vor, sondern auch als eine politische Persönlichkeit, die ihr ganzes Leben lang für ihre Überzeugungen eingestanden ist und damit privat Nachteile in Kauf genommen hat.“

Gerd Poppe  (Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag)
Die Bürgerrechtsbewegung Charta 77 ist ja bereits angeklungen. In den Räumen der tschechischen Botschaft findet am 25. Januar eine Podiumsdiskussion zum 40. Geburtstag der Charta statt, und zwar mit interessanten Gästen. Wer ist dabei?

„Zunächst vielleicht: Es handelt sich um ein gemeinsames Projekt des Tschechischen Zentrums, der Tschechischen Botschaft und der Deutschen Gesellschaft, mit Unterstützung der Bundeszentrale für politische Bildung. Am 25. Januar um 18 Uhr laden wir alle ganz herzlich ein zu der erwähnten Podiumsdiskussion. Wir werden den Philosophieprofessor Jan Sokol aus Prag und die tschechisch-deutsche Journalistin Daňa Horáková mit dabei haben. Sie sind unsere Zeitzeugen auf dem Podium und haben beide selbst die Charta unterzeichnet. Dann haben wir Tomáš Vilímek eingeladen, der am Institut für Zeitgeschichte zur Geschichte während der sogenannten Normalisierung in den 1970er und 1980er Jahren forscht. Außerdem ist der ehemalige DDR-Bürgerrechtler Gerd Poppe zu Gast. Und nach der Podiumsdiskussion wird es um 20 Uhr noch ein Konzert der Plastic People of the Universe geben.“

Die tschechischen Zentren bieten ja auch Sprachkurse an. Aber eine Frage stellt sich wohl vielen Menschen, die aus dem deutschen Sprachraum kommen: Wie halten es die Tschechen mit Dialekten? Dazu haben Sie am 8. Februar einen Vortrag. Wer wird diese Frage den Wissbegierigen beantworten?

„Wir haben die Frage gestellt: Welche Bedeutung haben die Dialekte heute noch in der tschechischen Sprache.“

„Wir haben aus Tschechien Frau Dr. Stanislava Kloferová zu Gast. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung für Dialektologie am Institut für tschechische Sprache bei der Akademie der Wissenschaften. Sie beschäftigt sich schon seit Jahrzehnten mit den tschechischen Dialekten. Unter anderem hat sie an einem sechsbändigen Sprachatlas und einem Wörterbuch der Dialekte des Tschechischen mitgearbeitet. Wir haben sie gebeten, in ihrem Vortrag vor allem über die heutige Situation zu sprechen. Es sind Fragen wie: Welche Bedeutung haben die Dialekte heute noch in der tschechischen Sprache? Welche Dialekte lassen sich unterscheiden? Wo sind sie verbreitet? Uns interessiert auch, ob Dialekte von jungen Leuten überhaupt noch gesprochen werden. Frau Kloferová wird zudem sicher auf historische Bezüge eingehen. Wir denken, dass dieser Vortrag von besonderem Interesse sein könnte für all diejenigen, die bei uns am Zentrum Tschechisch lernen.“

Illustrationsfoto: Carlos Ferrer
Apropos Sprachkurse, zwei Tage vor dem Vortrag, also am 6. Februar, geht bei Ihnen das neue Semester los…

„Genau, bis dann kann man sich noch einschreiben für die Kurse auf allen Sprachniveaus. Und am 4. und 5. Februar gibt es die Möglichkeit, bei uns im Zentrum die Zertifikatsprüfung CCE der tschechischen Sprache abzulegen. Das geht normalerweise eigentlich nur in Prag. Aber in Zusammenarbeit mit der Karlsuniversität besteht auch zweimal im Jahr in Berlin die Gelegenheit dazu. Diese Prüfung steht allen offen, die sich mit der Sprache beschäftigen, also nicht nur den Teilnehmern unsere Kurse.“

Anfang Februar steht die Berlinale an, die Filmfans freuen sich sicher schon drauf. Tschechische Filme sind den Informationen nach auch dabei…

„Der tschechische Kultfilm Ikarie XB 1 ist eine Art Vorläufer der US-amerikanischen Serie Raumschiff Enterprise.“

„Das Programm ist wohl noch nicht komplett erstellt, einige Filme werden meist bis Ende Januar nachnominiert. Aber die ersten tschechischen Produktionen für die Berlinale sind bestätigt. Am längsten steht bereits die Ausstrahlung eines Filmklassikers fest, und zwar im Rahmen einer Retrospektive von Science-Fiction-Filmen. Gezeigt wird der tschechische Kultfilm Ikarie XB 1 von 1963, gedreht von Jindřich Polák. Man kann sagen, dass er eine Art Vorläufer der US-amerikanischen Serie Raumschiff Enterprise war, diese begann erst drei Jahre später. Der ‚Guardian‘ schrieb beispielsweise, Ikarie XB 1 sei ‚einer der aufregendsten Science-Fiction-Filme aller Zeiten‘. Er ist nun digital restauriert worden.“

Und welche weiteren Leckerbissen für Fans des tschechischen Films bietet die Berlinale?

„Zwei weitere Streifen sind auch bereits ins Programm aufgenommen worden. So wird bei den Berlinale Specials im Kino International der Film ‚Masaryk‘ seine Weltpremiere feiern. Dieser Film von Julius Ševčík beschäftigt sich mit dem Leben von Jan Masaryk. Und zwar geht es nicht nur um den geheimnisvollen Tod des ehemaligen tschechoslowakischen Außenministers, sondern auch um Geheimnisse aus seinem Leben. Der zweite schon bestätigte Film ist von Agnieszka Holland. Er trägt den polnischen Titel ‚Pokot‘, englisch ‚Spoor‘. Er erlebt im Wettbewerb der Berlinale seine Weltpremiere. Es ist eine Krimihandlung, die in den Sudeten spielt. Der Plot basiert auf einem Buch der polnischen Autorin Olga Tokarczuk. Von Agnieszka Holland wurde er in Zusammenarbeit mit der tschechischen Produktionsgesellschaft Nadprodukce und dem Tschechischen Fernsehen gedreht. Darüber hinaus spielt der bekannte tschechische Schauspieler Miroslav Krobot eine der Hauptrollen. Eventuell wird es noch weitere tschechische Filme bei der Berlinale geben. Auf der Homepage des Tschechischen Zentrums veröffentlichen wir bei Zeiten eine genaue Auflistung aller Filmvorführungen.“

Autor: Till Janzer
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