Coronavirus im Grenzgebiet – Virologe Dalpke sieht Hinweise auf einen Austausch
Bereits seit Mitte März werden in Dresden auch positive Corona-Proben aus Tschechien und Polen sequenziert. In einem grenzüberschreitenden Projekt unter der Leitung des Virologen Alexander Dalpke soll herausgefunden werden, wo welche Mutationen des Virus aufgetreten sind und sich verbreitet haben. Mehr zu dem Projekt, insbesondere im Hinblick auf Tschechien, nun in einem Interview mit Professor Dalpke.
Herr Professor Dalpke, das Universitätsklinikum Dresden sequenziert in einem Projekt auch tschechische und polnische Corona-Proben. Warum diese grenzüberschreitende Arbeit?
„Wir haben festgestellt, dass es wichtig ist zu wissen, welche Varianten kursieren. Zugleich war unser Wissen darüber im letzten Jahr, als die Pandemie losging, leider nur begrenzt. Deshalb hat Deutschland – wie auch viele weitere Länder – angefangen, regelmäßig einen bestimmten Anteil der positiven Isolate zu sequenzieren. In Sachsen besteht aber auch ein durchaus reger Austausch nach Tschechien und Polen. Deshalb kam der Wunsch auf, mehr über das Infektionsgeschehen im Dreiländereck in Erfahrung zu bringen. Außerdem ist der Zugriff auf die Sequenzierungen in den jeweiligen Ländern nur begrenzt möglich. Also entstand die Idee, dieses regionale Programm aufzulegen. Damit können wir einen Überblick gewinnen, welche Varianten im grenznahen Gebiet vorkommen und – das werden dann wissenschaftliche Auswertungen ergeben – ob es dort einen Austausch gibt über die Grenzen hinweg, beziehungsweise in welchem Ausmaß er erfolgt.“
Wie viele Proben haben Sie bereits sequenziert, und wie viele brauchen Sie für das Projekt?
„Wir haben aus Tschechien bereits 647 Proben sequenziert, das sind ungefähr 50 Proben pro Woche. Vom polnischen Partner erhalten wir etwas weniger, also circa 30 Proben in der Woche. Und aus Deutschland sequenzieren wir derzeit zwischen 70 und 140 Proben pro Woche. Mit den sinkenden Fallzahlen wird es jetzt etwas weniger. Mit Tschechien besteht die Zusammenarbeit seit 15. März. Wir denken, dass wir dadurch eine Art Schnappschuss davon erhalten, was aktuell im Grenzgebiet an Varianten vorhanden ist. Dazu laufen die wissenschaftlichen Auswertungen. Wir haben bereits erste Hinweise, dass es einen Austausch beispielsweise der britischen Variante über die Grenzen hinweg gab. Derzeit untersuchen wir, ob sich die Frequenz mit Einführung von Grenzkontrollen verringert hat oder eben nicht. Dafür werden wir aber noch ein paar mehr Daten analysieren müssen.“
Heißt das, mit den Analysen ließe sich auch feststellen, ob beispielsweise eine Corona-Welle von einem Land ins andere geschwappt ist? Der bayerische Ministerpräsident Söder hatte so etwas angedeutet in seinen Aussagen zu Tschechien…
„Das kann man am Ende nicht sicher feststellen. Aus der Ähnlichkeit von Viren lässt sich zwar ableiten, dass es einen gemeinsamen Vorläufer gab – oder im Fall von gleichen Viren, dass irgendwo ein Kontakt stattgefunden haben muss. Das ist aber nicht so einfach mit einer Analyse zu machen. Es müssen weitere Aspekte berücksichtig werden wie zum Beispiel die unterschiedlichen Inzidenzen in den jeweiligen Ländern. Aber natürlich ist einer der Hintergründe des Projektes herauszufinden, ob wir anhand der Virus-Sequenzdaten tatsächlich Hinweise verifizieren oder falsifizieren können, dass es zu solch einem grenzüberschreitenden Austausch gekommen ist – und wenn ja, in welchem Ausmaß er stattgefunden und womöglich auch zum lokalen Infektionsgeschehen beigetragen hat. Dazu können wir im Moment anhand der Daten, die wir haben, noch keine finale Auskunft geben.“
Gibt es denn die Möglichkeit, dass hier in Tschechien eine eigene Variante des Coronavirus entstanden ist? Ich denke dabei daran, dass in Tschechien bereits über 1,6 Millionen Corona-Fälle bestätigt worden sind, und manche Virologen und Immunologen glauben, dass die wahre Zahl der Infektionen doppelt oder dreimal so hoch gelegen haben könnte…
„Viren verändern sich ja grundsätzlich die ganze Zeit weiter. Und die Varianten-Einteilung, die wir derzeit machen, ist immer noch etwas grob. Es bestehen aber feine Unterschiede, die man nutzen kann, um zum Beispiel innerhalb der britischen Variante nähere Verwandtschaftsverhältnisse zu analysieren. Wir analysieren derzeit, ob in Tschechien sowie auch einigen Teilen Deutschlands – aber ebenso in anderen europäischen Ländern – eine besondere Variante von B117 aufgetreten ist, die vielleicht auch erklären könnte, warum es in Tschechien eine so große letzte Welle gab. Diese Analysen sind aber noch nicht abgeschlossen. Dabei wird zusätzlich zur Klassifikation etwa der britischen Variante geschaut, ob es spezielle Mutationen gibt, die nur an dem einen oder dem anderen Ort vorkamen. Tatsächlich bestehen darauf ein paar Hinweise.“
Sie haben gesagt, dass Sie auch den tschechischen Kollegen bei der Sequenzierung etwas helfen wollen. Vergangene Woche wurden hierzulande offizielle Zahlen veröffentlicht, nach denen bisher 2700 positive Proben in Tschechien sequenziert wurden. Mir kommt das angesichts der Infektionszahlen unglaublich wenig vor. Wie viel wird im Vergleich in Deutschland untersucht?
„Wir haben im vergangenen Jahr in Deutschland auch relativ wenig sequenziert. Eigentlich wollten wir im März letzten Jahres bereits damit anfangen. Das gestaltete sich aber aus formalen Gründen relativ schwierig. Zu Ende des Jahres wurde jedoch erkannt, dass diese wichtige Information über Varianten, ihre Verbreitung und die Dynamik fehlt. Daher hat Deutschland im Januar eine Corona-Surveillanceverordnung erlassen. In dieser ist geregelt, dass man inzidenzabhängig fünf bis zehn Prozent aller positiven Proben sequenzieren kann und der Bund dafür aufkommt. Seitdem sind die Sequenzierzahlen hierzulande in die Höhe gegangen. Das gilt auch für uns als Standort. Wir sind im Moment in der Lage, zehn Prozent der Isolate zu sequenzieren und damit einen gewissen Querschnitt zu erstellen. Wie das in Tschechien genau ist, kann ich Ihnen natürlich nicht sagen. In der Tat wäre aber die Anzahl von 2700 Isolaten, bezogen auf die Gesamtzahl der Infektionen, eine Limitation. Aber auch in Deutschland hatten wir im letzten Jahr keinen solchen Überblick. Erst seit Januar ist das besser geworden. Wie mit einer großen Lupe sehen wir nun wenigstens, welche Varianten es gibt.“
Abschließend würde mich noch interessieren, wie das Projekt eigentlich finanziert wird.
„Die Projektidee ist im Rahmen der Corona-Surveillanceverordnung aufgekommen und dann mit hiesigen Politikern besprochen worden. Denn für Sachsen ist der grenznahe Verkehr natürlich ein ganz wichtiger Aspekt. Zudem ist die Diskussion über die Grenzkontrollen für beide Seiten schwierig, da dies auch wirtschaftliche Implikationen hat. Im Februar sind wir an das Bundesministerium für Gesundheit herangetreten und haben nach der Möglichkeit gefragt, über die Finanzierung der deutschen Sequenzen hinaus im grenznahen Gebiet zusätzliche Proben zu untersuchen. Wir haben am 10. März dafür tatsächlich eine Zusage vom Bundesministerium bekommen. Den tschechischen und polnischen Partnern bin ich dankbar, dass wir innerhalb von ein bis zwei Wochen das laufende Projekt gestaltet haben, sodass wir nun regelmäßig Proben aus den grenznahen Regionen erhalten und sequenzieren.“