„Das Vertrauen ist bei Null“ – Politologe Schuster zum Koalitionsstreit
Die tschechische Mitte-Rechts-Koalition aus Bürgerdemokraten, der konservativen Top 09 und der populistischen Partei der öffentlichen Angelegenheiten ist so nah an ihrem Ende wie noch nie. Am Sonntag scheiterte ein Treffen der Koalitionsspitzen, bei dem es eigentlich um die Personalwünsche der kleinsten Regierungspartei, der Partei der öffentlichen Angelegenheiten (VV) gehen sollte. Stattdessen pochte die Partei auf Garantien, dass die Mittel im von ihr verwalteten Bildungsministerium nicht gekürzt werden. Änderungen verlangte sie auch bei der Steuerreform. Darauf platzte vor allem Außenminister Karel Schwarzenberg, dem Vorsitzenden von Top 09, der Kragen geplatzt. Er bat Premier Nečas, die weiteren Gespräche auszusetzen, da es nichts mehr zu verhandeln gebe. Zu dieser Weiterentwicklung im Koalitionsstreit nun der Politologe und Radio-Prag-Mitarbeiter Robert Schuster.
„Ich weiß ehrlich nicht, was noch passieren muss, um diesen sehr zerstrittenen Haufen wieder zusammenzubringen. Denn die wichtigste Voraussetzung, um regieren zu können, ist das Vertrauen - und dieses Vertrauen scheint mir bei allen drei Regierungsparteien wirklich bei Null angekommen zu sein. Was in den letzten Wochen und Tagen von verschiedenen Mitgliedern und auch verschiedenen Parteien der Regierung an die Öffentlichkeit gelangt ist, das zeugt eigentlich davon, dass diese Regierung keine gemeinsame Vertrauensbasis mehr hat.
Normalerweise wirken schlechte Umfragewerte disziplinierend auf die betreffenden Parteien. In der aktuellen Situation könnte man sagen, die Umfragen sind so schlecht, dass einige Parteien nicht einmal mehr den Sprung in das Parlament schaffen würden. Das betrifft auch die VV-Partei. Bei ihr wirkt diese disziplinierende Maßnahme eigentlich nicht mehr und die Partei ist jetzt wirklich dabei, diese Regierung zu sprengen. Es könnte natürlich noch einen Vermittlungsversuch durch Präsident Václav Klaus geben. Václav Klaus hat sich schon mehrmals in diese schleppende Regierungskrise eingeschaltet. Zum Beispiel im Dezember, kurz vor Weihnachten vergangenen Jahres, hat er vermittelnd eingegriffen. Bei einem Streit um die Besetzung des Polizeipräsidentenpostens half er vermittelnd und rettete so die Regierung. Es kann gut möglich sein, dass er auch diesmal noch eingreifen will, aber es ist fraglich, ob es ihm gelingt.“Haben die Parteien einen „Plan B“ für den Fall, dass das Regierungsbündnis tatsächlich auseinanderbrechen würde?„Da sollte man die tschechischen Parteien nicht überschätzen. Schon vergangene Regierungskrisen haben gezeigt, dass ihre Akteure oft sehr blauäugig gehandelt haben. Sie haben zum Beispiel Konfliktsituationen in der Regierung oder in Bündnissen zugespitzt und sich nicht vorher vergewissert, dass sie auch tatsächlich die nötige Mehrheit oder die Möglichkeit haben, um dieses oder jenes durchzusetzen. Da ist schon einiges in der Vergangenheit schief gelaufen, und ich würde auch jetzt nicht annehmen, dass die Regierungsparteien einen Plan B haben oder auch schon an Strategien für beispielsweise Neuwahlen feilen, denn Neuwahlen sind in Tschechien sehr unpopulär. Erst im vergangenen Jahr wurde gewählt. Eine weitere Wahl könnte man den Wählern sehr schlecht verkaufen. Denn warum soll dieses Bündnis, das eine sehr komfortable Mehrheit hat, auf einmal scheitern? Das ist ja auch eine Frage, wie man das den Wählern vermittelt.“
Ungeachtet des offenen Ausgangs der aktuellen Regierungskrise: Warum hat dieses Bündnis nie so recht funktioniert? Es hat immerhin eine klare Mehrheit im Abgeordnetenhaus, und auch die zuletzt immer wieder angesprochenen programmatischen Unterschiede waren auch nicht so gravierend…„Ja, das stimmt. Vor allem die Mehrheit im Parlament war im Vergleich zu vergangenen Regierungen fast erdrückend. Die Regierungskoalition hatte fast die Verfassungsmehrheit. Damit hätte sie sicher vieles durchsetzen können. Ich denke, die Wurzeln des ganzen Übels sind Konflikte innerhalb der drei Regierungsparteien, die immer wieder kreuz und quer durch die Lager gehen. Da hat auf einmal der konservative Flügel um Premier Petr Nečas in der ODS gegen die Konservativen von der TOP 09 um die Vorherrschaft im bürgerlichen Lager gekämpft. Dann hat sich wieder der liberale Flügel der Bürgerdemokraten, die Kommunalpolitiker, mit der VV-Partei um Grundlagen kommunaler Politik gestritten oder die VV-Partei mit dem Top-09-Flügel um Miroslav Kalousek um wieder anderes. Es gibt viele Konflikte, die immer wieder in verschiedenen Varianten zum Vorschein gekommen sind, aber das passiert natürlich in jeder Koalitionsregierung. Da gibt es immer Flügelkämpfe, so auch in Deutschland. Aber entscheidend ist, ob es jemanden gibt, der diese Konflikte überbrücken kann. Das wäre normalerweise der Premierminister, aber auch Petr Nečas ist scheinbar nicht der geborene Parteiführer oder der geborene politische Führer, der es schafft, klare Linien vorzugeben. Das ist letzten Endes vielleicht der Hauptgrund, warum dieses Bündnis so schwach dasteht.“