Der Lehrer lernt von seinen Schülern

Gymnasium in Slavičín (Foto: palickap, Wikimedia Commons, CC BY 3.0)

Slavičín ist ein kleines Städtchen mit rund 6500 Einwohnern. Es liegt im Kreis Zlín in Südostmähren, am Fuß der Weißen Karpaten. Mittlerweile beherbergt der Ort nur noch ein Gymnasium, es gilt aber als Vorzeigeschule. Ein Besuch beim Schulleiter.

Josef Maryáš  (Foto: Archiv des Gymnasiums in Slavičín)
Als das Gymnasium im September 1992 eröffnete, hielt Josef Maryáš dort die allererste Unterrichtsstunde. Er war damals einfach nur Chemie-Lehrer. Dabei hatte er als Schüler zunächst keine genaue Vorstellung davon gehabt, in welche Richtung seine künftige Ausbildung gehen sollte. Erst in der Abiturklasse entschied er sich für eine Karriere in den Naturwissenschaften. Er ging zum Studium an die Masaryk-Universität in Brno / Brünn. Nach dem Abschluss unterrichtete Maryáš kurze Zeit gleichzeitig auch an einer Grundschule und einer Fachmittelschule in Slavičín. Bald aber begann seine Laufbahn am neuen Gymnasium, und zwar als Lehrer für Mathe und Chemie. 2002 avancierte er dort zum Schulleiter. Und er blieb auch im Amt, als seine Schule zehn Jahre später mit dem zweiten Gymnasium der Stadt fusionierte.

„Meine Position und mein Beruf ist ein Weg der kontinuierlichen Suche. Ich habe keine fixe Vorstellung, wie genau der Unterrichtsprozess aussehen soll oder wie die Kollegen und Kolleginnen in ihren Unterrichtsfächern vorgehen beziehungsweise welche Methoden sie anwenden sollen. Wichtig ist, sich ständig Fragen stellen. Das ist aus meiner Sicht notwendige Voraussetzung für die Berufsausübung. Und das versuche ich auch meinen Kollegen zu vermitteln“, so Josef Maryáš.

Kontinuierliche Suche

Gymnasium in Slavičín  (Foto: palickap,  Wikimedia Commons,  CC BY 3.0)
Heute gehört der Mittvierziger zu den dienstältesten Schulleitern im Kreis Zlín. Sein Credo als Pädagoge, Schulleiter und Mensch ist auf dem Internetportal des Gymnasiums zu finden:

„Entschiedenheit, Anspruchsdenken, Freundlichkeit in der Einheit und der Ausgewogenheit sowie Vernunft und Demut.“

Auf die Frage, wie all das im Schulunterricht zu vereinen ist, sagt Josef Maryáš:

„Dieses Motto ist mindestens 2000 Jahre alt. Gläubige wissen, wovon ich rede. Für mich ist es das Leitmotiv nicht nur im Verhältnis zu den Schülern und Kollegen, sondern generell im Leben und beim täglichen Umgang mit den Menschen. Seit 40 oder 50 Jahren vollzieht sich zunehmend der technologische Wandel. Gleichzeitig aber öffnet sich die virtuelle Schere zwischen dem technischen Fortschritt und den zwischenmenschlichen Beziehungen in der Gesellschaft. Meiner Meinung nach haben die neuen Technologien mittlerweile einen gewissen Vorsprung vor uns Menschen. Das können wir an der Schule nicht unbeachtet lassen. Die Hauptaufgabe von uns Lehrern – vor allem an den weiterführenden Schulen – sehe ich darin, den Schülern eine Beziehung im breiten Sinne des Wortes zu vermitteln. Damit meine ich sowohl das Zwischenmenschliche, als auch eine positive Einstellung zu einem konkreten Unterrichtsfach beziehungsweise zu einem konkreten Thema.“

Gymnasium in Slavičín  (Foto: YouTube)
Den Lehrern, so Josef Maryáš, lasse er freie Hand bei der Gestaltung ihres Unterrichts. Dabei lege er ihnen vor allem ans Herz, ihre eigene positive Einstellung zum jeweiligen Fach auf die Schüler zu übertragen:

„Ein jüdisches Sprichwort sagt, der beste Lehrer des Lehrers sei sein Schüler. Obwohl ich als Schulleiter weniger Unterrichtsstunden in meinen eigentlichen Fächern habe, treffe ich noch immer auf ein höchst kritisches Publikum – falls ich so die Schüler im Alter zwischen 15 und 20 Jahren bezeichnen darf. Dabei bemühe ich mich, in ihrer Weltanschauung Inspirationen für mich zu finden. Wenn ich das Gefühl habe, dass einige ihrer Wertevorstellungen oder Äußerungen für mich nicht akzeptabel sind, trete ich auf den Plan. Allerdings nicht um mich zu ärgern oder zu protestieren, sondern um zu diskutieren und zu erläutern. So will ich den richtigen Zugang zu meinen Schülern finden. Und wenn ich auf der Suche bin, dann suche ich gerade durch sie.“

Einblicke in die Wissenschaft

Tomáš-Baťa-Universität | Foto: Adam P.,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 4.0 DEED
Das Gymnasium Slavičín legt großen Wert darauf, den Unterricht mit der Praxis zu verbinden. Deswegen absolvieren die Schüler organisierte Praktika an Hochschulen oder in Krankenhäusern.

„Vor ungefähr fünf oder sechs Jahren haben wir damit begonnen. Wir haben uns davon leiten lassen, dass wir in unserer Schule noch etwas mehr Fachorientierung und höhere Qualität im Unterricht haben wollten. So sollen unsere Schüler eine Vorstellung davon erhalten, wie es zum Beispiel in medizinischen, juristischen oder naturwissenschaftlichen Fachbereichen oder aber beim Studium an einer Hochschule für Gesellschafts- und Humanwissenschaften aussieht. Die wahrscheinlich engste Zusammenarbeit haben wir mit der Tomáš-Baťa-Universität im nicht weit entfernten Zlín. Intensiv arbeiten wir auch mit technischen Hochschulen sowie mit einer Hochschule für Informatik zusammen. In diesem Jahr gab es bei uns zudem einen Schüler, der einen individuellen Unterrichtsplan hatte. In seiner Abiturklasse lernte er abwechselnd einen Monat am Gymnasium und einen Monat an einer technischen Hochschule.“

Gymnasium in Slavičín  (Foto: YouTube)
Das Gymnasium in Slavičín hat auch Partnerschulen in Deutschland, Frankreich, Italien, England, Griechenland und der nahen Slowakei.

Die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die jedes Jahr nach dem Abitur erfolgreich die Aufnahmeprüfung an einer Hochschule ablegen, ist hoch. Damit schneidet die Schule auch im Vergleich mit größeren Städten gut ab. Für Josef Maryáš ist das aber kein Indikator für die Qualität seiner Schule. Denn für jedes Gymnasium gelte, dass es seiner Aufgabe nach die Schüler auf ein Hochschulstudium vorbereiten muss. Deswegen habe er seine Meinung in dieser Hinsicht geändert, so der Schulrektor:

Gymnasium in Slavičín  (Foto: YouTube)
„Nach meinem Amtsantritt habe ich ein paar Jahre lang vor den Eltern der angehenden Gymnasiasten herausgestrichen, dass fast alle Schüler von uns, die sich an einer Hochschule bewerben, auch aufgenommen werden. Das halte ich heute für kein Argument mehr. Die Abiturienten müssen einfach adäquat für das Hochschulstudium vorbereitet werden. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Und ich denke, so sehen es auch alle anderen Leiter von Gymnasien hierzulande.“

Stichwort Abitur. Hierzulande setzt sich die Prüfung aus zwei Teilen zusammen. Einer wird zentral gestellt, der andere jeweils an der Schule ausgearbeitet. Und Mathematik ist in Tschechien noch kein Pflicht-Prüfungsfach, sondern kann als Alternative zu einer Fremdsprache gewählt werden. Das soll sich aber bald ändern.

Ungeliebte Mathematik

Foto: Barbora Němcová
Das Problem: Laut Umfragen ist Mathe das unbeliebteste Fach bei den hiesigen Schülern. 22 Prozent der Abiturienten haben in diesem Jahr die schriftliche Mathe-Prüfung nicht bestanden. Die schlechten Resultate in dem Fach führen immer wieder zur Diskussion, ob es wirklich zum Pflichtfach werden soll. Das ist ab 2021 für die Gymnasien und ein Jahr später auch für die anderen weiterführenden Schulen geplant. Wie sieht dies der Rektor und Mathe-Lehrer aus Slavičín?

„Darüber wird schon seit vielen Jahren diskutiert. Und immer haben sich auch die Konzepte für das Mathe-Abitur geändert. Mal ist ein Anforderungsniveau für alle geplant, also für die Schüler von Gymnasien, Fachschulen und der Berufsschulen mit Abitur gemeinsam. Ein anderes Mal stehen zweierlei Abiturtypen mit differenzierten Anforderungen zur Wahl. Derzeit wird schon wieder debattiert, welche Ansprüche man an die Abiturienten in Mathe stellen soll. Das zeigt, dass innerhalb der Fachkreise und der Politik weiterhin kein Konsens herrscht“, sagt der Rektor.

Josef Maryáš zufolge braucht das tschechische Schulwesen einen breiten Kompromiss mit langer Dauer. So lange dies aber nicht möglich sei, dürfe man nicht mit den Schülern experimentieren, meint der Rektor. Ebenso vermisst Maryáš eine klare Vision, wie sich Tschechien in den kommenden zwanzig oder dreißig Jahren in Europa profilieren will. Daran müsste sich dann das Schulsystem orientieren, findet er.