Der Medienspiegel

Willkommen zur ersten Ausgabe des Medienspiegels im neuen Jahr. Wie immer haben wir für Sie interessante Kommentare aus tschechischen Zeitungen der vergangenen Woche zusammengestellt. Autor ist diesmal Christoph Amthor:

Präsidentenwahl, Referendum und der bevorstehende Beitritt zur Europäischen Union: Zum Jahreswechsel beschäftigten sich die Kommentatoren der tschechischen Zeitungen vor allem mit einer Bewertung des vergangenen Jahres und mit einem Ausblick auf das kommende. Bei aller Anerkennung der Leistungen überwiegt dabei ein kritischer, ja oft sogar pessimistischer Ton.

Der Politologe Pavel Saradín etwa konstatiert in der Wirtschaftszeitung Hospodárské Noviny einen Verfall des politischen Klimas:

"Das Jahr 2003 lässt sich als ein Jahr der verringerten politischen Kultur und der gesteigerten politischen Vulgarität begreifen. Die traditionellen Brennpunkte der Vulgarität haben sich ausgebreitet. Das, was vor allem für Sládeks Republikaner oder für Miloš Zeman typisch gewesen war, hat nun die anderen Parteien und ihre verwandten Gruppierungen ergriffen."

Weiterhin beklagt Saradin die Passivität der Regierung in der Bekämpfung der Korruption:

"Der Regierung fehlt es am Mut, Missstände zu bekämpfen, die hier aus den 90er Jahren überdauert haben, vor allem die Korruption. Einigen der 101 Abgeordneten der Koalition konveniert nämlich die Verwandtschaft zwischen ökonomischem und politischem Umfeld. Die Opposition meldet sich zwar von Zeit zu Zeit mit einer Kritik an der Korruption zu Wort, betroffen sind aber nur die augenscheinlichsten Fälle, wie zum Beispiel die Privatisierung der Braunkohlegruben."

In der selben Zeitung kommt Antonín Rasek zu einem ebenso nüchternen Urteil über die Arbeit der Regierung. Er fordert mehr Offenheit und Engagement im Kampf gegen lang bekannte Missstände:

"Das Establishment hat nie den Mut gehabt, noch hat es ihn jetzt, offen zu sagen, wie das eigentlich mit der Privatisierung des so genannten sozialistischen Eigentums gewesen ist, in wessen Hände es gelangt ist und welchen Effekt für unsere Entwicklung das damalige Vermögen von grob Zweibillionen hat. Gleichwohl muss es hier nicht um den sprichwörtlichen tschechischen Neid gehen, hingegen aber um das Verlangen nach Wahrheit und Gerechtigkeit."

Trotz aller Kritik an politischen Führungsstilen konnte die tschechische Wirtschaft ein gutes Ergebnis vorlegen. Der stellvertretende Chefradekteur der Zeitschrift "Euro", Pavel Páral, verweist in seinem Kommentar in der Tageszeitung Lidové Noviny auf weiterhin günstige Wirtschaftsprognosen. Er gibt jedoch auch zu bedenken, dass vor allem sozial Schwache die Leidtragenden einer drohenden Stagnation sein werden:

"Analytiker und Politiker versprechen sich viel von der lang erwarteten Belebung in Westeuropa, vor allem in Deutschland. Der unaufhörlich erstarkende Kurs des Euro gegenüber dem amerikanischen Dollar macht jedoch ihre Hoffnungen zunichte. Diese Entwicklung kann nicht nur das tschechische Wirtschaftswachstum, sondern auch die Arbeitslosenzahlen negativ beeinflussen."

Páral beklagt weiterhin, dass die Regierung es versäumt habe, den Missbrauch von sozialen Leistungen zu begrenzen. Es gehe vor allem zu Lasten der wirklich Bedürftigen, wenn der Staat im sozialen Bereich seine knappen Mittel nicht gezielter einsetze:

"Dank dieser verschwenderischen Politik wird es nicht möglich sein, dass der Staat verstärkt denjenigen hilft, die es wirklich nötig haben, also behinderten Menschen oder Bürgern, die in von schweren Strukturproblemen belasteten Regionen ihre Arbeit verloren haben, wie etwa im Raum Ostrava oder im nordwestlichen Böhmen."

Das vergangene Jahr war für die Tschechische Republik aus ökonomischer Sicht erfolgreich: Die Gehälter sind schneller als in den vergangenen vier Jahren gewachsen, die Preise sogar größtenteils gefallen. Abgesehen von einer besorgniserregenden Arbeitslosenquote müsste also angesichts der Kaufkraft tschechischer Konsumenten aller Anlass zu Optimismus herrschen. Lenka Zlámalová warnt in der Wirtschaftszeitung Hospodárske noviny jedoch davor, dass der herrschende Wohlstand nicht so stabil sei, wie er scheinen mag. Die Ursachen hierfür sucht sie in Strukturproblemen. Sie schreibt:

"Das Problem liegt darin, dass die Menschen hauptsächlich importierte Gegenstände kaufen. Das ist logisch. Wie viele tschechische Firmen bieten attraktive Elektronik, Mobiltelefone oder Markenkonfektion an? Ein Rundgang durch die erstbeste Einkaufspassage zeigt, dass Waren »Czech made« immer in der Minderheit sind. Im Unterschied zu den benachbarten Ländern ist die tschechische Ökonomie im industriellen 20. Jahrhundert erstarrt und hat vergessen, dass das 21. eine Ära der Kenntnisse und Informationen darstellt, wo derjenige reich ist, der Einfälle hat, und keineswegs derjenige, der die Entdeckungen anderer zusammenbaut."

Für nächstes Jahr, so Zlámalová weiter, habe daher die Regierung durch die Kürzung des Etats für Schulwesen und Wissenschaft den Weg zur Besserung verbaut.

Abschließend der Kommentar von Jan Jandourek von der Tageszeitung MF DNES. Mit einer Spur Sarkasmus gibt er einen Ausblick auf die härteren Zeiten im vereinten Europa:

"Die Angst der Menschen vor der Zukunft ist verständlich. Zum mindesten werden alle älter und lassen immer mehr ungenutzte Gelegenheiten hinter sich. Ab einem bestimmten Augenblick reicht dem Menschen die Kraft nicht einmal mehr dazu, diejenigen Gelegenheiten zu nutzen, die ihm noch verbleiben. Der Pessimist sagt, dass in der harten Welt der modernen kapitalistischen Konkurrenz niemand, der hinterher stolpert, eine große Chance hat. Das ist leider nur allzu wahr. Der Optimist sagt, dass es besser ist, arm in einem reichen Land zu sein als in einem armen. Das ist, Gott sei Dank, ebenfalls wahr."