Der Österreichische Rundfunk sendet Nachrichten in tschechischer Sprache
160.000 Menschen flüchteten nach der blutigen Niederschlagung des Prager Frühlings aus der Tschechoslowakei nach Österreich. 10.000 von ihnen blieben auch nach dem Ende der Kampfhandlungen im Land. Deshalb sendete der österreichische Rundfunk ORF neben seinen laufenden Reportagen aus Prag und dem österreichisch-tschechischen Grenzgebiet auch ein tschechischsprachiges Programm.
Wir haben vom ORF die Orignal-Aufnahmen aus dem August 1968 bekommen. Nach genau 40 Jahren sind sie nun auf Radio Prag zu hören.
„Nach den neuesten Nachrichten der freien tschechoslowakischen Sender kommen weiterhin bewaffnete Truppen der fünf Warschauer-Pakt-Staaten in Tschechien an. Wie der freie Prager Rundfunk berichtete, spitzt sich die Versorgungssituation in der tschechoslowakischen Hauptstadt immer weiter zu. Butter ist schon überhaupt nicht mehr erhältlich. Für Milch und Brot stehen die Bürger stundenlang Schlange. Auch die Lagerbestände der übrigen Lebensmittel sinken wegen der immer wieder unterbrochenen oder verzögerten Lieferungen.“
So der Österreichische Rundfunk am 25. August 1968
Diese Nachrichten über die aktuelle Situation waren in erster Linie für die nach Österreich geflüchteten Tschechen und Slowaken bestimmt. Doch auch für die Bürger in den grenznahen Orten und Städten waren sie eine wichtige unabhängige Informationsquelle. Am 22. August 1968 schaltete zudem das tschechoslowakische Innenministerium seine Störsender ab. Als Grund nannte ein Vertreter des Ressorts, dass man die Anlagen nun zur Verbreitung der Programme des Tschechoslowakischen Rundfunks benötige. Außerdem wollte man die Sendungen des russischen Propaganda-Senders „Vltava“ – „Moldau“ stören. So konnte die tschechoslowakische Bevölkerung den freien tschechoslowakischen Rundfunk und die ausländischen Programme ungestört empfangen. Allerdings nur für einige Tage, bevor auch hier die Besatzungsmächte die Kontrolle übernahmen.
Neben politischen Meldungen brachte der ORF auch Informationen über die aktuelle Lage der Flüchtlinge in Österreich.„Auf dem österreichisch-tschechischen Grenzbahnhof bei Gmünd kamen heute Gesandte des österreichischen und des schweizerischen Roten Kreuzes an und trafen mit Vertretern des Tschechoslowakischen Roten Kreuzes zusammen und baten ihre Hilfe an. Ein Gesandter des Österreichischen Roten Kreuzes bot seinen tschechoslowakischen Kollegen die Unterstützung der österreichischen Botschaft in Prag bei der Rückführung jener österreichischen Kinder an, die zurzeit bei Verwandten in Tschechien sind.“
Ein weiterer wichtiger Bestandteil der tschechischsprachigen Sendungen waren Hinweise für die nach Österreich geflüchteten Bürger der Tschechoslowakei.
„Nun einige wichtige Informationen für alle tschechoslowakischen Staatsbürger, die sich in Wien befinden. Tschechoslowakische Staatsbürger, die nun wegen der geänderten Verhältnisse nicht in ihre Heimat zurückreisen können, können sich im Bedarfsfalle für Informationen an die Redaktion der ‚Vídenské svobodné listy‘ / ‚Freie Wiener Blätter‘wenden, Wien 5, Margaretenplatz 7, Telefon 57 83 08. Ich wiederhole: 57 83 08. Zweite Mitteilung: In Zusammenarbeit mit der Organisation ‚Pomoc uprchlíkům‘ / ‚Flüchtlingshilfe‘ gibt die ‚Wiener Öffentliche Küche‘ (WÖK) in allen ihren Filialen für Tschechoslowaken, die in Österreich geblieben sind, kostenlose Mahlzeiten aus. Sie können sich bei der Organisation ‚Pomoc uprchlíkům‘ melden, wo sie Kupons für ein tägliches Essen erhalten. Für Kinder wird besonders gesorgt. Das Küchenpersonal hat die Anweisung, für die Kinder leichte Speisen zu kochen.“
Und auch für alle, die nach dem Ende der unmittelbaren Auseinandersetzungen in der Tschechoslowakei wieder in die Heimat zurückkehren wollten, hatte der ORF wichtige Informationen:
„Zu Beginn eine wichtige Durchsage für alle tschechoslowakischen Staatsbürger, die ohne eigenes Fahrzeug nach Wien gekommen sind: Am Montag, dem 28. August, also morgen, fahren drei Sonder-Autobusse der ČSAD (tschechoslowakisches staatliches Transportunternehmen, Anm.) vor dem Gebäude der tschechoslowakischen Vertretung in der Penzinger Straße 11, Wien 14 zurück in Richtung Tschechoslowakei ab. Die Busse fahren von Wien über Nová Bystříce / Neubistritz, Jindřichův Hradec/ Neuhaus und Benešov / Beneschau nach Prag. Ebenfalls ab morgen, Montag, dem 26. August fährt täglich um 9 Uhr 35 Minuten ein Zug vom Franz-Josefs-Bahnhof über Gmünd nach Prag. Die Fahrt mit dem Zug wie mit dem Bus ist kostenlos. Die Zugfahrten bleiben nur bis auf Widerruf gratis.“
Zu hören waren die tschechischsprachigen Nachrichten im ORF bereits ab 22. August 196, dem Tag nach dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in die Tschechoslowakei
Beendet wurde die Ausstrahlung der Informationen für die tschechoslowakischen Flüchtlinge erst am 6. September 1968.