Der „tschechische Rembrandt“ Peter Brandl – die Geschichte eines Bohemiens
Peter Brandl (1668–1735) war einer der begabtesten und bedeutendsten Maler des Hochbarock in Böhmen. Nach mehr als fünfzig Jahren präsentiert die Nationalgalerie Prag sein Werk nun in einer Ausstellung. Gezeigt werden seine monumentalen Altarbilder, die zu diesem Anlass restauriert wurden, sowie seine berühmten Porträts, aber auch weniger bekannten Genrebilder.
Die Ausstellung in der Wallenstein-Reitschule auf der Kleinseite in Prag zeigt mehr als 60 großformatige Gemälde des Barockkünstlers: große Altarbilder aus den Kirchen in Böhmen und Mähren, die noch nie ausgestellt wurden, sowie seine Porträt- und Genrebilder. Die Präsentation trägt den Titel „Peter Brandl. Die Geschichte eines Bohemiens“ und ist als eine Erzählung mit zwei parallelen Strängen konzipiert: Neben seinen Werken wird die Lebensgeschichte des äußerst unkonventionellen Mannes vorgestellt. Die Kunsthistorikerin und Kuratorin Andrea Steckerová führt uns durch die Ausstellung:
„Was zeichnete diesen Künstler als Bohemien aus? Brandl gilt als ein Mensch und Künstler, der tatsächlich mit dem Kopf gegen die Wand ging. Er verstoß gegen Konventionen sowohl im Berufs- als auch in seinem Privatleben. Er weigerte sich lebenslang, der Malerzunft beizutreten, was seinerzeit Pflicht war. Er war zeitlebens ein Schuldner, kam sogar zweimal ins Gefängnis, war ein Verschwender und ein untreuer Ehemann.“
Am Eingang begrüßt ein bekanntes Selbstporträt Brandls die Besucher. Zu sehen ist das Gesicht eines Mannes im Alter von etwa 30 Jahren. Andrea Steckerová:
„Seine Zeitzeugen beschrieben ihn als sehr hübsch, gesund und redegewandt. Ich stelle mir Brandl als einen sehr kommunikativen Menschen vor, der keinen Mangel an Aufträgen hatte. Man kann sagen, dass Peter Brandl der berühmteste und beste Maler des böhmischen Barock war. Er war sehr gefragt und daher unter den Malern auch am besten bezahlt.“
Schulden und Affären – der barocke Bohemien
Mit dem Geld aus seinen vielen Aufträgen konnte Brandl aber nicht richtig umgehen. Der jüngste Sohn eines Prager Schneiders bewunderte den Lebensstil des Adels und den Luxus, dem auch er sich hingeben wollte. Darüber zeugen zahlreiche Mahnungen seiner Gläubiger, die bis heute erhalten geblieben sind. Eine Liste von Schulden, die er bei einem Händler auf der Kleinseite machte, umfasst über einhundert Posten:
„Er kaufte Wein von den Kanarischen Inseln, Mortadella, Piniennüsse, eine Pfeife, Tabak aus Bologna und Florenz. Zudem schuldete er für Schläger und Bälle im Kleinseitner Ballhaus, wo er sich mit den Adeligen amüsierte. Ich sage manchmal, hätte Brandl keine Schulden gehabt, würden wir heute nichts mehr über ihn wissen.“
Eine weitere kontroverse Linie in Brandls Leben bildeten seine Streitigkeiten mit seiner Frau Helena, sagt die Kuratorin. Sie standen lebenslang in einem Rechtsstreit über die Unterhaltszahlungen für ihre Kinder:
„Brandl war keinesfalls ein Familientyp. Er nutzte womöglich die Gelegenheit, um Prag und seine Familie zu verlassen. Seine Frau Helena beschwerte sich beim erzbischöflichen Konsistorium, dass Brandl sie und seine Pflichten als Ehemann vernachlässige und nach anderen Frauen schaue. Das Paar stand sogar vor der Scheidung. Da Helena eine schlaue Frau war, meinte sie aber, wenn sie sich scheiden lasse, werde sie nie ihr Geld bekommen. Die Ehe existierte also weiter, wohl aber nur aus rein pragmatischen Gründen.“
Fingerabdrücke auf den Bildern
In der Malerei des Hochbarock in Böhmen gab es eine Mischung aus meist italienischen und niederländischen Einflüssen. Mit den Werken dieser Künstler konnte sich Brandl in der kaiserlichen Gemäldegalerie sowie in aristokratischen Sammlungen bekannt machen. Im Unterschied zu vielen anderen Künstlern reiste er nie ins Ausland, um dort eine künstlerische Ausbildung zu bekommen. Auch wenn Petr Brandl an seine verschiedenen Vorgänger und Zeitgenossen anknüpfte, setzten sich bei ihm sein eigener Erfindungsreichtum, der unverwechselbare und originelle Stil und seine eigene künstlerische Handschrift durch:
„Für mich gilt Peter Brandl als tschechischer Rembrandt. Er hatte ein spezielles Konzept. Er gravierte mit dem Pinselstiel in die noch nasse Farbe, nutzte sogar Nägel und hinterließ Fingerabdrücke auf den Bildern. Er war für seine Zeit sehr modern und so soll er auch in der heutigen Zeit wahrgenommen werden.“
Die Werke Peter Brandls wurden in den letzten Jahren gründlich erforscht und viele von ihnen auch restauriert. Der Restaurator der Nationalgalerie, Adam Pokorný, ergänzt:
„Er bemühte sich, das Maximum technischer Ausdrucksmittel jener Zeit zu nutzen. Im Kontext der böhmischen Barockmalerei ist er dank seiner großen Bandbreite einzigartig. Er griff einerseits auf eine Technik zurück, die auf der Schichtung von Farben beruht, mit kalter Untermalung und oberen Schichten aus warmen und transparenten Farbtönen und Glasuren. Und den Gegenpol dazu bildete die Technik alla prima, also die Malerei, die nur in einer Schicht ausgeführt wird. Ein ikonisches Beispiel dafür ist sein Bild ‚Simeon mit dem Jesuskind‘.“
Die Arbeit der Restauratoren wird anhand der größten Leinwand in der Ausstellung eindrücklich deutlich. Das fünf mal drei Meter große Gemälde mit dem Motiv der Josephsgeschichte befindet sich heute im Schloss Jindřichův Hradec / Neuhaus, wurde aber ursprünglich für das Czernin-Palais in Prag geschaffen. Andrea Steckerová:
„Graf Czernin erlaubte Brandl sogar, zwei Zimmer im Palais zu bewohnen. Das ist sehr außergewöhnlich. Denn der Adel ging mit den Künstlern in der Regel nicht auf diese Art um, sie wurden vielmehr bloß als Handwerker betrachtet. Brandl aber genoss tatsächlich große Privilegien. Wenn er sich in den Adelssitzen auf dem Lande aufhielt, wurde er immer wieder gebeten, Taufpate der dort geborenen Kinder zu sein. Ich stelle ihn mir vor als einen sehr populären Künstler, einen wirklichen Star.“
Monumentale Altarbilder und Genreszenen
Brandls Werke wurden von den Bürgern, dem Adel und der Kirche in Auftrag gegeben. Die Besucher der Nationalgalerie können zum Beispiel ein Porträt des Grafen Franz Anton Sporck oder die Darstellung eines unbekannten Adligen besichtigen. Die Kuratorin erzählt die Entstehungsgeschichte des letztgenannten Bildnisses, die aufgrund jüngster Nachforschungen enthüllt wurde:
„Hier gibt es eines der schönsten Porträtbilder Brandls, es zeigt einen Adeligen im blauen Mantel. Und wir stellen daneben ein Röntgenbild des Gemäldes aus, das einen zweiköpfigen Adeligen zeigt. Petr Brandl malte zunächst ein Gesicht, das dem tatsächlichen Aussehen des Mannes mit einer etwas bauchigen Nase entsprach. Der Mann wünschte sich aber wohl ein schöneres Bild. Brandl stellte die Leinwand auf den Kopf und schuf ein neues Bild.“
Von den kirchlichen Aufträgen zeugen große Altarbilder, auf denen sich dramatische Szenen aus dem Leben von Heiligen abspielen. Brandls ikonische Werke sind zu sehen, wie etwa die Taufe Christi aus der Kirche in Manětín oder das monumentale Gemälde der Heiligen Dreifaltigkeit mit der Jungfrau Maria und den Fürsprechern, das aus der Kirche in Lnáře / Schlüsselburg stammt. Diese Darstellung ergänzt ein Gemälde mit dem Motiv der Taufe Christi, das erst kürzlich im polnischen Städtchen Żabów entdeckt wurde.
„Wir haben uns entschlossen, die Gemälde aus den Kirchen in Prag nicht in die Ausstellung zu bringen. Wir sind der Meinung, dass man nach dem Besuch der Ausstellung die monumentalen Altarbilder direkt vor Ort besichtigen kann, sie wurden vor allem für Kirchen auf der Kleinseite geschaffen. Ich konnte aber nicht darauf verzichten, die bedeutendsten Altarbilder aus der Kirche der hl. Margarethe im Benediktinerkloster in Prag-Břevnov auszuleihen, wie das Gemälde, auf dem der Tod des Böhmerwälder Eremiten Gunter dargestellt ist.“
Präsentiert wird auch ein weniger bekanntes Kapitel von Brandls Werk, seine Genrebilder. Die scheinbar unschuldigen Szenen umfassen viele Symbole, die von Kunsthistorikern entschlüsselt wurden. Quacksalber, Betrüger, Raucher und Prostituierte sind häufige Motive dieser Szenen.
Gemalte Autobiographie. Selbstporträts
Die biographische Linie der Ausstellung ergänzen die Selbstporträts des Malers. In ihnen lässt sich das allmählich alternde Gesicht des Künstlers verfolgen. Vom jungen stolzen Mann mit Palette und Pinsel, bis zum letzten Porträt, auf dem er sich nicht mehr als Maler präsentiert:
„Wir sehen Peter Brandl als Mensch. Er zeigt eine besondere Geste. Früher meinte man, dass sie seine Schuldenliste bedeutet. Ich habe aber festgestellt, dass diese Geste in der Barockmalerei ziemlich oft genutzt wurde und das Argumentieren symbolisiert. Er schaut uns an, sein Mund steht offen, er will mit uns kommunizieren und uns etwas erklären.“
Peter Brandl starb 1735, arm, allein und krank in Kutná Hora / Kuttenberg im Alter von 66 Jahren.
Die Ausstellung „Petr Brandl. Die Geschichte eines Bohemiens“ wird noch bis zum 11. Februar 2024 in der Wallenstein-Reitschule auf der Kleinseite in Prag zu sehen sein. Sie ist täglich außer montags zwischen 10 und 18 Uhr geöffnet.
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