Deutsch-tschechisches Team-Teaching als Ideal

F.X. Salda-Gymnasium

Unendliche Ferien! Der Traum jedes Schülers, der Wunsch jedes Lehrers und die Realität für Hans-Jürgen Liske. Er war über acht Jahre lang der Leiter der deutschsprachigen Abteilung des F.X. Salda-Gymnasiums in Liberec / Reichenberg und wird jetzt die Aufgabe seinem Nachfolger überlassen. Bara Prochazkova hat mit ihm über seine Zeit in Nordböhmen und über das Unterrichtssystem an der Schule gesprochen.

Als er Tschechien im Jahre 1969 das erste Mal als Sportler besucht hat, hat er noch nicht geahnt, dass er in diesem Land einmal leben und arbeiten wird. Ende Januar verlässt er nun die nordböhmische Stadt Liberec, nachdem er dort acht Jahre lang die deutschsprachige Abteilung am bilingualen Salda-Gymnasium geleitet hat. Hans-Jürgen Liske hat das Land und die Leute lieben gelernt und schaut gerne auf die Zeit in Reichenberg zurück. Schon vor der Wende hatte er enge Kontakte zur anderen Seite, mal in die DDR, mal zu seinen tschechischen Fechtfreunden oder als Leiter von besonderen Programmen von Emigrantenkindern in der Region von Gummersbach, wo er als Lehrer tätig war. Trotzdem war es für ihn nicht leicht, als er 1997 in den Auslandsschuldienst getreten ist. Die Familienfreunde waren skeptisch, einen speziellen Vorbereitungskurs auf das Land gab es nicht. Obwohl Liske bereits Erfahrungen mit Osteuropa hatte, war es für den Mathematiklehrer kein glatter Übergang:

"Die Anfänge waren kompliziert. Auf der einen Seite privat, weil es fast nicht möglich war, eine Wohnung zu finden, die unseren Vorstellungen entsprach. Unsere Tochter war damals in Deutschland in der fünften Klasse und wollte unbedingt in eine tschechische Schule gehen. Sie musste also anfangen, Tschechisch zu lernen. Es waren also viele Umstellungen notwendig, um hier in einem normalen Umfeld leben zu können. Hier in der Schule lief es zuerst relativ normal an. Es war hier ungewöhnlich, dass ich gefordert habe, dass die Schüler jedes Jahr nach Deutschland fahren müssen."

Über diese Regel freuen sich die Schüler in Liberec ganz besonders. Die 17-jährige Schülerin Veronika Sulkova kann dies bestätigen, denn die Auslandsaufenthalte sind für sie das schönste an der Schule:

"Ich war in Hamburg, Wiesentheid, Vilsbiburg, Berlin und Hannover."

Die Schüler werden in Liberec parallel mit dem tschechischen sowie mit dem deutschen Schulsystem konfrontiert. Zum Abschluss gibt es zwei Prüfungen - die deutsche Hochschulreife nach bayrischen Richtlinien und das tschechische Abitur. In Liberec unterrichten zurzeit neun Lehrer aus Deutschland mit deutschen Lehrbüchern und nach den deutschen Richtlinien. Ein Teil der Fächer wird weiterhin auf Tschechisch unterrichtet. Veronika sieht beim Vergleich ganz klar einen Vorteil für das deutsche System und zwar darin, dass sich die Abiturnote aus den Leistungen der letzten beiden Jahre zusammensetzt. Die tschechische Abiturprüfung sei stressig und nicht objektiv, sagt Veronika. Selbstverständlich gibt es auch negative Seiten an dem deutschen Schulsystem, fährt ihr Mitschüler Peter Seidl fort. Nach den deutschen Richtlinien gibt es im Unterricht weniger Stoff und dies kann bei der Aufnahmeprüfung an eine tschechische Universität Probleme bringen. Außerdem kann man in Tschechien nie eine Sechs bekommen. Nicht dass die tschechischen Schüler so fleißig wären, aber es gibt sie im Notensystem einfach nicht. Die Schüler werden in Liberec jedoch gut auf beide Systeme vorbereitet. Dies konnte Peter selber erleben, als er in der elften Klasse für drei Monate nach Deutschland gefahren ist:

"Ich dachte zuerst, dass ich nervös sein werde, aber es gab keine Probleme. Die Leute waren gut und freundlich. Die Lehrer haben langsam und deutlich gesprochen. Ich habe gesagt, dass ich verstehe und dass sie normal sprechen können. Verstehst Du mich, haben sie immer gefragt. Ja, ich verstehe, Sie können weiter sprechen, habe ich geantwortet. Nach zwei Wochen gab es keine Probleme mehr."

Peter sieht einen klaren Vorteil des bilingualen Gymnasiums in den Fremdsprachenkenntnissen, die man dort erwirbt:

"In einer tschechischen Schule gibt es mehr Stoff und viel Fakten als auf diesem deutschen Gymnasium. Und wir lernen die Fremdsprache. Die Fakten kann man immer nachschlagen, aber eine Fremdsprache lernt man nicht so leicht. Die Kenntnisse der Sprache sind vom Vorteil fürs Leben und für die spätere Arbeit."

Der 64-Jährige scheidende Rektor Hans-Jürgen Liske freut sich ganz besonders, dass die Absolventen seiner Schule später erfolgreich im Studium und im Beruf sind. Den Jugendlichen werden in der bilingualen Schule nicht nur Deutsch oder fachliche Kenntnisse vermittelt. Entsprechend dem deutschen Schulsystem werden auch Wege zum selbständigen Denken und Lernen sowie Strategien für die Problemlösung aufgezeigt. In Tschechien wird dagegen weiterhin viel auswendig gelernt, um das in der Prüfung wiedergeben zu können. Schulleiter Liske sieht bei der Verbindung von beiden Schulsystemen in der Schule für alle Beteiligten viele Vorteile:

"Ich glaube, dass es in gewisser Weise auch eine Annäherung gibt. Die deutschen Lehrer haben gesehen, dass sie mit Schülern, die gut gelernt und viel Basiswissen haben, viel problemorientierter arbeiten können, wenn sie sich auf die Methode eingestellt haben. Und die tschechischen Kollegen, die unseren Unterricht gesehen haben, die haben auch eingesehen, dass man auf bestimmte Methoden des Auswendiglernens verzichten kann und lieber versuchen sollte mit Projektthemen zu arbeiten."

Beide Schulsysteme wollte Hans-Jürgen Liske verbinden. Er ist mit einer klaren Vorstellung nach Tschechien gefahren, leider musste er von seien Plänen teilweise Abstand nehmen:

"Ich dachte, dass man eigentlich intensiver zusammenarbeiten kann. Das beide Lehrergruppen aus Tschechien und Deutschland praktisch einen bilingualen Unterreicht machen, fast wie Team-Teaching. Bevor ich nach Liberec kam, war mir aber nicht bewusst, dass die Prüfungsordnungen Team-Teaching zum gleichen Ziel nicht ermöglichen. Es sind tatsächlich zwei getrennte Prüfungsordnungen mit unterschiedlichen Anforderungen. Dieses Zusammenarbeiten lässt sich also nur in den Grenzbereichen und vorsichtigen Annäherungen durchführen."

Liberec  (Foto: Archiv Radio Prag)
Diese Form sollte vor allem in den Naturwissenschaften anwendbar sein. Man könnte zur Hälfte nach den tschechischen und zur Hälfte nach den deutschen Richtlinien unterrichten, erklärt Liske sein Traumkonzept. Die Lehrer würden zusammenarbeiten und sich aufeinander abstimmen. Aber nicht nur in der Schule gibt es zwischen Tschechen und Deutschen Unterschiede. Auch Hans-Jürgen Liske musste sich darauf einstellen:

"Ein großer Unterschied ist etwa dieser: Wenn ich in Deutschland mit Freunden oder Kollegen in der Schule etwas abgesprochen habe, dann reicht nur eine mündliche Absprache. Ein Beispiel dazu: Wenn ich sage, dass wir eine Besprechung in zwei Monaten um eine bestimmte Uhrzeit machen, dann ist es eigentlich klar. In Tschechien ist es lange nicht klar, ob dann jemand kommt oder da ist. Am Anfang hat das zu Problemen geführt. Für mich war klar, dass wir im März einen Schüleraustausch machen, dann brachte man es nicht mehr zu besprechen. So gab es auch im privaten Bereich viele Kleinigkeiten, als ich zum Beispiel mit Handwerken etwas abgesprochen habe. Dann habe ich aber gemerkt, dass man da noch mal nachfragen muss, oder dies schriftlich bestätigen. Dort gibt es schon einen Unterschied."

In Deutschland muss auch vieles juristisch geklärt werden, in Tschechien reicht eine persönliche Besprechung, so die Erfahrung von Liske. Vermissen wird er den tschechischen Lebensstil, der weniger hektisch ist, als der in Deutschland. Denn in Tschechien sieht man vieles gelassener, sagt er. Und nachdem er Ende Januar nach acht Jahren Tschechien verlässt und bevor er sich neue Herausforderung im Leben sucht, macht Hans-Jürgen Liske erstmal wohl verdiente Ferien.