Deutsch-Türkische Gedichte auf Tschechisch – Internationale Poesie-Tage in Prag
Für Liebhaber von Gedichten und Kurzgeschichten ist der November in Tschechien ganz und gar kein grauer Monat. Es sind die internationalen Poesie-Tage, die Farbe in den – zu dieser Zeit meist neblig- trüben – Prager Alltag bringen. In Cafés und Schulen, an der Bushaltestelle und sogar unter Brücken werden tschechische und internationale Schriftsteller Kostproben ihrer Arbeit geben. Deutschland wurde dieses Jahr von einem gebürtigen Türken vertreten, Zafer Şenocak.
Zafer Şenocaks Lesung fand in der Anglo-Amerikanischen Hochschule in Prag statt.
„Einst suchte ich eine staatenlose Stadt,
um darin unterzugehen,
keiner sollte meine Spur sehen
und je meinen Namen verstehen.
Einst suchte ich eine bleibe für eine Nacht,
das Bett sollte unterm Fenster stehn,
und das Fenster zum Himmel gehen,
damit ich ungesehn verschwände.“
Beobachtungen und Erinnerungen aus der Kindheit – sie sind die wichtigste Quelle aus der die Gedichte und Kurzgeschichten Zafer Şenocaks sprudeln. Der 47-jährige, in der Türkei geborene Şenocak, kam als kleiner Junge nach Deutschland. Er war noch nicht einmal 20 Jahre alt, da machte er schon mit Gedichten in deutscher Sprache auf sich aufmerksam. Später nahm man sogar in den USA Notiz von ihm, so dass er als Gastdozent an amerikansiche Universitäten eingeladen wurde. Seine Gedichte gibt es seitdem auch auf englisch. Und nicht nur das: Seit März liegt ein kleines Poesie-Büchlein von Şenocak sogar in tschechischer Sprache vor. Die bekannte tschechische Schriftstellerin und Journalistin Tereza Brdečková hat es übersetzt. Die beiden haben sich vor ein paar Jahren in einem Haus für Schriftsteller in Frankreich kennengelernt, wie sich Zafer Şenocak erinnert:
„Wir haben uns an den sehr einsamen Abenden dort, gegenseitig Gedichte vorgelesen und auch versucht zusammen etwas zu schreiben. Aus dieser Arbeit ist die tschechische Übersetzung hervorgegangen, denn auf diese Weise hat sie meine Dichtung kennengelernt und sie hat, wie sie heute erzählte, dabei eine intuitive Nähe zu meinen Gedichten gespürt.“Diese persönliche Beziehung zu einem Gedicht, ist sehr wichtig, wie Tereza Brdečková erzählt, denn die wenigsten Gedichte lassen sich einfach wortwörtlich übersetzen. Aber lässt sich Poesie überhaupt in eine andere Sprache übertragen, ohne dass sie dabei an Sinn verliert? Zafer Şenocak meint ja:
„Die Kunst des Übersetzers ist es, die Dichtung wie ein Schiff von einer Küste zur anderen überzusetzen. Das Schiff ist ja da, es hat nur den Stand verändert. So in etwa kann man sich die Übersetzung vorstellen.“
Der Applaus der Zuhörenden war eindeutig: Tereza Brdečková hat es geschafft, das Schiff mit Zafer Şenocaks Poesie sicher vom deutschen zum tschechischen Ufer zu manövrieren. Für sie selbst, bedeutet diese Übersetzung aber noch viel mehr:
„Wir haben hier nur eine kleine linguistische Kultur. Wenn sie also einen großen Dichter durch Übersetzung in die tschechische Literatur bringen, dann wird er auch als ein tschechischer Dichter angesehen. Das ist nicht wie in Deutschland.“