Die „Chance“ Haiti, zwei Präsidentschaftskandidaten und ein Präsident

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Vor allem außenpolitische Themen haben die tschechischen Kommentatoren in dieser Woche beschäftigt, an erster Stelle natürlich Haiti. Außerdem wurde viel geschrieben über die Präsidentschaftswahlen in der Ukraine und es ging um US-Präsident Obama, der seit einem Jahr im Amt ist.

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Moderatorin: Patrick, beginnen wir mit dem Thema, das nach wie vor in aller Munde ist: Haiti. Umgerechnet etwa 770.000 Euro an Finanzhilfen für die Erdbebenopfer hat die tschechische Regierung zu Beginn der Woche beschlossen. Viele haben diese Summe als zu niedrig kritisiert. Wie war da die Meinung der tschechischen Kommentatoren?

Patrick Gschwend: In der Lidové Noviny hat dazu Zbyněk Petráček eine glasklare Meinung formuliert:

„Was die offizielle tschechische Hilfe für Haiti anbelangt, kann man schon jetzt sagen, dass sie vollkommen versagt hat.“

Petráček nimmt dabei die tschechischen Bürger ausdrücklich aus. Die haben bis jetzt schon mehr als doppelt soviel für die Erdbebenopfer locker gemacht wie die Regierung. Aber Petráček geht es in seinem Kommentar gar nicht so sehr ums Geld. Er schreibt:

„Nach einer Katastrophe, wie sie jetzt Haiti erlebte, zählt vor allem schnelle Hilfe, also eine Hilfe, die noch Leben retten kann. Ein Staat mit einem ökonomischen Gewicht wie Tschechien hat nicht die finanziellen oder militärischen Mittel zur Verfügung, um Haiti wieder aufzubauen. Er muss also das schicken, worin er gut ist – wie zum Beispiel Rettungskräfte mit Suchhunden. Warum hat er sie nicht geschickt? Sie seien nicht abgeflogen, weil sie vor Ort nicht landen konnten, behauptet die Regierung?! Aber wie kann es sein, dass das bei Rettungskräften aus vergleichbaren Ländern, wie Spanien, Belgien, Polen oder Israel funktioniert?“

Lech Kaczynski und Václav Klaus
Moderatorin: Nun wurde ja nicht nur Tschechien, sondern auch die gesamte EU für ihre angeblich mangelnde Hilfe kritisiert. Zuletzt vom tschechischen Präsidenten Václav Klaus und vom polnischen Präsidenten Lech Kaczynski…

P. G.: Unter anderem über die Haiti-Hilfe der EU haben die beiden am Rande von Kaczyskis Staatsbesuch in Prag gesprochen. Nun sind Klaus und Kaczynski ja bekannt dafür, bei fast jeder Gelegenheit die EU zu kritisieren. Sie dürften sich daher auch gefreut haben über den Kommentar von Milan Vodička in der Mladá Fronta Dnes:

„Während die Großmacht USA einen Flugzeugträger losgeschickt hat, hat sich die Möchtegern-Großmacht EU in Brüssel noch beraten. Während Obama die ersten 100 Millionen Dollar versprochen hat, hat die EU ihr Beileid für die Opfer ausgedrückt und Experten entsendet, die schauen sollten, was gebraucht wird. Es stimmt, die USA haben es wesentlich näher nach Haiti. Aber genau das gleiche spielte sich schon vor fünf Jahren nach der Tsunami-Katastrophe in Asien ab. Die Ausrede zählt also nicht.“

Ein wenig optimistischer sieht das Thema Haiti Miloš Balabán in der Zeitung Právo. Sein Kommentar trägt die Überschrift ‚Haiti als Memento und Chance’. Aber auch Balabán beginnt mit einer Kritik. Alle Staaten, die jetzt in Haiti Hilfe leisteten, täten dies auf eigene Kappe. Und vor Ort bestehe dann das Problem die Hilfe zu koordinieren und effektiv zu gestalten.

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Moderatorin: Worin sieht Balabán dann in der Katastrophe die ‚Chance’?

P. G.: Er schlägt einen Bogen zur Nato, die ja derzeit ein neues strategisches Konzept sucht. Und Balabán erwähnt dabei den Artikel 5 des Nato-Vertrages, der den Mitgliedsländern militärischen Beistand im Falle eines Angriffs garantiert. Ich zitiere ihn:

„Haiti zeigt uns, dass es nicht fernab der Sache wäre im globalen Maßstab etwas Vergleichbares zu schaffen wie den berühmten Artikel 5 des Nato-Vertrages, nämlich einen Artikel über gegenseitige Hilfe im Fall humanitärer Katastrophen wo auch immer auf der Welt. Wäre das nicht ein Weg um tief greifendes Vertrauen zu schaffen und gegenseitige Animositäten abzubauen, die oft noch aus der Zeit des Kalten Krieges bestehen?“


Moderatorin: Patrick, du hast es eingangs erwähnt. In der Ukraine fand am vergangenen Sonntag die erste Runde der Präsidentschaftswahlen statt. Schon jetzt ist klar: Der Held der ‚Orangenen Revolution’ vor fünf Jahren, Viktor Juschtschenko, ist als Präsident abgewählt. In die Stichwahl gehen der pro-russische Viktor Janukowitsch und die Premierministerin Julia Timoschenko, die als pro-westlich gilt.

Julia Timoschenko  (Foto: ČTK)
P. G.: Die Wahl in der Ukraine hat die tschechischen Kommentatoren besonders interessiert. Das überrascht nicht, denn die Entwicklung in anderen postkommunistischen Staaten beschäftigt die Tschechen natürlich. Speziell die Entwicklung in der Ukraine bewerten die meisten Kommentatoren negativ. Zum Beispiel Magdalena Sodomková in der Mladá Fronta Dnes. Sie gibt zu, die Ukrainer nicht um ihre Entscheidung zu beneiden und schreibt:

„Die gerissene Julia Timoschenko oder der pro-russische Viktor Janukowitsch? Beide verteilen Gelder an Komparsen, die auf den Plätzen Kiews ihre Loyalität vortäuschen. Auch wenn es so aussieht, als könne man in der Ukraine für Geld alles kaufen, die Revolution ist dann doch nicht käuflich.“

Viktor Janukowitsch  (Foto: ČTK)
Sollte Janukowitsch gewinnen, der noch vor fünf Jahren als Wahlbetrüger überführt wurde, dann werde die Ukraine das erste Land, das nach dem Zerfall des sowjetischen Blocks den Rückwärtsgang einschaltet und sich an Moskau kuschelt, urteilt Sodomková.

Moderatorin: Sodomková ist also eher für Timoschenko?

P. G.: Eher ja, aber mit wenig Begeisterung. Sie nennt Timoschenko die ‚Eiserne Lady des Ostens’ vor deren möglicher Diktatur schon ihre alten Weggefährten aus der so genannten ‚Orangenen Revolution’ warnen. Die hätten ihr schon den Spitznahmen „Putin mit Zopf“ verpasst. Der Vorteil von Timoschenko sei aber wenigstens, dass man „in Moskau über die zierliche Frau mit dem folkloristischen Habitus weiß, dass sie ‚grausam und gefühllos’ sein kann.“

Ein Sieg von Timoschenko sei aber für die Ukraine immer noch ein besseres Szenario, denn aus der Opposition heraus würde sie die politisch frustrierten Ukrainer mit ihrer Hyperaktivität „völlig verätzen“, glaubt Sodomková.

Moderatorin: Die Ukraine steht nun also vor der Entscheidung zwischen dem Westen und Russland…

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P. G.: So geben das die meisten Medien – nicht nur in Tschechien – wider. Ondřej Soukup in der Hospodářské Noviny stimmt damit überhaupt nicht überein. Janukowitsch sei nicht pro-russischer als Timoschenko. Diese Teilung sei eine Irreführung der Öffentlichkeit, schreibt Soukup. Er erwähnt zunächst einmal alte Korruptionsskandale aus den 90er Jahren, als Timoschenko noch Miteignerin einer ukrainischen Energiegesellschaft war, die das Monopol auf den Gashandel mit Russland hatte. ‚Gasprinzessin’ wurde Timoschenko damals genannt. Auch an ihrer Zeit als Regierungschefin lässt Soukup kein gutes Haar. ‚Klientelpolitik’ wirft er Timoschenko vor. Damit sei sie nicht gerade die geeignete Kandidatin um westliche Werte zu verteidigen. Aber auch die angeblich pro-russische Haltung von Janukowitsch sei ein Mythos:

„Hinter diesem ehemaligen Arbeiter mit krimineller Vergangenheit stehen die ostukrainischen Oligarchen. Die haben zwar ein Interesse an guten Beziehungen zu Russland, weil sie eben ein Interesse an möglichst niedrigen Gaspreisen haben, gleichzeitig aber wollen sie ganz sicher nicht so enden wie ihre ‚Oligarchen-Kollegen’ in Putin-Russland.“

Soukup schließt seinen Artikel aber optimistisch:

„Es ist anzuerkennen, dass die Ukrainer – ungeachtet der chaotischen politischen Situation – ihren Präsidenten in freien Wahlen bestimmen. In vielen Ländern noch weiter östlich ist das längst keine Selbstverständlichkeit.“

Barack Obama
Moderatorin: Kommen wir mal von den Präsidentschaftskandidaten zu einem, der schon Präsident ist. Barack Obama ist seit einem Jahr amerikanischer Präsident…

P. G.:… und er kämpft derzeit mit einem drastischen Popularitätsverlust. Dazu kommt die Senatswahl in Massachusetts, die die Republikaner am Mittwoch gewonnen haben. Damit kommen schwere Zeiten auf Obamas Prestigeprojekt zu, die Reform des amerikanischen Gesundheitssystems. Teodor Marjanovič läutete daher in der Mladá Fronta Dnes schon mal den Abgesang auf Obama ein:

„Wenn irgendwann auf Barack Obama politische Nachrufe geschrieben werden, dann wird es darin zweifellos vor Passagen wimmeln über die Hoffnungen, die er geweckt und nicht erfüllt hat. Und der Ausgangspunkt vieler dieser Nachrufe wird der vergangene Mittwoch sein.“

Moderatorin: Für politische Nachrufe auf Obama ist es vielleicht noch etwas früh. Unser Medienspiegel ist aber nun schon wieder zu Ende. Vielen Dank für deine Zusammenfassung, Patrick!