Die deutsche Universität in Prag (1882-1945)
Die Karls-Universität in Prag, die 1348 vom böhmischen König und späteren römischen Kaiser Karl IV. gegründet wurde, und die von Mitte des 17. Jahrhunderts bis 1920 den Namen Karl Ferdinands trug, hat eine sehr reiche Geschichte hinter sich. Ein ganz besonderes Kapitel in ihrer Existenz nimmt jedoch das Ende des 19. Jahrhunderts ein. Es ist nämlich relativ wenig bekannt, dass nach ihrer Teilung von 1882 bis 1945 zwei Universitäten in Prag existiert haben: die tschechische und die deutsche Universität. Wie und warum es dazu gekommen war, und was für ein Schicksal speziell die deutsche Universität ereilte, darüber spricht Dana Martinova im heutigen "Kapitel aus der tschechischen Geschichte" mit dem Direktor des Archivs der Karls-Universität, Dozent PhDr. Petr Svobodný.
Die Geschichte der Prager Universität hat in der Vergangenheit auch die politische Lage in Böhmen und Mähren getreu widergespiegelt. Nach dem Dreißigjährigen Krieg im 17. Jahrhundert wurde diese Tendenz im 18. Jahrhundert vor allem durch die Bestrebungen der Habsburger noch verstärkt. Denn mit der Einführung einer Einheitssprache im ganzen Staat wollte die Regierung in Wien ihre Macht weiter stabilisieren. Die Situation an der Prager Universität charakterisiert Dr. Svobodný:
"Aus der Prager Universität ist Ende des 18. Jahrhunderts im Zuge der Reformen unter Maria Theresia und Joseph II. eine deutschsprachige Universität geworden. Im Laufe des 19. Jahrhunderts entsprach sie allmählich aber nicht mehr der gewachsenen kulturellen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Entwicklung des tschechischen Volkes. An der Universität studierten nämlich nicht nur Böhmen und Mähren mit deutscher Muttersprache, sondern natürlich auch Tschechen. Und die Anzahl dieser Studenten nahm damals ständig zu. Wesentlich langsamer aber wuchs die Zahl der Tschechisch sprechenden Professoren und Dozenten, was angesichts ihres fehlenden Bedarfs im niedrigeren tschechischen Schulwesen schon bald ein haltloser Zustand war. Die tschechischen Politiker verstärkten deshalb in den 1860er Jahren den Druck auf die Wiener Regierung mit der Forderung, an der Prager Universität eine konsequente Zweisprachigkeit einzuführen."
Zu Beginn der 1880er Jahre waren die Befürchtungen der deutschen Studenten und Lehrer bezüglich einer Tschechisierung der Prager Universität derart gestiegen, dass die österreichische Regierung einer besonderen Lösung zustimmte. Nach dem kaiserlichen Erlass vom Jahre 1882 wurde die Prager Karl-Ferdinand-Universität in zwei getrennte und völlig unabhängige Institute geteilt, und zwar in die tschechische und in die deutsche Universität. Deren Ausgangspositionen allerdings waren sehr unterschiedlich. Dazu äußerte Dozent Svobodný:
"Die deutsche Universität in Prag hatte zwar dem Gesetz nach den gleichen Status wie die tschechische Universität, hatte aber in Wirklichkeit vor allem materiell die ungleich besseren Ausgangsbedingungen. Die Institute, Kabinette und Bibliotheken sowie die Kliniken an den medizinischen Fakultäten waren nämlich anhand dessen aufgeteilt worden, für welche Universität sich die einzelnen Professoren entschieden hatten. Aufgrund der ungleichen Entwicklung vor der Teilung waren die Professoren zumeist Deutsche, die selbstverständlich an der deutschen Universität weiter lehren wollten. Was nichts anderes bedeutete, als dass die tschechische Universität in vielerlei Hinsicht von Grund auf neu errichtet werden musste."
Die höchste Sprosse auf der Karriereleiter eines Hochschullehrers war seinerzeit eine Anstellung als österreichischer Universitätsprofessor an der Uni in Wien. In Prag dagegen hatte nur die medizinische Fakultät eine überdurchschnittliche Qualität vorzuweisen. Aber auch in der Stadt an der Moldau hat eine Reihe von bedeutenden Persönlichkeiten gewirkt.
"An der deutschen Universität in Prag lehrten nicht nur Professoren und Dozenten aus Böhmen und Mähren, sondern auch aus den anderen Teilen der habsburgischen Monarchie, und ebenso aus Deutschland. Gerade vor dem Ersten Weltkrieg haben hier einige weltbekannte Wissenschaftler ihre Vorlesungen gehalten. Zu ihnen gehörten unter anderen der Physiker und Philosoph Ernst Mach, der in Prag nahezu 30 Jahre lang lebte, der Indologe Moritz Winternitz und insbesondere der Entdecker der Relativitätstheorie Albert Einstein, der hier als Professor für theoretische Physik in drei Semestern von 1911 bis 1912 seine Vorlesungen hielt. Aber auch unter den Studenten finden wir prominente Persönlichkeiten, wie z. B. die späteren Schriftsteller Max Brod und Franz Kafka oder die Nobelpreisträger für Medizin des Jahres 1947, Carl und Gerta Cori."
Im Jahre 1918 ist die habsburgische Monarchie zerfallen. In einem Teil von ihr entstand die Tschechoslowakische Republik. Die umwälzenden politischen Ereignisse haben sich selbstverständlich auch im Leben der beiden Universitäten widergespiegelt. Dazu sagte Petr Svobodný:
"Während die deutsche Universität vor 1918 sehr privilegiert wurde, so hat sich diese Situation nach dem Jahr 1918 zu Gunsten der tschechischen Universität verändert. Den Deutschen machte vor allem die so genannte Lex Mares schwer zu schaffen, die nach ihrem Initiator, dem Professor der Physiologie Frantisek Mares benannt wurde. Diesem Gesetz nach wurde nämlich einzig die tschechische Universität zur rechtmäßigen Erbin der historischen Tradition der Universität erklärt. Sie durfte ab 1920 den Namen Karlsuniversität tragen, während die deutsche Universität diesen Zusatz aus ihrem Namen streichen musste."
Die nationalen Spannungen verschärften sich, auch wenn es unter den deutschen Lehrern und Studenten solche gab, die ihre Loyalität zum tschechoslowakischen Staat ausdrückten. Einige Professoren waren sogar Mitglieder der Regierung, wie z. B. der Professor für tschechische Sprache und Literatur an der Philosophischen Fakultät der Deutschen Universität Franz Spina, oder der Professor für römisches und ziviles Recht an der deutschen juristischen Fakultät Robert Mayr-Harting. Hinzu kam ein immer stärker werdender Antisemitismus.
"Die nationalen Gegensätze zwischen der tschechischen und der deutschen Universität in Prag eskalierten im Jahre 1934. Im November jenes Jahres kam es zu den Studentenunruhen, bei denen nationalistische tschechische Studenten die deutsche Universität vehement dazu aufforderten, auf Grund des Gesetzes vom Jahr 1920 endlich die historischen Universitätsinsignien der Karls-Universität herauszugeben, ebenso das Universitätsarchiv. Es kam zu Demonstrationen, die nicht selten von Gewalt begleitet wurden. Unter Aufsicht des Schulministeriums wurden die Insignien dann tatsächlich der tschechischen Universität übergeben."
Das letzte Kapitel in der Geschichte der deutschen Universität in Prag, das von 1939 bis 1945 geschrieben wurde, war leider auch das dunkelste Kapitel dieser Einrichtung. Es begann eigentlich schon kurz nach dem Münchener Abkommen im Herbst 1938, als die deutsche Universität ihre Loyalität zum tschechoslowakischen Staat ablehnte und ihre Hochschullehrer in großer Zahl nach Deutschland oder nach Wien abwanderten. Im Zuge der so genannten Arisierung wurden zugleich alle jüdischen Studenten und Pädagogen von dieser Hochschule entfernt. Mit der Besatzung Böhmens und Mährens durch die deutschen Nationalsozialisten am 15. März 1939 änderten sich auch die Beziehungen zwischen beiden Prager Universitäten dramatisch."Mit Beginn des Semesters 1939/40 wurde die deutsche Universität dem Schulministerium in Berlin unterstellt und zu einer Reichsuniversität erklärt. Gleichzeitig wurde eine sehr intensive Glorifizierung des Nationalsozialismus betrieben: Zu Vorlesungen wurden immer öfter nazistisch orientierte Lehrer aus dem Deutschen Reich eingeladen, und es wurden neue Fächer eingeführt, die der nationalsozialistischen Ideologie entsprachen, wie z. B. die Rassenhygiene, die Kriegschirurgie oder die Kriegschemie."
Am 17. November 1939 wurden die tschechische Universität und alle anderen nationalen Hochschulen auf Befehl der deutschen Besatzer geschlossen. Bis Kriegsende wurde daher einzig an der deutschen Universität in Prag gelehrt. In dieser Zeit wurde sie ganz offiziell als Deutsche Karls-Universität in Prag geführt."Zu den berüchtigten Pädagogen, die sich bei der nationalsozialistischen Ideologisierung der deutschen Universität in einem Höchstmaß engagierten, gehörte der Professor für osteuropäische Geschichte, Josef Pfitzner. Dank seiner politischen Aktivitäten hat er sogar den Posten des stellvertretenden Prager Oberbürgermeisters bekleidet. Allerdings waren die Methoden seiner Amtsausführung so brutal, dass er nach dem Krieg hingerichtet wurde. Auf der anderen Seite muss man notwendigerweise sagen, dass es unter den deutschen Professoren auch redliche Menschen gab. Aber genau deshalb mussten die meisten von ihnen nicht nur ihren Lehrstuhl an der Universität verlassen, sondern wurden zum Teil auch in ein Konzentrationslager geschickt, von dem einige nicht mehr zurückkamen. Einer von ihnen war z. B. der europaweit berühmte Pharmakologe Emil Starkenstein."
An der deutschen Universität in Prag wurde bis fast zum Ende des Zweiten Weltkrieges gelehrt. An der medizinischen Fakultät promovierten die Ärzte sogar noch Anfang Mai 1945, da die Ärzte in dieser Zeit am meisten gebraucht wurden. Nach dem Krieg ist die Universität de facto von den Tschechen übernommen worden. Ihre Gebäude wurden zum Teil schon während des Prager Aufstands von ehemaligen Professoren, Dozenten und anderen tschechischen Hochschulangestellten besetzt.
"Das offizielle Ende der deutschen Universität in Prag ist auf den 18. Oktober 1945 datiert. An diesem Tag wurde sie anhand eines Dekrets des Präsidenten der Republik für immer geschlossen. Im Nachhinein wurde zum Datum ihrer Schließung der 17. November 1939 erhoben, also genau jenes Datum, an dem die Nazis die Karls-Universität und andere tschechische Bildungseinrichtungen hatten schließen lassen. Das war nämlich das tatsächliche Ende der wahren deutschen Universität in Prag."