Die tschechischen Bürgerdemokraten: Auf der Siegerstraße in die europäische Isolation?
Die oppositionelle Demokratische Bürgerpartei ODS hat am vergangenen Wochenende in Prag ihren Parteikongress abgehalten. Die diesjährigen Wahlerfolge der ODS - bei der Europawahl sowie bei den Regional- und den Senatswahlen - schlugen sich dort in einer guten Portion Optimismus nieder. Auf europäischem Parkett könnte jedoch noch ein Richtungsstreit mit der Europäischen Volkspartei bevorstehen. Denn allzu unterschiedlich scheinen manche Vorstellungen über die künftige Entwicklung der EU. Gerald Schubert hat sich dazu u.a. mit dem EVP-Fraktionsvorsitzenden Hans-Gert Pöttering unterhalten. Mehr in der nun folgenden Ausgabe unserer Sendereihe Schauplatz:
Auf dem ODS-Parteikongress am vergangenen Wochenende herrschte dementsprechend große Zuversicht. Zuversicht, auch das nächste und wichtigste Ziel zu erreichen: Einen Sieg bei den Parlamentswahlen, die regulär im Jahr 2006 stattfinden sollen. Parteichef Mirek Topolánek, der auf dem Kongress mit großer Mehrheit wieder gewählt wurde, soll die ODS zu diesem Erfolg führen. Zu seinem ersten Stellvertreter wurde Petr Necas bestimmt, der das folgende Selbstbildnis der Partei zeichnet:
"Wir sind die einzige reale Alternative zur gegenwärtigen unfähigen Regierung und die einzige Kraft, die dazu in der Lage ist, die Kommunistische Partei zu besiegen. Jetzt müssen wir hart arbeiten, damit die ODS für den Wähler eine wirklich Hoffnung darstellt. Die Hoffnung, dass aus der Tschechischen Republik ein moderner, prosperierender Staat wird."Diese Worte entsprechen auch ganz dem gewohnten Motto "Null-Toleranz gegenüber der Regierung", das die Partei bereits vor geraumer Zeit ausgegeben hat. Für den Politikwissenschaftler Jan Bures von der Prager Karlsuniversität ist jedoch ein Wahlsieg der ODS im Jahr 2006 noch keine ausgemachte Sache. Denn Europawahlen, Landkreis- und Senatswahlen sind nun mal etwas anderes als Wahlen zum Abgeordnetenhaus, sagt Bures:
"Die ODS verlässt sich in letzter Zeit darauf, dass sie nicht alle ihre programmatischen Forderungen präsentieren muss. Zurzeit muss sie etwa noch nicht klar sagen, dass einige der von ihr geforderten Reformen für viele Menschen sehr schmerzhaft wären. Aber wenn die Zeit der Kampagne für 4die Parlamentswahlen kommt, dann wird sie die Karten auf den Tisch legen müssen. Sie wird zum Beispiel sagen müssen, um wie viel Prozent sie die Steuern, aber damit auch die Ausgaben senken will. Sie wird sagen müssen, wie hoch die Selbstbehalte für die Krankenpflege und für Arzneimittel sein sollen, ob sie Schulgebühren für alle Schulen einführen will, und ähnliches mehr."Genau jene Themen sind es, mit denen die ODS letztlich auch übers Ziel schießen könnte. Denn im Gegensatz zur breiten Regierungskoalition aus Sozialdemokraten, Christdemokraten und der liberalen Freiheitsunion, die ökonomische Reformen gewöhnlich in einer behutsamen Kompromissvariante angeht, präsentiert sich die ODS gerne als betont wirtschaftsliberale Partei, die auch vor radikalen Änderungen nicht zurückschrecken würde. Etwa vor der Einführung einer so genannten Flat-Tax, also eines einheitlichen Steuersatzes für alle, der vor allem Reichere entlasten und die Staatseinnahmen spürbar reduzieren würde.
Vor der nächsten Wahl wird die ODS den Bürgerinnen und Bürgern jedoch nicht nur erklären müssen, wie hart ihr neoliberaler Wirtschaftskurs letztlich ausfallen soll. Denn auch in europapolitischer Hinsicht gibt es einige Fragezeichen. Staatspräsident Václav Klaus, einstiger Gründer, derzeitiger Ehrenvorsitzender und politischer Übervater der Partei, ist für seine betont EU-kritische Haltung bekannt, und er hat sich in letzter Zeit wiederholt klar gegen eine Ratifizierung der Europäischen Verfassung ausgesprochen. Eine Position, die die Führung der ODS im Wesentlichen teilt. Warnungen vor dem Verlust der "nationalen Souveränität" gehören bereits zum festen Bestandteil der Parteirhetorik. Die Fraktion der Europäischen Volkspartei - Europäische Demokraten (EVP-ED), der die ODS im Europaparlament angehört, spricht sich hingegen klar für die Europäische Verfassung aus. Politikwissenschaftler Jan Bures:
"Für die Politiker der ODS, von der kommunalen Ebene in den Rathäusern über die Landkreise bis ins Europaparlament, gibt es eigentlich nur ein einziges Ziel: Nämlich, dass die ODS in Tschechien regiert. Daher verhalten sie sich auch auf allen Ebenen gleich. Auch im Europaparlament geht es für die ODS darum, bei den Parlamentswahlen in Tschechien 2006 ein möglichst gutes Ergebnis zu erzielen. Das heißt, wenn es hierzulande ein Referendum über die Europäische Verfassung geben sollte, irgendwann im zeitlichen Umfeld der Parlamentswahl, dann wird die ODS sich wohl gegen die Verfassung stellen, um ein bestimmtes Wählersegment anzusprechen. Und ich glaube, es wird ihr dabei ziemlich egal sein, ob die Europäische Volkspartei dafür oder dagegen ist."
Der Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei, Hans-Gert Pöttering, ist auf dem ODS-Kongress in Prag als Gast aufgetreten und hat ein Plädoyer für die Europäische Verfassung gehalten. Gegenüber Radio Prag fasst Pöttering seine Argumente zusammen:
"Zunächst glaube ich, dass man in den meisten europäischen Ländern Wahlen nicht gegen Europa gewinnen kann. Wahlen werden in der Mitte gewonnen, und das bedeutet, dass man offen ist für die europäische Einigung. Die Europäische Verfassung bedeutet ja nicht, dass wir uns vom Nationalstaat verabschieden. Im Gegenteil: Die Kompetenzen der Europäischen Union werden klarer definiert. Und das bedeutet, dass auch die Zuständigkeiten der Mitgliedsländer, und damit auch der Tschechischen Republik, klarer sind. Die Aufgaben werden deutlicher voneinander abgegrenzt. Es gibt die lokalen Gebietskörperschaften, also die Städte und Gemeinden, es gibt die Regionen, es gibt die Nationalstaaten, und es gibt die Europäische Union. Und jede Ebene hat ihre Aufgabe."Gerade Länder wie Tschechien, so Pöttering, würden in einem Europa mit mehr Integration auch mehr Chancen vorfinden:
"Das Wichtigste ist - und damit habe ich auch auf dem Kongress argumentiert: Es ist auch im Interesse kleinerer Länder, dass wir nicht das intergouvernmentale Europa haben, also das Europa der Regierungen. Denn wenn die Regierungen Europa dominieren, dann sind es die großen Länder, die das Sagen haben. Also Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien. Aber wenn wir das gemeinschaftliche Europa haben, dann haben auch die kleineren Länder ihre Rolle zu spielen."
Und nach seinem Besuch am Parteikongress der ODS resümiert Hans-Gert Pöttering:
"Meine Bitte ist, dass man innerhalb der ODS offen ist für ein Ja zur Verfassung. Und mein Eindruck ist, dass der Mittelbau und der Unterbau der Partei durchaus offener sind als Manche in der Führung der ODS. Ich habe mich aber auf dem ODS-Kongress für die Verfassung eingesetzt, und hoffe doch, dass die Bereitschaft, der Verfassung zuzustimmen, in der Führung der ODS noch wächst."
Soweit Hans-Gert Pöttering, der Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei im Europaparlament. Die Entscheidung über die weitere außenpolitische Linie der ODS, die wird jedoch in Prag fallen. Und was das für Tschechien insgesamt bedeutet, das werden die Parlamentswahlen 2006 zeigen.