Emigranten und Bildungshungrige: Prag als Reiseziel im 19. Jahrhundert

Foto: Archiv des Museums der Hauptstadt Prag

Im Sommer wird gereist, das ist derzeit in Prag mehr als offensichtlich. Die tschechische Hauptstadt ist eines der beliebtesten Touristenziele in Europa. Individualtouristen, Reisegruppen, Schulklassen und Kultur- und Kunstliebhaber bevölkern die Straßen der Moldaustadt. Wie aber war es in der Vergangenheit? Versetzen wir uns zurück in die Zeit vor ungefähr 200 Jahren: Auch damals kamen bereits Ausländer nach Prag – junge, gutsituierte Männer auf Bildungsreise, aber auch adelige Emigranten, die an der Moldau Zuflucht suchten.

Prag in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts  (Foto: Archiv des Museums der Hauptstadt Prag)
Prag in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Das Leben verlief gemächlich. Nach Berichten von Zeitzeugen spielte es sich ausschließlich in der Alt- und Neustadt sowie auf der Kleinseite ab. Auf dem Berg darüber schlummerte der Hradschin, den nur hin und wieder Aristokraten aus Wien aufsuchten. In Prag herrschte Ruhe – es gab erst wenige Kutschen, die sie störten. Das Aussehen der Stadt veränderte sich kaum, die Gassen waren schmal, die alten Paläste und Häuser wurden nicht umgebaut. So sah Prag aus, in das die ersten ausländischen Reisenden Anfang des 19. Jahrhunderts kamen. Manche für wenige Tage, manche für längere Zeit. Ihre Memoiren und Reiseberichte sind eine wichtige Quelle, die uns über das Leben in Prag informieren. Die Historikerin Pavla Vošahlíková hat diese Aufzeichnungen untersucht und ihre Ergebnisse im Tschechischen Rundfunk vorgestellt. Sie bestreitet dennoch, dass das Leben in der Hauptstadt Böhmens ganz still und abgeschnitten vom internationalen Geschehen war.

„In Prag herrschte selbstverständlich nicht so ein reger Betrieb wie etwa in Wien, wo viele Delegationen aus dem Ausland im Rahmen der politischen und gesellschaftlichen Verpflichtungen ankamen. Prag war aber oft ein Zwischenstopp auf der Reise nach Wien. Und auch ein Zielort für Menschen und Gruppen, denen die Habsburger zwar Asyl gewährten, die sie aber nicht direkt am Hof in Wien begrüßen wollten. Das waren zum Beispiel Emigranten aus Italien und aus Frankreich. Sie ließen sich in Prag nieder, das in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert die größte Provinzstadt des Habsburgerreichs war und auch den Adeligen ausreichend komfortable Bedingungen bieten konnte.“

Die adeligen Gäste hielten sich längere Zeit in Prag auf. Wir werden später auf sie zurückkommen. Außerdem trafen Reisende für einige Tage oder Wochen ein, um Prag im Rahmen ihrer Bildungsreise kennenzulernen.

„Prag war eine bekannte Stadt, weil sie ein Thema in der Weltliteratur war. Für die Reisenden aus Westeuropa stellte es ein zum Teil schon exotisches Ziel dar. Wollten sie also Europa und die Welt entdecken, ließen sie Böhmen und Prag nicht aus. Neben Prag waren für sie die westböhmischen Kurorte attraktiv, aber auch weitere Städte der böhmischen Länder.“

Prag im 18. Jahrhundert  (Foto: Archiv des Museums der Hauptstadt Prag)
Die erste Reisewelle, um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, war überwiegend eine Angelegenheit der Adeligen.

„Das Reisen, das Entdecken der Geschichte durch die persönliche Anschauung und Besichtigung einer mittelalterlichen Burg oder Landschaft, wurde in den adeligen Kreisen zur Mode. Die Gepflogenheit, die Welt zu bereisen und dadurch kennenzulernen, hat sich sehr schnell verbreitet. Wir dürfen aber die damaligen Bedingungen nicht außer Acht lassen: Die Verkehrsmittel ermöglichten es zum Beispiel nicht, große Menschenmassen zu befördern. Das Reisen war daher ausschließlich die Sache höherer gesellschaftlicher Schichten, in denen es zum guten Ton gehörte. Nachdem ein junger Mann seine Ausbildung abgeschlossen hatte, machte er sich auf eine Reise. Sie stellte die Krönung seines Bildungsweges dar.“

Friedrich de la Motte Fouqué
Böhmen spielte im Tourismus der damaligen Zeit keine allzu große Rolle, es stand aber auch nicht völlig im Abseits, sagt Vošahlíková:

„Es herrschte ein gewisses Interesse für die böhmischen Länder, das unter anderem auf der Sympathie für die Geschichte des Landes beruhte. Dies galt zum Beispiel für französische Protestanten. Da sind die Brüder de la Motte Fouqué zu erwähnen. Sie kamen in den 1820er Jahren nach Prag und hielten sehr schön ihre Eindrücke vom Leben in der Stadt fest. Sie beschrieben zum Beispiel, wie es ihnen kalt den Rücken hinunterlief, als sie am Weißen Berg vorbeifuhren. Das er rief ihnen ins Gedächtnis, dass dort nicht nur die Ambitionen der böhmischen Stände, sondern auch der Protestantismus in Mitteleuropa begraben worden war.“

Illustrationsfoto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag
Wie die Historikerin betont, fielen die Urteile der Ausländer über die böhmischen Länder in ihren Reiseberichten sehr unterschiedlich aus:

„Ein Reisender etwa lobte in höchsten Tönen die Qualität der böhmischen Gasthäuser, die Bedienung, die mannigfaltige und leckere Kost. Ein anderer beschwerte sich zur selben Zeit über enge Straßen ohne Beleuchtung, das holperige Straßenpflaster – wenn überhaupt gepflastert war - und über die Gefahren, die bei Einbruch der Dunkelheit drohten. Wie so oft haben auch da die persönlichen Erfahrungen die entscheidende Rolle gespielt.“

Pavla Vošahlíková verweist darauf, dass es trotz der allmählichen Zunahme des Reiseverkehrs eine Sache gab, die auf die Besucher eher abschreckend wirkte:

„Das war die Polizeiaufsicht. Sie beherrschte die Atmosphäre unter dem Metternich-Regime. Die Aufsicht war sehr streng. Alle Gastwirte – zumindest in besseren Wirtshäusern, in die ein Ausländer kommen konnte – waren verpflichtet, den Besuch bei der Polizei sofort zu melden und die Polizei über Aktivitäten der Ausländer zu benachrichtigen. Das war aber keine Ausnahme, kein Spezifikum der böhmischen Länder. Die Verhältnisse waren in allen Ländern des Deutschen Bundes ähnlich, also überall wohin die Macht Metternichs reichte. Die strenge Überwachung ist einer der Momente, die in den Memoiren und Reiseberichten beschrieben werden.“

Italien 1850  (Quelle: Wikimedia Public Domain)
Wie bereits erwähnt wurde, war die Gruppe der Emigranten aus Italien unter den Ausländern in Prag sehr stark vertreten.

„Das Habsburgerreich hatte schon immer Interessen in Italien, nach dem Fall Napoleons wurden sie noch wesentlich stärker. Gleichzeitig gab es in Italien aber auch Bemühungen, das Land zu vereinigen und die Unabhängigkeit erklären. Die Habsburger hatten in Italien viele Gegner, aber auch Anhänger. Wenn sich diese Anhänger also zuhause blamiert hatten, suchten sie nach einem Zufluchtsort. Es schickte sich nicht, sie direkt am Hof in Wien unterzubringen und daher wurden sie oft nach Prag geschickt.“

Karl X.
Auf diese Weise entstand eine ziemlich starke italienische Kolonie in Prag, die intensive Kontakte mit dem böhmischen Umfeld pflegte. In einer anderen Lage waren Emigranten aus Frankreich:

„Nach der französischen Revolution 1830 fand auch der Exil-Hof des gestürzten Königs Karls X. in Prag Zuflucht. Um den Hof bildete sich eine starke Gruppe französischer Emigranten, die aber nur wenig Kontakt mit ihrer Umgebung knüpfen konnten. Die Ausnahme sind einige bedeutende böhmische Adelsfamilien, welche die Franzosen zu verschiedenen Gelegenheiten zu sich einluden.“

Die Kontakte zwischen den Reisenden und den Einwohnern waren durch Zufälle geprägt. Eine Ausnahme bildeten die Fälle, in denen ein ausländischer Gast auf eine ausdrückliche Einladung nach Böhmen kam.

„Im Jahr 1846 reiste der bekannte Schriftsteller und Märchenerzähler Hans Christian Andersen nach Böhmen. Er wurde von Goethes Enkel begleitet. Da Goethe ein großes Renommee in Böhmen genoss und dank seines Reisegenossen, traf auch Andersen häufig mit der böhmischen Gesellschaft zusammen. Für ihn bedeutete es damals auch eine Art Werbung für seine Werke, die in den böhmischen Ländern sehr beliebt waren. Das gilt nicht nur für deutschsprachige Familien. Andersens Bücher wurden auch sehr schnell ins Tschechische übersetzt.“

Daneben gab es noch eine ganze Reihe von Ausländern, die die böhmischen Länder besuchten. Zum Beispiel hielten sich zahlreiche bedeutende Komponisten für eine gewisse Zeit in Prag und in den böhmischen Ländern auf, außerdem viele weitere Gäste aus Politik und Kultur. Sie waren dabei aber in der Regel von ihrer Entourage umgeben und lernten die Einheimischen und deren alltägliches Leben kaum kennen.