„Entpolitisierung der Staatsverwaltung bleibt Theorie“ – Jiří Pehe zum neuen Beamtengesetz

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Als einziges Land in der EU hat Tschechien bislang keine gesetzliche Regelung für seine Staatsbeamten – ein so genanntes Beamtengesetz. In der Praxis bedeutet dies unter anderem eine starke Politisierung der Staatsverwaltung. Nach jedem Regierungswechsel wurde bislang de facto der gesamte Beamtenapparat ausgetauscht. Eigentlich war das Inkrafttreten eines Beamtengesetzes Voraussetzung für den tschechischen EU-Beitritt im Jahr 2004 – in Wirklichkeit aber lag das Gesetz zwölf Jahre lang auf Eis. Jetzt haben sich Regierung und Opposition auf einen neuen Gesetzentwurf geeinigt, der die Entpolitisierung der Staatsverwaltung zum Ziel hat. Der Politologe Jiří Pehe hat sich dazu den Fragen von Radio Prag gestellt.

Jiří Pehe  (Foto: Katarína Brezovská,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Herr Pehe, Sie haben den Kompromiss zum Beamtengesetz, auf den sich Regierung und Opposition geeinigt haben, als Farce bezeichnet – warum?

„Ich glaube, dieser Kompromiss ist einerseits der Versuch, eine wirkliche Entpolitisierung der Staatsverwaltung zu verhindern – nachdem das Inkrafttreten eines Beamtengesetzes zehn Jahre lang aufgeschoben wurde. Andererseits geht es darum, die Europäische Union zufriedenzustellen, die mit der Einstellung der EU-Fördermittel gedroht hat, sollte in Tschechien kein Beamtengesetz in Kraft treten. Die Art und Weise, wie dieser Kompromiss zustande gekommen ist, befreit die Staatsverwaltung nicht maßgeblich von politischem Druck.“

Die Entpolitisierung der Staatsverwaltung bleibt also Theorie?



Jiří Dienstbier  (Foto: Filip Jandourek,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
„Ja, leider bleibt die Entpolitisierung der Staatsverwaltung nur Theorie. Der ursprüngliche Gesetzentwurf, den Minister Jiří Dienstbier vorgelegt hatte, war wirklich ein Gesetz europäischen Zuschnitts. Er hätte gewährleistet, dass die höchsten Staatsbeamten von einer Generaldirektion wirklich unabhängig ausgewählt werden. Der Kompromissentwurf, den das Abgeordnetenhaus jetzt wahrscheinlich verabschieden wird, sieht leider vor, dass sowohl der höchste Staatsbeamte, ein Stellvertreter des Innenministers, als auch die Staatssekretäre direkt von Politikern eingesetzt werden, das heißt von der Regierung. Und das verhindert natürlich jedwede Entpolitisierung der Staatsverwaltung. Bedauerlicherweise hat sich gezeigt, dass im Grunde alle tschechischen Parteien ein Gesetz wollen, dass den Einfluss der Politiker auf die Staatsverwaltung aufrechterhält.“

Wie ist es überhaupt möglich, dass es bis heute kein Beamtengesetz gibt, obwohl es Bedingung war für den EU-Beitritt?

„Die Schuld liegt sowohl bei den tschechischen Politikern als auch bei der Europäischen Union. Die tschechische Politik hat dieses Gesetz zwölf Jahre lang hinausgezögert, weil ihr das in den Kram passte. Man hat im Jahr 2002 nur ungern die Forderung der Europäischen Union erfüllt und ein Beamtengesetz verabschiedet. Aber gleich danach wurde sein Inkrafttreten aufgeschoben. Das passierte danach noch vier bis fünf weitere Male. Im Endeffekt wurde so das Inkrafttreten des Gesetzes zwölf Jahre lang auf Eis gelegt. Das war nur möglich, weil die Europäische Union in solchen Situationen leider nicht sehr effizient reagiert. Brüssel hätte angesichts der Tatsache, dass die Tschechische Republik die EU derart an der Nase herumführt, schon längst die Einstellung von EU-Fördermitteln androhen sollen. Stattdessen hat Tschechien für den Förderzeitraum 2006 bis 2013 EU-Mittel in Höhe von mehreren hundert Milliarden bekommen. Und es ist kein Wunder, dass bei dem Zustand der hiesigen Staatsverwaltung viele dieser Gelder in Korruptionsskandalen veruntreut wurden.“

Foto: Pierre Amerlynck,  Stock.XCHNG
Bemerkenswert an der Debatte um das Beamtengesetz war, dass sich die Regierung um einen breiten Konsens quer durch die politischen Parteien bemüht hat – in der tschechischen Politik eine Ausnahme. Sehen Sie darin etwas Positives?

„Sicherlich ist ein Konsens eine gute Sache, wenn er Sinn macht – etwa im Bereich der Renten- oder Gesundheitsreform. Aber das Beamtengesetz kann schwerlich Gegenstand irgendeines innenpolitischen Kompromisses sein, weil es einer europäischen Norm entsprechen soll. Da können wir uns nicht mit einem Kompromiss brüsten, wenn wir dadurch im Grunde die Forderungen der Europäischen Union umgehen. Das ist kein guter Kompromiss, sondern der Versuch, Brüssel an der Nase herumzuführen.“

Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks
Bedeutet das de facto, mit dem neuen Gesetz bleibt alles beim Alten: Die Beamten haben keinerlei Sicherheiten und werden nach jedem Regierungswechsel komplett ausgetauscht...?

„Es wird nach dem neuen Gesetz etwas schwieriger sein, Beamte abzuberufen, es wird bestimmte professionelle Kriterien geben, mehr Auswahlverfahren. Aber weil die Staatssekretäre, die die übrigen Beamten auswählen, auf Vorschlag des Regierungschefs eingesetzt werden, werden sie de facto politische Marionetten sein. Das bedeutet, die höchsten Posten in der Staatsverwaltung bleiben weiterhin offen für politisches Geschacher.“

Foto: Vangelis Thomaidis,  Free Images
Tschechien ist jetzt das letzte Land in der EU, das kein Beamtengesetz hat. Sie selbst haben mehrere Jahre in Deutschland gelebt – in einem Land, in dem Beamte – im Gegensatz zu Tschechien – enorme Privilegien genießen. Hätten sich die Tschechen von dem deutschen Modell inspirieren lassen sollen?

„Natürlich hätte sich Tschechien einfach von guten Modellen in anderen Ländern inspirieren lassen können – etwa in Skandinavien oder Deutschland. Aber leider haben tschechische Politiker die Tendenz, das Rad immer wieder neu zu erfinden. Nach dem Motto: Wir machen das auf unsere Art. Die einzige rationale Erklärung, die es dafür gibt, ist, dass man vorsätzlich Gesetze will, die den Boden für Korruption bereiten. Wenn man tatsächlich gewollt hätte, dass es eine funktionierende, unabhängig Staatsverwaltung gibt, hätte man einfach eines der guten Modelle, etwa das dänische oder niederländische, übernehmen können.“

Miloš Zeman  (Foto: ČTK)
Wird das neue Beamtengesetz zum 1. Januar 2015 in Kraft treten? Präsident Zeman hat ja bereits sein Veto angekündigt....

„Das Gesetz wird zum 1. Januar 2015 in Kraft treten. Der Präsident wird vielleicht sein Veto einlegen. Aber ich befürchte, mit einer schlechten Begründung. Er ist vor allem wegen der Position der politischen Stellvertreter dagegen. Die sind aber gar nicht das größte Problem an dem Gesetz. Doch selbst wenn Zeman sein Veto einlegt – unter den politischen Parteien herrscht ein breiter Konsens darüber, dass sie das Veto überstimmen werden. Das Gesetz wird also in Kraft treten. Die einzige Chance, es noch zum Besseren zu verändern, wäre ein Einspruch der Europäischen Kommission. Sie könnte beanstanden, dass das Gesetz in dieser Form nicht den Anforderungen Brüssels entspricht und mit der Einstellung von Fördermitteln drohen.“

Halten Sie es für möglich, dass die Europäische Kommission das tut?

„Die Europäische Kommission hat zwölf Jahre lang darüber hinweggesehen, dass die Tschechische Republik gar kein Beamtengesetz hat. Insofern wird sie wohl leider nach dem Motto handeln: Der Brüsseler Wolf isst sich satt, das tschechische Schaf bleibt unversehrt.“