Europäische Tage des Kulturerbes im Zeichen der Pandemie früher und heute

Olomouc (Foto: Modris Putns, Panoramio, CC BY-SA 3.0)

Jedes Jahr im September richtet sich der Fokus auf bekannte und weniger bekannte Baudenkmäler des gesamten Kontinents. Vom 12. bis zum 20. dieses Monats finden wieder die Europäischen Tage des Kulturerbes statt. Zentrum des aktuellen Jahrgangs ist hierzulande Olomouc / Olmütz. Über 200 weitere Städte und Gemeinden Tschechiens sind in diesem Jahr involviert. Und natürlich hat die Corona-Krise dem Programm ihren Stempel aufgedrückt.

Lanškroun  (Foto: Pavel Vlach,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 4.0)

Die thematische Ausrichtung, mit der die Europäischen Tage des Kulturerbes in Lanškroun / Landskron begangen werden, bekommen plötzlich einen sehr aktuellen Bezug. In der kleinen Stadt im Kreis Pardubice wird dieses Jahr nämlich an mehrere Pestepidemien erinnert, die in der lokalen Geschichte und im Stadtbild ihre Spuren hinterlassen haben. In Zeiten einer neuen Epidemie könnte das als cleverer Marketing-Schachzug betrachtet werden. Das ist aber unzutreffend, wehrt Marie Borkovcová ab. Als Leiterin des örtlichen Museums zeichnet sie für das Programm der Aktionstage verantwortlich:

„Das war eigentlich ein Zufall. Immer, wenn ein Jahrgang der Europäischen Tage des Kulturerbes endet, fange ich schon an, Thema und Programm für das folgende Jahr zu planen. Ich hatte einfach die Idee, dass wir an jene Plastik erinnern könnten, die in unserer Stadt – wie in vielen anderen Städten auch – als Reaktion auf die Pest und auf die Kriege des 17. und 18. Jahrhunderts entstanden ist.“

Marktplatz mit der Mariensäule in Lanškroun  (Foto: Miroslava Zajícová,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 3.0)

Die Mariensäule auf dem zentralen Marktplatz stammt aus dem Jahr 1684 und wurde aus Dankbarkeit dafür errichtet, dass sowohl die Pest als auch die Türken die Stadt verschonten. Vor Ort werden die Zeugnisse der Geschichte aber nicht nur in Stein gemeißelt betrachtet. Traditionell werden in Tschechien gern historische Ereignisse szenenhaft und in zeitgenössischen Kostümen nachgestellt. Höhepunkt der Europäischen Tage des Kulturerbes in Lanškroun ist somit ein Umzug mit Schauspielern und Mittelaltermusik und am Rande ein nachempfundenes Soldatenlager aus der Zeit des Siebenjährigen Krieges.

Historische Persönlichkeiten werden auch in Olmütz gezeigt. Hier wählte man allerdings eine abstraktere künstlerische Form. Die Wand der ehemaligen Bürgerbrauerei ziert jetzt ein Graffiti: Maria Theresia mit einem Besen, Mozart mit Keyboard als Straßenmusikant, Generalleutnant Lafayette hinter Gittern – insgesamt sechs Berühmtheiten aus der Stadtgeschichte sind in Straßenkunst-Manier dargestellt. Romana Junkerová ist Teil des Kunstkollektivs, das von der Stadtverwaltung beauftragt wurde:

Radim Schubert  (Foto: Blanka Mazalová,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)

„Da ist auch Marschall Radetzky in seiner klassischen Erscheinung, wie wir sie alle kennen. Er trägt seinen berühmten Hut mit der Feder. Aber weil es sich um Streetart handelt und er auf witzige Weise dargestellt werden soll, hält er in seiner Hand eine Wasserpistole, aus der Blasen aufsteigen.“

Olmütz steht dieses Jahr im Zentrum der Europäischen Tage des Kulturerbes. Am Samstag, den 12. September, findet hier die offizielle Eröffnungsfeier statt. Schon in der Woche davor wurden und werden spezielle Stadtführungen angeboten. Sie präsentieren unter anderem das Graffiti als neue Kunstattraktion der Stadt. Radim Schubert (Bürgerdemokraten) gehört dem Olmützer Magistrat an:

Václav Havel schreibt ein Grafitti „I love Ol…“  (Foto: Blanka Mazalová,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)

„Die Personen sollen nicht entwürdigt oder lächerlich gemacht werden. Aber es gibt da Elemente, durch die diese Persönlichkeiten menschlicher werden. Václav Havel zum Beispiel schreibt ein Grafitti „I love Ol…“, das kann Olmütz oder auch Olga bedeuten. Oder Maria Theresia ist dargestellt als strenge Mutter der Nation.“

Im Rahmen der Festtage wird in Olmütz außerdem an die Aufnahme der Dreifaltigkeitssäule in das Unesco-Kulturerbe vor 20 Jahren erinnert. Dafür wurde ein Videomapping entwickelt, das an das Monument projiziert wird. Sein Titel „Gebet für Olmütz“ ist eine Anlehnung an das „Gebet für unsere Erde“ von Papst Franziskus. Während des Kulturfestivals lassen sich in der Stadt etwa 70 Objekte kostenlos besichtigen. Zumeist werden kommentierte Führungen angeboten, denn nicht umsonst lautet das diesjährige Motto „Denkmäler und Bildung“. Viele der insgesamt 208 Gemeinden und Städte, die sich in diesem Jahr hierzulande der Veranstaltung angeschlossen haben, bieten ein Begleitprogramm mit Vorträgen, Filmvorführungen und Konzerten an.

Die Europäischen Tage des Kulturerbes gehen auf eine Initiative des Europarates zurück von 1985 zurück. Sie finden jedes Jahr in den 50 Ländern statt, die sich im Europäischen Kulturabkommen zusammengeschlossen haben. Ziel ist es, den gemeinsamen historischen und zivilisatorischen Wurzeln nachzuspüren. Die Menschen sollen dafür sensibilisiert werden, dass der Erhalt und die Pflege dieses Erbes eine wichtige und notwendige Aufgabe ist.

Das ist mit viel Aufwand und vor allem Kosten verbunden. Allein in Tschechien präsentieren sich in diesem Jahrgang 765 Gebäude und Objekte. Viele von ihnen sind der Öffentlichkeit für gewöhnlich nicht zugänglich und einige in einem baufälligen Zustand. Koordiniert wird das landesweite Aktionsprogramm vom „Verein historischer Anwesen Böhmens, Mährens und Schlesiens“. Die Vorsitzende Květa Vitvarová weist darauf hin, dass nicht genügend Geld zur Verfügung steht, um auch nur die bedeutendsten historischen Denkmäler in der Weise instand zu halten, wie es nötig wäre:

„Die Finanzlage ist in letzter Zeit wirklich sehr schlecht. Das Programm zur Wiederbelebung städtischer Denkmalzonen hatte in den 1990er Jahren noch mehr als 300 Millionen Kronen zur Verfügung. Zwischenzeitlich waren die Finanzmittel bis auf 100 Millionen Kronen gekürzt worden. Dank den Bemühungen unseres Vereins wurden sie wieder auf 200 Millionen angehoben. Im vergangenen Jahr ist diese Summe allerdings schon wieder gekürzt worden.“

Markéta Záleská  (Foto: Radim Beznoska,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)

Das aktuelle Budget der Denkmalschützer von besagten 200 Millionen Kronen entspricht etwa 7,5 Millionen Euro. Es ist zu erwarten, dass wegen der derzeit schwierigen Situation in der Corona-Krise nicht so viele Besucher an den Kulturtagen teilnehmen wie in den Jahren zuvor. Natürlich müssen auch hier strenge Hygienevorschriften eingehalten werden. Die Organisatoren aus dem Olmützer Rathaus haben die Regeln zur Abstandseinhaltung und zur Beschränkung der Teilnehmerzahlen auf 1000 in die Dekoration der Innenstadt mit einfließen lassen. Der Horní náměstí / Obere Platz wird durch einen extra angelegten Blumenteppich in Sektoren geteilt. Die stellvertretende Oberbürgermeisterin Markéta Záleská (Bürgerdemokraten) erläutert weiter:

Jesuitenkolleg und Dom der heiligen Barbara in Kutná Hora  (Foto: Michal Trnka,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)

„Bei den Theateraufführungen und den Konzerten der Philharmonie werden freie Stühle für den Abstand sorgen. Der Blumenteppich in der Mitte des Platzes stellt eine Art natürliche Barriere dar. Mit Ausnahme der Abendvorstellungen wird es bei Aufführungen keine Sitzmöglichkeiten geben. Wir gehen davon aus, dass die Leute tagsüber eher durch die Stadt spazieren werden.“

Der Blumenteppich von sechs mal zehn Metern bleibt im Stadtbild bis Ende des Monats erhalten. Auch andere traditionsreiche Städte bieten in diesem September ein spezielles Besuchsprogramm an. In Kutná Hora / Kuttenberg stehen der Dom der heiligen Barbara und das Jesuitenkolleg im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. In Prag wiederum wurde – etwas abseits vom wohl bekannten touristischen Zentrum – eine ganze Reihe von Veranstaltungen im Stadtteil Žižkov vorbereitet.

Untergrund des Stadtzentrums in Lipník nad Bečvou  (Foto: Archiv der Stadt Lipník nad Bečvou)

Unbekanntere Ziele gibt es in kleineren Gemeinden des Landes zu entdecken. In Lipník nad Bečvou / Leipnik unweit von Olmütz zum Beispiel bekommen Besucher erstmals Zugang in den Untergrund des Stadtzentrums. Jana Březovská führt durch das Kellersystem, das teils über mehrere Etagen reicht. Dazu gibt sie alte Geschichten zum Besten:

„Die Legende sagt, dass von diesen Kellern aus ein Geheimgang bis zur Burg Helfenstein führte. Dieser Gang war aber zugeschüttet. Das passierte, als schwedische Soldaten versuchten, zur Burg durchzudringen und sie zu besetzen. Das gelang ihnen nicht. Sie wurden vom Bürger Jan durch den Gang geführt, der einen Strick bei sich trug. Dieser Strick war an der Kirchenglocke der Stadt befestigt. Als diese nun zu läuten begann, geriet das Erdreich in Bewegung und begrub die Gruppe, die sich noch auf halber Strecke im Gang befand, samt Bürger Jan unter sich.“

Atomschutzbunker in Přerov  (Foto: Jana Zemková,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)

Nur wenige Kilometer von Leipnik entfernt liegt Stadt Přerov / Prerau. Hier widmet man sich im Rahmen der Europäischen Tage des Kulturerbes der jüngeren Geschichte. Das Kino Hvězda öffnet die schweren metallenen Kellertüren und ermöglicht den Besuch eines der größten Atomschutzbunker der Republik. Die Tour führt durch den Maschinen- und Kommandoraum, zeigt die Belüftungsanlage und spezielle Werkzeug- und Schutzausrüstungen. Touristenführer Radomír Vlach berichtet von der Aufgabenteilung im Evakuierungsfall: Eine Bunkergenossenschaft sollte die Räumung leiten, die Kommandanten dann alle Evakuierten im Bunker registrieren. Weiter erläutert Vlach:

„Der Bunker hat eine Kapazität von 900 bis 1000 Menschen. Er war für einen Aufenthalt von 72 Stunden angelegt. Man hätte es aber auch noch länger aushalten können. Solange es keine äußeren Ereignisse verhinderten, hätte das Wasser im Bunker dauerhaft aus den Leitungen draußen aufgefüllt werden können.“

Foto: Jana Zemková,  Archiv des Tschechischen Rundfunks

Im Bunker treffen die Besucher auch auf ein Utensil, das in der aktuellen Corona-Krise wieder alltäglich geworden ist: Masken. Angesichts der ausgestellten Gasmasken kann sich so mancher aber sicher mit dem leichten Mund-Nasen-Schutz versöhnen, der in diesen Tagen und auch bei der Besichtigung des Bunkers getragen werden muss. Dass die Maskenpflicht in Zeiten des drohenden Atomkriegs ganz andere Dimensionen hatte, als heutzutage, beweist ein besonderes Ausstellungsstück: eine Gasmaske für Hunde.