Exilautor und Verleger Josef Škvorecký ist gestorben
Die tschechische Literatur hat eine weitere Persönlichkeit der Nachkriegsgeneration verloren. Nach dem Tod von Arnošt Lustig, Jiří Gruša und Václav Havel im vergangenen Jahr ist am 3. Januar dieses Jahres der Schriftsteller und Exilverleger Josef Škvorecký im Alter von 87 Jahren in Toronto gestorben. Er hat die Romane „Die Feiglinge“, „Das Mirakel“, „Der Seeleningenieur“ sowie Erzählbände, zahlreiche Übersetzungen, Essays und ein großes Verlagswerk hinterlassen.
„Ich stand auf, hob feierlich das Saxophon und ließ es zu Ehren des Sieges und des Kriegsendes schluchzen, zu Ehren dieser Stadt und all ihrer schönen Mädchen und zu Ehren der großen, grundlosen, ewigen, dummen, schönen Liebe. Und ich ließ es über alles schluchzen, über mein Leben, über die SS-Männer, die man hingerichtet hatte, und über den armen Hrob, der gefallen war, über Irena, die nichts verstand und langsam auf ihr Verderben in irgendeiner Ehe zuging, über die Jugendzeit, die zu Ende war, und über den Abschied, der jetzt begann, über das Orchester, das nie wieder so wie heute zusammenkommen würde, über die Abende, an denen wir unter Petroleumlampen gespielt und an die künftige Welt gedacht hatten, über alle schönen Mädchen, die ich geliebt hatte - und ich hatte viele von ihnen, vielleicht alle, geliebt -, und über die Sonne.“
Der Roman wurde eigentlich bereits 1949 geschrieben, musste aber bis 1958 auf seine Veröffentlichung warten. Kaum war das Buch draußen, folgte eine vernichtende Kritik von den offiziellen Stellen. „Verleumdung des antifaschistischen Widerstandes und Verunglimpfung der Roten Armee“ wurden Škvorecký damals vorgeworfen. Die kommunistischen Machthaber starteten Strafaktionen gegen die Leute, die zur Veröffentlichung des Romans beigetragen hatten. Josef Škvorecký erinnerte sich nach der Wende von 1989 im Tschechischen Rundfunk an die Zeit nach der Veröffentlichung:„Auf einmal ging es los mit den rasenden Kritiken, in denen ich räudiges Kätzchen und wurmstichiges Obst sowie Faschist, Titoist, Trotzkist und Zionist genannt wurde. Ich hatte erwartet, dass die offizielle Kritik über den Roman herfallen würde, aber in literarischer Hinsicht. Sie würde ihn vielleicht als zu naturalistisch oder so bezeichnen. Dass er aber als reaktionäres Politikum dargestellt würde, das war mir nicht eingefallen. Es war eine unangenehme Zeit. Ich erinnere mich, wie ich einmal zu Hause saß und meine Schwiegermutter kam und sagte, der Staatspräsident spreche auf einer Sitzung der Kommunistischen Partei über mich. Ich sollte ihr lieber meine Sparkassenbücher geben. Sie hatte ihre Erfahrungen, ihr Mann war verhaftet worden, ihr Sohn saß zehn Jahre lang im Gefängnis. Dazu kam es glücklicherweise bei mir nicht. Ich wurde nur aus dem Verlag geschmissen, und gleich danach aber wieder aufgenommen.“
Škvorecký gilt als ein herausragender tschechischer Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Was seine Literatur einzigartig macht, dazu der Literaturhistoriker Michal Přibáň:„Der Wille und vor allem die Fähigkeit, Geschichten zu erzählen. Das klingt zwar banal, aber Škvorecký hat es geschafft, die Spontaneität und die Konstruktion der literarischen Welt in Einklang zu bringen. Er konnte – wie nur wenige weitere Autoren – Dialoge schreiben, er wusste sowohl seine ganz konkreten Erlebnisse sowie allgemein geltende Lebenserfahrungen zu nutzen. Er war ein guter Beobachter und ein großzügiger Mensch. Er konnte die menschlichen Schwächen mit Freundlichkeit, Verständnis und sogar mit Vergnügen betrachten.“
Škvorecký wurde 1924 in der ostböhmischen Provinzstadt Náchod geboren, die in seinen Romanen als Kostelec in die Literatur eintrat. Nach dem Abitur zog er nach Prag. Der Literaturhistoriker Michael Špirit:
„Škvorecký studierte Anglistik und trat zunächst als Übersetzer und Verlagslektor in Erscheinung. In seinen Erinnerungen und Essays ist er häufig dazu zurückgekehrt, wie stark ihn vor allem Ernest Hemingway beeinflusst hat. Škvorecký will bei Hemingway gelernt haben, Dialoge zu schreiben.“Nach dem Skandal um den Roman „Feiglinge“ konnte Škvorecký einige Jahre nur Übersetzungen publizieren: vor allem Hemingway, Chandler und Faulkner. In den 60er Jahren brachte er aber dann bereits wieder eigene Werke heraus. Neu in seinem Schaffen waren dabei Kriminalromane. Der Bruch kommt dann im August 1968, als die Panzer der Warschauer-Pakt-Staaten die Reformbewegung des Prager Frühlings niederwalzten. 1969 erhielt Škvorecký ein einjähriges Stipendium für einen Aufenthalt in Kalifornien. Er und seine Frau, die Schriftstellerin Zdena Salivarová, kehrten nach Ablauf des Stipendiums nicht in die Tschechoslowakei zurück und ließen sich in Toronto nieder.
Im Exil in Toronto spielte sich die zweite Hälfte von Škvoreckýs Leben und Werk ab. Er lehrte dort an der Universität, schrieb weitere Romane und avancierte zu einem bedeutenden tschechischen Prosaautor in der anglophonen Welt. Aber noch mit einer Leistung hat sich das Ehepaar Škvorecký um die tschechische Kultur und Literatur verdient gemacht. Eigentlich war es eine Idee von Škvoreckýs Frau Zdena Salivarová, bei deren Umsetzung Škvorecký geholfen hat. 1971 wurde in Toronto der Exilverlag Sixty Eight Publishers gegründet. In zwanzig Jahren brachte der Verlag mehr als 200 Bände von in der Tschechoslowakei verbotenen Autoren wie Václav Havel, Milan Kundera, Ludvík Vaculík oder Václav Černý heraus. Der Verlag wurde zum bedeutendsten Zentrum tschechischer Exil- und Samizdatliteratur. Die Bücher wurden dann in die Tschechoslowakei geschmuggelt und dort heimlich gelesen. Dazu Michal Přibáň:„Die Manuskripte kamen meist mit der diplomatischen Post beziehungsweise durch andere Kanäle, die von Dissidenten organisiert wurden, in die Tschechoslowakei. Das Ehepaar Škvorecký stand in Kontakt mit den Verlegern und Redakteuren der tschechischen Autoren im Westen, die – wenn ich es vereinfacht sage – die Rechte der Autoren vertraten. Škvorecký achtete darauf, dass jede Veröffentlichung eine rechtliche Grundlage hatte. Viele Handschriften sind aber auch dank der persönlichen Tapferkeit einiger Freunde Škvoreckýs ins Ausland gekommen.“
Im Verlag 68 Publishers erschienen auch die Exilromane von Josef Škvorecký, in denen erneut sein Alter Ego, Danny Smiřický, auf die Bühne trat. In „Mirakel“, einem Roman mit einem Kriminalmotiv, kehrte er in die Tschechoslowakei der fünfziger und sechziger Jahre zurück. Der anscheinend zweite Höhepunkt in Škvoreckýs Romanschaffen nach den Feiglingen war „Der Seeleningenieur“, in dem der Autor mittels Danny seine Flucht nach dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen und das anschließende Leben als Universitätsprofessor in Toronto reflektiert. Literaturhistorik Michael Špirit:„Das Wesentliche an der Figur ist, dass sie zusammen mit ihrem Autor alt wird. Im Roman Feiglinge hat Danny sogar dasselbe Geburtsdatum wie Josef Škvorecký. Gleichzeitig taucht Danny Smiřický aber in jedem Werk anders auf. Im „Panzerbataillon“ ist er ein Objekt der Erzählung, in einigen Kapiteln tritt er überhaupt nicht auf. Im Roman „Mirakel“ hat er ein anderes Temperament und andere Lebensziele als im Roman „Seeleningenieur“, der an diesen – in Anführungszeichen – anknüpft. Ich finde es gut, dass Škvorecký absichtlich immer nur jene Seiten der Figur reflektiert hat, die ihn interessiert haben, wobei er älter wird.“
Das Ehepaar Škvorecký besuchte erst nach der Wende von 1989 wieder die Tschechoslowakei. 1990 wurde ihnen von Präsident Václav Havel der Orden des Weißen Löwen verliehen, um den Verdienst ihres Verlags für die tschechische Literatur zu würdigen. Škvorecký wurde auch mit mehreren literarischen Preisen ausgezeichnet, er erhielt den Staatspreis für Literatur sowie den Jaroslav-Seifert-Preis. Vor drei Jahren wurde er mit dem Angelus-Preis für mitteleuropäische Literatur ausgezeichnet. In Prag und Tschechien hielt er sich allerdings nur zu Besuch auf, bis zum Tod lebte er in seiner neuen Heimatstadt Toronto.