Ferien in Corona-Zeiten: In Tschechien werden zahlreiche Nachhilfecamps für Schüler organisiert
Viele tschechische Schüler werden die gerade angelaufenen Ferien nicht nur mit Faulenzen und Hobbys verbringen. Schulen im ganzen Land haben für sie Nachhilfecamps organisiert. In diesen soll der Stoff aufgeholt werden, der in der langen Zeit des Distanzunterrichtes auf der Strecke geblieben ist. Auf diese Weise sollen die Kinder rund Jugendlichen besser auf das nächste Schuljahr vorbereitet werden. Ein wichtiger Aspekt dieser besonderen Ferienlager sind aber auch die sozialen Kontakte. Das Bildungsministerium fördert diese Ferienangebote mit einem Millionenprogramm.
Die sechste Klasse der Schule in Česká Ves / Böhmischdorf kurz vor Ferienbeginn beim Tschechisch-Unterricht. Manchen Kindern fallen die Aufgabenstellungen nicht leicht. Lehrerin Ivana Svobodová Chocholová sieht eindeutige Defizite, die der monatelange Distanzunterricht bei ihren Schützlingen hinterlassen hat. Darum hat sie gemeinsam mit einem Kollegen zwei Nachhilfecamps für den Sommer organisiert:
„Ich habe das Gefühl, dass die Schüler einiges an Lehrstoff aufarbeiten müssen. Wir müssen nachholen, was wir nicht geschafft haben, und überhaupt wieder in einen normalen Lernrhythmus gelangen.“
Keine sechs Wochen lang konnten alle Schüler in Tschechien wieder zum Präsenzunterricht gehen, bevor ihnen am 30. Juni die Zeugnisse überreicht wurden. Damit endete schon das zweite Schuljahr, das von der Corona-Pandemie beeinflusst war. Im EU-Vergleich waren die Schulen in Tschechien am längsten geschlossen. Die Erst- und Zweitklässler konnten immerhin noch 63 Prozent der Unterrichtszeit in den Schulbänken verbringen. Bei den Klassenstufen drei bis fünf waren es 54 Prozent, bei den älteren Schülern bis zur neunten Klasse nur 47 Prozent. Die weiterführenden Schulen waren sogar zu zwei Dritteln des Schuljahres geschlossen.
Die Programme der Nachhilfecamps, die im Juli und August landesweit in großer Zahl stattfinden, werden von jeder Schule selbst gestaltet. In Česká Ves im schlesischen Teil Tschechiens wird ein Durchgang eine Woche lang dauern. Lehrerin Svobodová Chocholová will ihn für ihre Schüler möglichst unterhaltsam gestalten:
„Wir wollen ein Projekt namens ‚Der Planet des kleinen Prinzen‘ beenden, das schon im September begonnen hat, dann aber nicht weitergeführt werden konnte. Außerdem will ich mit den Kindern an ihren Lesekompetenzen arbeiten. Dann soll es quer durch die Fächer gehen, wobei wir Geografie, Geschichte oder Naturwissenschaften einbeziehen. Wichtig werden auch Kommunikation und Ethikunterricht sein.“
Finanziert werden diese Sommerschulen vom Bildungsministerium. Schon im März war ein entsprechendes Förderprogramm ausgeschrieben worden. Dies sei auf immenses Interesse gestoßen, sagt Ministeriumssprecherin Aneta Lednová:
„Bei uns sind mehr als 400 Anträge eingegangen, mit einem Gesamtförderbedarf von knapp 270 Millionen Kronen. Es wird den Sommer über 6000 solcher Nachhilfecamps geben, und dank unserer Förderung können bis zu 100.000 Kinder aus der ganzen Republik kostenlos daran teilnehmen.“
Gut investierte öffentliche Mittel
Die bewilligte Summe von 270 Millionen Kronen entspricht 10,6 Millionen Euro. Allein weil diese Mittel den Kindern und Jugendlichen zukommen, beurteilt Petra Mazancová sie als gut eingesetzte Gelder. Sie ist die Vorsitzende der Berufsorganisation „Lehrerplattform“:
„Um der Kinder willen sollten wir dabei nicht nur die Effektivität der Investition messen. Ich denke ohnehin, dass die Camps nicht allein der Nachhilfe dienen. Das Ministerium selbst hat auch schon ihren sozialen Wert betont. Für die Kinder ist es auf jeden Fall wichtig, dass sie nicht zu Hause bleiben müssen, sondern zusammen sein und etwas unternehmen können. Das hat ihnen im vergangenen Schuljahr am meisten gefehlt.“
Tatsächlich hat die Zeit der geschlossenen Schulen bei den tschechischen Schülern nicht selten Depressionen ausgelöst. Konkret betrifft das 26 Prozent der Jugendlichen an weiterführenden Schulen und 34 Prozent der Studenten an Hochschulen. Dies hat eine Studie der privaten Newton University und des Analyseinstituts Behavio ergeben. Dazu wurden Ende Mai und Anfang Juni mehr als 7000 Jugendliche und junge Erwachsene in Tschechien befragt. 60 Prozent von ihnen gaben an, sich schlecht konzentrieren zu können und unter Stress zu stehen.
Lukáš Valeš von der Newton University zieht daraus den Schluss, dass Präsenzunterricht nicht zu ersetzen sei:
„Es zeigt sich sehr deutlich, dass die Schule in erster Linie Teil der sozialen Struktur ist. Dies ist genauso wichtig und vielleicht sogar noch wichtiger als das, was dort an Lernstoff vermittelt wird. Obwohl es sich um eine digitale Generation handelt, will sie ganz eindeutig, dass die vielleicht auf den ersten Blick überholte Institution der Schule erhalten bleibt und auch weiterentwickelt wird.“
Laut Valeš zeigt die Studie, dass die junge Generation verletzlich ist. Sie belege aber ebenso, dass die Kinder sich auf ihre Lehrer verlassen können. Nur 16 Prozent der befragten Schüler gaben an, nicht zufrieden mit der Durchführung des Distanzunterrichts gewesen zu sein.
Das kann als Würdigung einer besonderen Kraftanstrengung gelten. Denn auch unter den Pädagogen äußern sich die negativen Auswirkungen des Schul-Lockdowns. Dafür gibt es ebenfalls aktuelle Daten aus dem Frühsommer. Die Agentur PAQ Research hat gemeinsam mit der Firma Kalibro eine Erhebung unter 600 Lehrern durchgeführt. Ihr Ergebnis besagt, dass der Distanzunterricht für die meisten Befragten viele Überstunden mit sich brachte. 80 Prozent der Teilnehmer gaben an, während des Distanzunterrichtes mehr Zeit mit der Vorbereitung der Unterrichtsstunden verbracht zu haben als gewöhnlich. Veronika Marková, Klassenlehrerin der fünften Klasse einer Prager Grundschule, bestätigt dies:
„Es ist anstrengender im Hinblick auf die Vorbereitungen. Für die jüngeren Schüler in der fünften Klasse hat sich die Arbeit mit Lehrbüchern als nicht praktikabel erwiesen. Also habe ich für jede Stunde eine Präsentation vorbereitet. Oder wir haben verschiedene Programme genutzt, die im Internet frei zugänglich sind.“
Anzeichen von Depression bei Schüler und Lehrern
Der Soziologe Daniel Prokop von PAQ Research belegt diese Erfahrung mit den Daten seiner Studie:
„Die Struktur hat sich sehr verändert. Die Lehrer haben weniger Zeit mit dem synchronen Unterricht verbracht. Dafür brauchten sie mehr Zeit für die Kommunikation mit den Schülern und den Eltern. Für zwei Drittel der Pädagogen war diese Unterrichtsform stressiger als die übliche Arbeit. Sie sahen sich neuen Herausforderungen ausgesetzt, zum Beispiel bei der Bewertung der Leistung.“
Die Umfrage ergab außerdem, dass mehr als ein Drittel der Lehrenden während der Zeit des Distanzunterrichtes Symptome von Depression und Angstzuständen entwickelt hat. Etwa zehn Prozent der jüngeren Pädagogen sehen zudem ihre Zukunft im Schulwesen auf maximal fünf Jahre beschränkt. Aus diesen Erkenntnissen ergeben sich für Petra Mazancová von der „Lehrerplattform“ eine kurzfristige und eine langfristige Forderung:
„Die Lehrer brauchen Urlaub. Und das völlig verdient, ohne dass ihnen jemand vorwirft, dass sie ja nun ein dreiviertel Jahr lang zu Hause gewesen seien und nun schon wieder frei hätten. So war die Situation nun wirklich nicht. Die öffentliche Wahrnehmung wird den Lehrern manchmal wirklich nicht gerecht. Die Ansprüche an sie sind hoch, besonders in diesem Jahr. In unserer Plattform gab es vorher nie so viele Lehrer, die eine Supervision oder eine psychotherapeutische Betreuung angefordert haben. Nach dieser Erfahrung ist nun aber hoffentlich der Weg frei, damit Supervision und Psychotherapie regulär die Arbeit der Lehrer ergänzen.“
Die Studie von PAQ Research hat außerdem ermittelt, dass die Pädagogen sich intensiv damit beschäftigt haben, wie sie bei den Schülern wieder eine Lust auf das Lernen wecken können. 77 Prozent der Befragten hält dies für wichtig. Auch dabei könnten die Nachhilfecamps in den Sommerferien helfen. Das Angebot der beiden Kurse, die Ivana Svobodová Chocholová in Česká Ves entwickelt hat, erfreut sich jedenfalls großer Nachfrage. Die beiden Schülerinnen Zuzana und Tereza wollen an beiden Ferienlagern teilnehmen. Da sie dort mit ihren Freunden Zeit verbringen können, habe sie auch kein Problem damit, sogar in den Ferien weiter zu lernen, sagt Zuzana:
„Wenn es lustiger wird als in der Schule, stört mich das nicht. Im Moment hänge ich in Mathe zurück. Da gibt es gerade viele Wiederholungen, und ich bringe das alles durcheinander.“
Die Sommerschulen sollen die Kinder und Jugendlichen für den Lehrstoff im neuen Schuljahr rüsten. Zum Schutz ihrer Gesundheit wiederum bereitet das Gesundheitsministerium derzeit einen dezidierten Rückkehrplan vor. Demnach wird es in den ersten Schultagen im September in allen Einrichtungen vermutlich umfassende Corona-Tests geben. Ob die Schüler dann auch noch einen Mund-Nasen-Schutz tragen müssen, wird nach Aussagen von Gesundheitsminister Adam Vojtěch (parteilos) anhand der epidemiologischen Lage zum Ende der Sommerferien entschieden.