Festival warnt vor Verlust der Freiheit
Am Montag wurde in Prag das internationale Festival gegen Totalitarismus Mene Tekel eröffnet.
Es ist fast schon zur Regel geworden, dass zur Eröffnung des Festivals Mene Tekel dieses Lied erklingt. Auch diesmal wurde es in der Maria-Schnee-Kirche gespielt. Es heißt „Hymna muklů“. Das Wort „mukl“ ist die Abkürzung für den Ausdruck „muž určený k likvidaci“ –„zur Liquidierung bestimmter Mann“. Einige dieser „mukls“, der ehemaligen politischen Gefangenen, saßen auf den Bänken der Kirche. Vlasta Preislerová ist Vizevorsitzende der Konföderation politischer Gefangenen. Sie erinnerte an die Schicksalsjahre in der Geschichte Tschechiens – die Jahre 1918, 1938, 1948 und 1968.
„In diesem Jahr wird immer wieder über Souveränität und nationale Identität gesprochen. Hierzulande mangelt es jedoch momentan an innerlich freien, starken und hoffnungsvollen Persönlichkeiten, die wir aber dringend brauchen. Bei jedem Festivaljahrgang machen wir ehemalige politische Gefangene darauf aufmerksam, dass es in der Welt immer noch totalitäre Regime gibt. Jedes Jahr fordern wir die anderen auf, die totalitäre Vergangenheit nicht zu vergessen.“
Ähnlichkeit mit den Jahren 1945-1948
Das Festival wird immer in der Zeit um den 25. Februar herum veranstaltet. Das Datum ist symbolisch, denn am 25. Februar 1948 ergriffen die Kommunisten die Macht in der damaligen Tschechoslowakei. An der Festivaleröffnung nahmen auch einige Historiker und Politiker teil. Der Christdemokrat Jan Wolf ist im Prager Stadtrat für Kultur zuständig.
„Seit der Samtenen Revolution sind fast 30 Jahre vergangen. Ich habe das Gefühl, dass die politische Lage hierzulande den Jahren 1945 bis 1948 ähnelt. Die Zusammensetzung des Parlaments ruft Befürchtungen hervor. Ich bin davon überzeugt, dass die ehemaligen politischen Gefangenen uns daran erinnern werden, was sich 1948 und kurz danach abgespielt hat. Die Richter, die damals die Schauprozesse führten, sind doch nicht plötzlich aufgetaucht. Sie hatten früher schon 20 Jahre lang in einer freien Tschechoslowakei gelebt. Das Festival Mene Tekel warnt vor einer Wiederholung der Geschichte.“Auch bei der zwölften Auflage des Festivals stehen wieder Ausstellungen, Buchpräsentationen, Historikerdiskussionen sowie Film- und Theatervorstellungen auf dem Programm. Festivaldirektor Jan Řeřicha ist Theaterregisseur und Schauspieler. Er hat das Festival 2007 ins Leben gerufen. Die Gründe liegen in seiner Familie, sagt er:
„Mein Vater war indirekt Opfer des kommunistischen Regimes. Meine Frau hat zwar Theaterdramaturgie studiert, durfte aber nicht als Dramaturgin arbeiten, weil ihr Bruder im Exil lebte. Nach der Wende von 1989 habe ich mit der Präsidentenkanzlei von Václav Havel zusammengearbeitet. Ich knüpfte damals Kontakte zu der Konföderation politischer Gefangener. Unter ihnen habe ich viele bewundernswerte Persönlichkeiten kennengelernt. Ich und meine Frau wollten uns dann dafür einsetzen, dass diese Menschen und ihr Vermächtnis nicht vergessen werden. Wir möchten damit auch zu einer besseren Wahrnehmung von Ethik und Moral beitragen.“
Schüler und die Wege der Freiheit
Das Festival wendet sich vor allem an Jugendliche. Jeden Tag gibt es Veranstaltungen für Schulklassen. Der Festivaldirektor:„Die jungen Menschen können nichts dafür, dass sie kaum über Zeitgeschichte informiert sind. Daran sind wir, die ältere und mittlere Generation, Schuld. Denn wir haben den Jüngeren nicht unsere Erfahrungen und Kenntnisse vermittelt. Beim Festival arbeiten wir sehr gerne mit Lehrern und Jugendlichen zusammen.“
Im Rahmen des Festivals gab es auch ein Künstlerwettbewerb für den Nachwuchs. Das Thema hieß „Wege zur Freiheit“. Die besten Arbeiten dazu sind im Kreuzgang des Franziskanerklosters bei der Maria-Schnee-Kirche ausgestellt. Unter den jüngsten Teilnehmern hat Tirsa Šramlová mit einem Bild gepunktet. Sie geht in die vierte Klasse der Grundschule. Vom Wettbewerb habe sie von ihrer Kunstlehrerin erfahren, erzählt sie – und beschreibt das Bild, das sie gemalt und gedruckt hat.
„Das da war vermutlich die beste aller meiner Ideen. Es ist ein Vogel, der versucht, zum Licht zu fliegen. Aus irgendeinem Grund schafft er das nicht. Der Vogel sieht doch unglaublich traurig und hilflos aus.“
Wandel zur Konsumgesellschaft
Diesmal reflektiert das Festival die Schicksalsjahre in der tschechischen Geschichte. Dazu gehört auch 1918, das Gründungsjahr der früheren Tschechoslowakei. Ebenso sind es 1938, als das Münchner Abkommen unterzeichnet wurde, sowie 1948, als die Kommunisten die Macht ergriffen. In diesem Zusammenhang wird mit Ausstellungen und Filmvorführungen auf wenig bekannte Helden aufmerksam gemacht. Jan Řeřicha:
„In diesem Land gab es Menschen, die bereit gewesen sind, ihre Freiheit oder sogar das Leben für ihre Ideale zu opfern. Ich habe leider in letzter Zeit das Gefühl, dass sich unsere Gesellschaft in eine reine Konsumgesellschaft verwandelt hat.“Laut dem Festivaldirektor gibt es für diese Verwandlung mehrere Gründe. Einen sieht er in der Erziehung:
„Die ältere und mittlere Generation sind von der gezielt atheistischen Erziehung während der 40 Jahre Kommunismus stark geprägt. Wo es in der Familie nicht gelungen ist, die Bedeutung bestimmter Werte aufrechtzuerhalten, ist das moralische Niveau der Menschen gesunken. Wenn man sein Wohl nur nach dem bemisst, was man besitzt, führt dies zu Oberflächlichkeit. Zudem glaube ich, dass Menschen, die genügend Freiheiten haben, allmählich aufhören, diese Tatsache zu schätzen. Darum stehen Persönlichkeiten im Blickpunkt des Festivals, die sich für die Freiheit eingesetzt haben. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die Menschen hierzulande in kritischen Momenten auch zusammenzuhalten können. Ich erinnere nur an die Flutkatastrophe von 2002, als eine große Welle der Solidarität durch das Land ging, oder an die Zeit kurz nach der Wende 1989. Meiner Meinung nach muss die moralische Intelligenz der Menschen gestärkt werden. Dies ist auch eine der Aufgaben des Festivals.“
Das Festival Mene Tekel läuft noch bis 4. März. Es gibt mehrere Veranstaltungsorte in Prag. Die Schau zum Thema „Wege zur Freiheit“ und die historischen Ausstellungen über Präsident Masaryk oder über den Freiheitskampf der Bewohner der Karpaten-Ukraine in den Jahren 1938 bis 1945 sind im Kreuzgang des Klosters bei der Maria-Schnee-Kirche zu sehen, und zwar noch bis 8. März. Der Kreuzgang ist täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet, der Eintritt ist frei.