Gauck in Prag: Auch Linke im Westen brauchen Nachhilfeunterricht

Joachim Gauck (Foto: Autorin)

Seit Montag findet im Sitz der oberen Kammer des tschechischen Parlaments eine Konferenz statt, deren Ziel es ist, die Entstehung eines internationalen Instituts zu initiieren, das sich auf europäischer Ebene mit der Aufarbeitung des Kommunismus befassen soll.

Joachim Gauck  (Foto: Autorin)
Am ersten Konferenztag befassten sich die etwa 150 Teilnehmer aus ganz Europa und Amerika, unter ihnen ehemalige politische Gefangene und Vertreter von Exilverbänden, mit den Verbrechen des Kommunismus. Sie stellten fest, dass diese Untaten als Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht verjähren sollten. Am Dienstag wurde die Konferenz mit einer Diskussion über die Aufarbeitung des Kommunismus aus der westeuropäischen Perspektive eröffnet. Unter den Diskutierenden war auch der ehemalige Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR, Joachim Gauck. Auch fast 19 Jahre nach der Wende ist in Tschechien die Kommunistische Partei im Parlament vertreten. Die Wähler dieser Partei denken oft mit Nostalgie an die früheren Zeiten. Joachim Gauck sieht dafür einige Gründe:

„Die Nostalgie ist nicht nur deshalb so beliebt, weil es politische Kräfte gibt, die sie politisch benutzen. Das ist nur ein Element. Das Schwierigere ist ein psychologisches Phänomen: Menschen erinnern sich gerne an die positiven Dinge. Wir könnten eine Definition wagen: Nostalgie ist die Form der Erinnerung, die ohne Schmerz auskommt. Und das schafft die Beliebtheit. Dann kommen die politischen Nutznießer von Nostalgie. Das ist aber ein zweites Thema. Wir müssen uns klarmachen, dass es immer Nostalgie geben wird. Das ist nicht nur ein tschechisches oder ostdeutsches Phänomen, sondern in jeder Gesellschaft, die eine Transformation erlebt, gibt es zwei Erinnerungskulturen: die der Aufklärer und die der Opfer sowie andererseits die der Nostalgiker. Man kann es nicht abschaffen. Was man aber tun kann: Man sollte unerschrocken die Fakten und die Interessen der leidenden Opfer benennen. Und dann muss man sagen, wann die Nostalgie bricht. Wichtig ist, dass die Nostalgie kulturell nicht übermächtig wird. Da müssen Intellektuelle, die Opfer und die demokratischen Parteien wachsam sein.“

Zweiter Konferenztag  (Foto: Autorin)
Der Kommunismus wird von einem Teil der Bevölkerung in Westeuropa toleriert. Wie auf der Konferenz zu hören war, wird über den Kommunismus als Herrschaftsform nur sehr wenig gesprochen. Joachim Gauck:

„Wir stehen nicht nur im Bereich des Postkommunismus vor erheblichen Lernaufgaben, sondern große Teile des Westens, ganz besonders das linke Lager - viele Intellektuelle - haben die Aufgabe, den Kommunismus neu zu bewerten. Und zwar sind es nicht nur die zahlreichen Verbrechen, die den Kommunismus suspekt machen, sondern wir müssen langsam begreifen, dass schon vor den Nazis in der Sowjetunion die Abschaffung der Bürger- und Menschenrechte politisches Programm geworden ist. Die Abschaffung der Rule of law, die Aufhebung der Gewaltenteilung, eine komplette Negierung des gesamten europäischen Demokratie-Projektes – das ist Kommunismus als Herrschaftsform. Es gibt keinen Grund, das zu verniedlichen. Und einige Intellektuelle im Westen Europas verniedlichen nach wie vor die brutale Zurücknahme aller demokratischen Werte, die das europäische Demokratie-Projekt hervorgebracht hat. Da brauchen die offensichtlich auch noch Nachhilfeunterricht.“