Gedenktag zum Abzug der sowjetischen Besatzungstruppen 1991: Zeitzeugenerinnerungen aus Olmütz

Abzug der sowjetischen Besatzungstruppen 1991

Am Samstag wird in Tschechien erstmals der Gedenktag zum Abzug der Besatzungstruppen begangen. Am 25. Juni 1991 wurde nämlich das Protokoll über die Beendigung des Abzugs der russischen Armee aus der Tschechoslowakei unterzeichnet. Im Land waren die Truppen seit der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968. Auch wenn die kommunistische Propaganda es anders wollte, wurden die Soldaten von dem Großteil der einheimischen Bevölkerung bis zum Schluss als Okkupanten betrachtet. So war es etwa in Olmütz, wo eine große Zahl an sowjetischen Militärs stationiert war.

Pavel Urbášek | Foto: Aleš Spurný,  Tschechischer Rundfunk

Unter der älteren Einwohnerschaft von Olomouc / Olmütz ist die Erinnerung an die sowjetischen Soldaten noch heute lebendig. In der mährischen Stadt und ihrer Umgebung waren vor 1989 etwa 15.000 bis 20.000 russische Militärs stationiert – was die zweithöchste Anzahl war nach dem Stützpunkt im böhmischen Milovice, nordöstlich von Prag. Pavel Urbášek ist Historiker, selbst Zeitzeuge und leitet das Archiv der Palacký-Universität in Olmütz:

„Da es in Olmütz eine große Menge an Armeeobjekten gab, wurde die Stadt zu einem wichtigen Stützpunkt der Ersten Tschechoslowakischen Republik, aber auch nach dem Jahr 1945. In Bezug auf die sowjetischen Truppen in Olmütz ab 1968 muss man wissen, dass die Stadt auch eine wichtige strategische Funktion hatte. Sie lag etwa in der Mitte der damaligen Tschechoslowakei und war ein wichtiger Schienenknotenpunkt.“

Truppenübungsplatz Libavá | Foto:  Archiv von Jindřich Machala,  Post Bellum

Zudem lag der Truppenübungsplatz Libavá nur einige wenige Kilometer entfernt. Dies alles schuf günstige Bedingungen für die russischen Truppen, die seit der Niederschlagung des Prager Frühlings am 21. August 1968 im Land waren. Olmütz wurde in diesen Tagen zunächst von polnischen Einheiten besetzt, bis diese dann durch russische ausgetauscht wurden.

Die Soldaten wurden zunächst in freien Räumlichkeiten, wie etwa dem Haus der Armee, oder auch in Zelten untergebracht. Dieses Provisorium wurde durch einen bilateralen Vertrag im Oktober 1968 in einen, wie es hieß, „vorübergehenden Aufenthalt der sowjetischen Truppen“ umgewandelt. Drei Straßenblocks, rund um den Hauptbahnhof gelegen, wurden den Militärs in Olmütz zugeteilt. Und auch im historischen Zentrum seien sie zugegen gewesen, erläutert Urbášek:

Hanácká-Kaserne | Foto: Olga Wassinkjewitsch,  Radio Prague International

„Im Zentrum der Stadt nutzten sie die Hanácká-Kaserne. Darin wurde das größte Geschäft für die Sowjets eingerichtet, das die Olmützer ‚GUM‘ nannten, in Anlehnung an das Moskauer Kaufhaus. In dessen Nähe, auf dem Žižkov-Platz, steht ein Armeegebäude aus der Mitte der 1930er Jahre. Es wurde für die tschechoslowakischen Truppen gebaut. Die Sowjets nutzten es dann als militärisches Hauptquartier.“

1700 neue Wohnungen wurden gebaut

In der Straße Černá cesta, etwa 300 Meter östlich vom Stadtzentrum entfernt, oder auch im Viertel Nový Svět entstanden mehrere Neubauten mit insgesamt 1700 Wohnungen. Auch Kultureinrichtungen und drei Einkaufsläden wurden für die russischen Militärs eingerichtet. Ihre Familienangehörigen zogen im Laufe der 1970er Jahre nach. Der Erinnerung von Pavel Urbášek zufolge sind die Olmützer Bewohner im Stadtgebiet aber so gut wie nie auf einfache Soldaten getroffen. Diese hätten die Kasernen kaum verlassen, berichtet der Historiker. Präsent waren nur die Offiziere und ihre Familien, die ab und zu die Restaurants der Stadt besucht hätten:

Ehemalige sowjetische Wohnungen in der Straße Černá cesta | Foto: Olga Wassinkjewitsch,  Radio Prague International

„Wenn ich an die Familienangehörigen denke, vor allem an die Frauen, meine ich, dass sie vor allen in den 1970er Jahren in den Straßen flanierten. Sie liefen in Gruppen durch Olmütz und waren immer so typisch gekleidet. Vor allem im Winter trugen sie Pelzmäntel und -mützen. Im Übergang zu den 1980er Jahren waren die Familien aber schon nicht mehr von den Olmützer Einwohnern zu unterscheiden.“

Auch wenn zahlreiche Armeeangehörige mitten in der Stadt untergebracht waren, entstand also kein echtes Zusammenleben. Im Gegenteil, der allergrößte Teil der Olmützer Bewohnerschaft habe die Sowjets immer als Okkupanten betrachtet und verachtet, ist Urbášek überzeugt:

Illustrationsfoto:  ČT24

„Gleichzeitig lernten sie aber, mit ihnen in der Stadt zu koexistieren. Vor allem in den 1980er Jahren gab es lebendige Tauschgeschäfte. Die russischen Offiziere boten nämlich Diesel und Benzin zum Verkauf an. Weil die Armee viele Fahrzeuge verschiedener Art hatte, gab es ausgiebige Vorräte an Treibstoffen. Diese vertrieben sie in großem Umfang unter dem damaligen normalen Verkaufspreis.“

Viele Offiziere hätten zudem mit Elektrogeräten, vor allem mit Farbfernsehern gehandelt, fährt der Historiker fort. Ganz legal wiederum hätten die Olmützer gern und oft in den russischen Läden eingekauft, die in den Siedlungen der Militärs eingerichtet wurden. Es gab drei davon, einschließlich des bereits erwähnten, gut bestückten Geschäfts, das im örtlichen Volksmund nach dem Moskauer Kaufhaus GUM genannt wurde. Feinschmecker kauften dort laut Urbášek sowjetischen Kaviar oder Sekt. Der größte Teil der Waren habe zwar aus der ČSSR gestammt – nur seien nach Zeitzeugenaussagen die Regale in den russischen Läden voller gewesen.

Lebendige Tauschgeschäfte mit Benzin und Eletrogeräten

Illustrationsfoto:  ČT24

Dies war aber nur die eine Seite der Koexistenz von Zivilbevölkerung und Besatzungstruppen in Olmütz. Wie der Archivleiter weiter berichtet, sei die Polizei andererseits mit Prügeleien sowie Fällen von sexueller Belästigung und Vergewaltigungen beschäftigt gewesen. In Zeitzeugenberichten geht es zudem häufig um ausgeraubte Gartenlauben, was den sowjetischen Soldaten zugeschrieben wird. Urbášek nennt hierzu keine Zahlen. Seine persönliche Einschätzung lautet:

„Wenn ich das Verhältnis der Olmützer zu den Soldaten charakterisieren sollte, dann war es eher von Ignoranz und Verachtung geprägt. Andererseits war sich wohl jeder klar darüber, dass es für diese Leute – einschließlich der Offiziere und ihrer Familien – wohl nicht ganz einfach war, ihr Zuhause zu verlassen und in die Fremde zu gehen. Und dann auch noch in eine Gegend, wo die Leute sie verdächtig anschauten.“

Illustrationsfoto:  ČT24

In der Tschechoslowakei der 1980er Jahre hielten sich aufgrund des Vertrags vom Oktober 1968 etwa 73.500 sowjetische Soldaten und Offiziere auf, hinzu kamen 39.000 Familienangehörige. Die ersten Militärs seien schon vor 1989 abgezogen worden, berichtet Pavel Urbášek:

„Als in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre Michail Gorbatschow in der Sowjetunion an die Macht kam und zwischen den Blöcken ein Tauwetter einsetzte, verließen einige Tausend Soldaten die ČSSR noch vor dem Jahr 1989. Insgesamt handelte es sich um etwa 3000 Personen, davon zogen etwa 1000 aus Olmütz ab – von zwei Bataillonen ist da die Rede. In der Stadt war das aber kaum zu merken, denn die Mehrheit blieb ja hier.“

Illustrationsfoto:  ČT24

Aber nicht mehr für lange. In den Umbruchstagen im November 1989 sei vor allem in Olmütz sogleich die Forderung nach dem Abzug des Militärs laut geworden:

„In den November-Tagen der Wende wirkte sich die Anwesenheit der sowjetischen Truppen in einer Weise aus, dass hierzulande Bedenken herrschten, die Sowjets könnten gegen die Samtene Revolution vorgehen. Inzwischen wissen wir, dass dies nicht passierte und dass es einen strengen Befehl gab, sich nicht in die inneren Angelegenheiten einzumischen. In den folgenden Wochen kam es in Olmütz zu einer Reihe von Demonstrationen, die sowohl den tschechischen Politikern als auch den Sowjets kundtaten, dass die Menschen die Truppen hier nicht mehr wollten. Die zentralen Forderungen der Samtenen Revolution in Olmütz waren der Fall der kommunistischen Partei, freie Wahlen und auch der Abzug der Sowjets.“

Denn in der ČSSR und besonders in Olmütz sei die Anwesenheit der sowjetischen Truppen als Okkupation verstanden worden und habe als Symbol der 1970er und 1980er Jahre gegolten, ergänzt Urbášek.

Der Abzug wurde am 26. Februar 1990 von den Außenministern der Tschechoslowakei, Jiří Dienstbier, und der Sowjetunion, Eduard Schewardnadse, vertraglich beschlossen. Er dauerte anderthalb Jahre. Der letzte Güterzug mit Armeematerial überquerte die östliche Grenze der Tschechoslowakei am 21. Juni 1991. Als der letzte Befehlshaber, Kommandant Eduard Worobjow, das Land am 27. Juni per Flugzeug verließ, war der Abzug bereits seit zwei Tagen protokollarisch abgeschlossen und unterzeichnet. Darum ist der 25. Juni in Tschechien seit diesem Jahr nun ein offizieller Gedenktag.

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Autoren: Daniela Honigmann , Olga Vasinkevič
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