Gekommen, um zu bleiben? Invasive Insekten bedrohen in Tschechien nicht nur die Ernten

Hornisse

So unscheinbar manche eingewanderten Insekten auch sein können, für die Umwelt und auch für den Menschen stellen sie oft eine Gefahr dar, so drohen Landwirten etwa Ernteausfälle. Im Rahmen des Projekt „Najdi je“ (auf Deutsch: Finde sie!) sind die Menschen in Tschechien dazu aufgerufen, nach invasiven Insekten Ausschau zu halten und einen Fund an Forscher weiterzuleiten. Dadurch können Schutzmethoden entwickelt oder eine Weiterverbreitung verhindert werden.

Asiatischer Marienkäfer |  Foto: NAJDI.JE / Crop Research Institute

Wer an Insekten und Tschechien denkt, dem kommt wohl als erstes die Biene Maja in den Sinn oder aber auch Ferdinand die Ameise. Dieser Kinderheld musste in einer Episode aus der Zeit, nachdem die Kommunisten in der Tschechoslowakei an die Macht gekommen waren, den bösen amerikanischen Kartoffelkäfer bekämpfen. Natürlich stand in der Erzählung die politische Propaganda im Vordergrund. Doch die Geschichte hatte auch einen wahren Kern. Denn der Kartoffelkäfer, oder auch „Leptinotarsa decemlineata“, machte Bauern damals tatsächlich das Leben schwer – und er stammte ursprünglich aus Nordamerika.

Invasive Tier- und Pflanzenarten gab es in Tschechien natürlich nicht nur vor der Samtenen Revolution – es gibt sie bis heute. Einer, der sie untersucht, ist Jiří Skuhrovec vom Forschungsinstitut für Pflanzenproduktion (VÚRV). Im Interview für Radio Prag International betont der Wissenschaftler jedoch, dass man unterscheiden müsse zwischen Spezies, die sich von selbst verbreiteten, und invasiven Lebewesen…

Walnussfruchtfliege | Foto: NAJDI.JE / Crop Research Institute

„Wenn Arten eine geographische Barriere mit Hilfe des Menschen überwinden, handelt es sich um Neobiota. Die Einschleppung kann etwa aus Nordamerika, Australien, Südamerika oder Afrika erfolgen, oder aber auch aus dem Mittelmeerraum, wenn es die Art sonst nicht schafft, über die Alpen zu gelangen. Aber erst, wenn die Pflanze oder das Tier auch den Winter am gegebenen Ort überlebt und es ihr gelingt, sich fortzupflanzen und auszubreiten, sprechen wir von einer invasiven Art.“

Der Klimawandel begünstigt invasive Insekten

Eine Rolle würde bei all dem auch der Klimawandel spielen, so Skuhrovec weiter:

„Ich forsche vor allem zu Wirbellosen. Im Falle von Insekten ist die Verbindung ganz eindeutig, denn für diese Tiere ist Wärme sehr wichtig. Da die Durchschnittstemperatur bei uns steigt, ist es diesen Tieren möglich, hier zu überleben und sich zu vermehren.“

Soweit so gut. Aber warum können invasive Insektenarten eine Bedrohung darstellen? Es gebe unterschiedliche Aspekte, so der Entomologe:

Jiří Skuhrovec | Foto: NAJDI.JE / Crop Research Institute

„Diese Arten stören immer in irgendeiner Form die Umwelt. Sie können etwa ein Habitat verändern, weil sie einheimische Spezies verdrängen. Es kann sich auch um echte Schädlinge handeln, durch die etwa die Ernte oder unsere Gärten gefährdet werden. Und zu guter Letzt können sie auch gesundheitlich schädlich sein.“

In Tschechien setzen sich mit diesen Problemen deshalb vor allem das Landwirtschafsministerium sowie das Umweltministerium auseinander. Letzteres hat jüngst auch einen Aktionsplan gegen die Verbreitung invasiver Arten vorgestellt.

Während im Falle der eingewanderten Insekten manche noch eher unbekannt seien, habe mit anderen schon fast jeder eine Erfahrung gemacht, sagt der Wissenschaftler:

„Der Klassiker ist der asiatische Marienkäfer. Ihn findet man fast überall in Tschechien und Mitteleuropa“, sagt der Insektenforscher.

Und da Marienkäfer in Gruppen überwintern, könne es vorkommen, dass Tausende Exemplare Ansturm auf ein einziges Haus nehmen würden.

Buchsbaumzünsler | Foto: NAJDI.JE / Crop Research Institute

„Problematisch ist aber auch der Buchsbaumzünsler. Seine Raupen zerstören Buchsbäume, die viele Leute in ihrem Garten haben“, meint Skuhrovec zudem.

Tschechien bereitet sich auf die asiatische Hornisse vor

Und dann ist da zum Beispiel noch die „Vespa velutina nigrithorax“, die asiatische Hornisse. Dabei handelt es sich um ein fieses invasives Insekt. Denn die Hornisse sei in jeglicher Hinsicht gefährlich, betont Jiří Skuhrovec:

„Sie stellt ein Risiko dar für die Umwelt und auch für die Wirtschaft. Denn sie jagt vor allem Bienen. Unter anderem für Imker wird diese Hornisse in Zukunft deshalb das Thema Nummer Eins sein.“

Bei ihrer Jagd lauert die asiatische Hornisse den einheimischen Fluginsekten vor dem Bienenstock auf. Dann beißt sie Kopf und Hinterleib der Tiere ab, knabbert am Rest des toten Insekts herum und bringt die Überreste als Futter zu ihren Larven. Doch das sei noch nicht alles, denn auch für Menschen könne die asiatische Hornisse eine Gefahr darstellen, sagt Skuhrovec:

„Sie ist aggressiver als unsere Spezies. Die hier heimischen Tiere sind geradezu harmlos. Wenn man sie in Ruhe lässt, werden sie einen kaum anfallen. Die asiatische Hornisse aber bewacht ihr Territorium schon anders.“

Asiatische Hornisse | Foto: NAJDI.JE / Crop Research Institute

Und zu allem Überfluss kann die asiatische Hornisse auch in viel größerer Zahl auftreten als die hier heimischen Exemplare.

Der Eindringling aus Fernost breitet sich nun schon seit fast 20 Jahren in Europa aus. Tschechien wurde bisher zwar verschont, aber im Gespräch mit Jiří Skuhrovec bekommt man den Eindruck, dass es nur eine Frage der Zeit sei, ehe die Großwespe aus Asien auch hier zuschlägt:

„Sie ist noch nicht da, aber wir bereiten uns auf ihre Ankunft vor – vor allem, weil die Hornisse auch in Deutschland entdeckt wurde. Sie tritt dort vor allem an den Grenzen zu Belgien, Luxemburg und vor allem Frankreich auf, verbreitet sich mittlerweile aber im ganzen Land. Nach Tschechien könnte die Art zudem aus Richtung Süden kommen. Denn in Italien hat es das Tier mittlerweile an die Adria geschafft. Über Slowenien, Kroatien, Ungarn und die Slowakei könnte die Hornisse auch zu uns gelangen.“

Am Umweltministerium würde man sich deshalb intensiv auf die Hornisse vorbereiten, um für den Ernstfall gewappnet zu sein. Man würde dafür auch eng mit internationalen Partnern kooperieren, um Prozesse für das Monitoring und den Kampf gegen die asiatische Hornisse zu erarbeiten, so Jiří Skuhrovec.

Mit Citizen Science gegen invasive Arten

Zweifelsohne können invasive Lebewesen eine Gefahr darstellen. Während die Lage rund um eingeschleppte Pflanzen in Tschechien aber sehr gut erforscht sei, und man sich hierzulande auch schon länger mit invasiven Säugetieren, wie etwa Fischen beschäftige, habe die Lage bei Insekten und Wirbellosen vor Kurzem noch anders ausgesehen, so Jiří Skuhrovec.

Der Forscher hat diese Lücke erkannt und nach einer Lösung gesucht:

„Insekten sind in Tschechien sehr populär. Es gibt viele Hobby-Entomologen, deren Informationen aber nicht zentral gesammelt werden. Deshalb habe ich ein Projekt geschaffen, das innerhalb von zwei Jahren sehr groß geworden ist.“

Najdi je“ (Finde sie!) heißt die Initiative, die Skuhrovec ins Leben gerufen hat. Das Projekt basiert auf dem Prinzip von Citizen Science, also Bürgerwissenschaft. Die Teammitglieder gehen etwa an Schulen oder verteilen Flyer, um auf die invasiven Insekten aufmerksam zu machen – mit einem Ziel:

Foto: NAJDI.JE / Crop Research Institute

„Es geht uns darum, dass die Menschen das Vorkommen invasiver Arten aufzeichnen. Wir rufen dazu verschiedene Suchaktionen zu den einzelnen Spezies aus. Am Anfang steht immer, dass die Menschen die Augen offen halten und uns im Falle eines Fundes die Fotos verdächtiger Tiere schicken. Anhand der Bilder können wir dann bestätigen, dass es sich um den entsprechenden Organismus handelt, oder die Befürchtung widerlegen.“

Essentieller Bestandteil ist dabei auch das Prinzip von „Gamification“. Die Menschen sollen sich für das Thema interessieren und Spaß am Projekt haben…

„Manchmal fordern wir dazu auf, Lebewesen einzufangen und uns zu übergeben. Wir untersuchen dann etwa die Parasiten des Tieres, die die Verbreitung der invasiven Art entweder positiv oder negativ beeinflussen können.“

Teilnehmer testen Schutzmittel gegen Walnussfruchtfliege

Am weitesten sei man durch das Projekt „Najdi je“ wohl bisher bei der Walnussfruchtfliege gekommen, meint der Insektenforscher. Und das ist auch gut so, denn der unscheinbare Zweiflügler kann beträchtlichen Schaden anrichten…

Walnussfruchtfliege | Foto: NAJDI.JE / Crop Research Institute

„Die Walnussfruchtfliege ist in Tschechien aktuell ein richtiger Renner. Ihre Larven entwickeln sich in den Früchten des Walnussbaumes. Die Nüsse gehen dadurch ein, fallen frühzeitig herunter, und wir werden um unsere Ernte gebracht.“

Im Projekt „Najdi je“ wurde zuerst das Monitoring der Walnussfruchtfliege durchgeführt. Die Menschen haben dafür Fotos des Befalls in ihren Gärten geschickt.

„Dann haben wir die Teilnehmer aufgefordert, die Populationsdynamik zu erforschen. Das heißt: Wann und wo fliegt dieses Tier? Wie aktiv ist die Walnussfruchtfliege im Verlaufe der Saison?“

Walnussfruchtfliege – Verbreitung | Foto: NAJDI.JE / Crop Research Institute

In einem weiteren Schritt sollte die Effektivität eines potentiellen Schutzes gegen die Walnussfruchtfliege ausprobiert werden. 55 Menschen hätten im vergangenen Jahr an dem Experiment teilgenommen und ihre Daten an die Wissenschaftler weitergegeben, berichtet Skuhrovec:

„Wir konnten bereits eine gewisse Schutzwirkung feststellen. In einer Saison kann man den genauen Effekt aber noch nicht messen. Hinzu kommt, dass wir Daten von überall aus Tschechien haben. In Südmähren, wo die Walnussfruchtfliege am häufigsten auftritt, wird die Situation natürlich eine andere sein als in Mittelböhmen, Ostrava oder Karlsbad. Die Untersuchung dauert deshalb mehrere Jahre, und wir setzen sie aktuell fort. In diesem Jahr haben sich weit über 60 Menschen für die Aktion angemeldet.“

Die Teilnehmer installieren nun Klebefallen an ihren Bäumen oder besprühen die Gewächse mit einem Schutzmittel, um die Wirkung dieser Maßnahmen zu überprüfen. Man kann nur hoffen, dass diese und weitere Aktionen von „Najdi je“ Erfolg zeigen und man so in Zukunft besser auf invasive Insekten vorbereitet ist.

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