Geplanter Kohleausstieg 2033: Ist Tschechiens Energiesicherheit in Gefahr?

Kohlekraftwerk

Am Dienstag vergangener Woche ist die Bewerbungsfrist für den Reaktorneubau im Atomkraftwerk Dukovany ausgelaufen. Wie erwartet, gibt es drei finale Anwärter, die den neuen Block bis 2036 errichten wollen. Der Ausbau der Kernkraft in Tschechien geht einher mit dem Kohleausstieg, der für 2033 geplant ist. Weil aber noch unklar ist, ob die Kombination aus Atomkraft, Erneuerbaren und Stromimporten jene Energiemenge abfangen kann, die derzeit in Tschechien durch Kohlekraftwerke produziert wird, ist der Ausstiegstermin 2033 umstritten.

Das Klimapaket „Fit for 55“ verpflichtet Tschechien wie alle anderen EU-Mitgliedsstaaten auch, seine Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Dies wird ohne einen Kohleausstieg nicht zu erreichen sein. Zunächst war dieser hierzulande für 2038 vorgesehen. Die aktuelle Regierung von Premier Petr Fiala (Bürgerdemokraten) hat ihn aber auf 2033 datiert. Umweltminister Petr Hladík (Christdemokraten) erläuterte in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks, warum das Land so schnell wie möglich von der Kohle ablassen sollte:

Petr Hladík | Foto: Regierungsamt der Tschechischen Republik

„Dies ist zum einen wichtig für den Umweltschutz. Wir verschmutzen ununterbrochen die Luft, und das ist nicht gut. Zum anderen ist es eine ökonomische Angelegenheit. Die Energiegewinnung aus erneuerbaren Quellen wird immer günstiger und zahlt sich aus. Wir haben einen gemeinsamen EU-Energiemarkt, und darum ist es gut möglich, dass die Produktion aus Erneuerbaren bald billiger sein wird als die aus Kohle.“

Diese Argumentation hält Richard Brabec (Partei Ano) für zu wenig konkret. Er hatte in der Vorgängerregierung des damaligen Premiers Andrej Babiš (Ano) das Umweltressort geleitet. In der Diskussion mit seinem Amtsnachfolger Hladík mahnt Brabec an, die Energiesouveränität Tschechiens zu schützen:

„Es ist gar nicht so wichtig, ob wir Politiker meinen, dass der Termin 2033 realistisch ist. Ausschlaggebend ist, was derjenige denkt, der am meisten damit befasst ist. Und das ist die Verwaltung des Energienetzes, also das Staatsunternehmen ČEPS. Und bei dem herrscht darüber eine eindeutige Meinung. Laut der letzten ČEPS-Analyse vom März oder April dieses Jahres droht ein deutlicher Energiemangel, falls Tschechien vor 2038 aus der Kohle aussteigt. Der Strom müsste dann importiert werden. Denn für die abgeschalteten Kohlekraftwerke wird es keinen Ersatz geben, solange die Akw noch nicht ausgebaut sind. Nicht nur, dass dies sehr teuer wird. Es könnte auch möglich sein, das diese Energie gar nicht eingeführt werden kann.“

Die von Brabec zitierte Kalkulation lehnt Hladík als veraltet ab, da der Termin 2038 für den Kohleausstieg seit zwei Jahren nicht mehr aktuell sei. Der Minister verweist vielmehr auf eine neue Energiekonzeption, die die Regierung gerade von Fachleuten erarbeiten lässt und die bis Ende des Jahres vorliegen soll. Darin werde der Weg aus der Kohleabhängigkeit beschrieben sein, so Hladík:

Illustrationsfoto: Cornell Frühauf,  Pixabay,  Pixabay License

„Grundlage sind Energieeinsparungen. Und die Kombination enthält Modernisierungen, Investitionen in Gebäudedämmung und eine Erhöhung der Energieleistung in zahlreichen Industriebranchen einschließlich der Wärmekraftwerke. Hinzu kommt der Ersatz durch erneuerbare Quellen, seien es Photovoltaik, Wärmepumpen oder auch Windenergie. Einer Deloitte-Studie zufolge ist es realistisch, dass in Tschechien bis 2030 etwa zehn Gigawatt Energie aus Solaranlagen und zwei Gigawatt aus Windkraftanlagen hergestellt werden.“

Die jährliche Stromproduktion beträgt hierzulande aktuell zwischen 80 und 90 Terrawatt.

24 Millionen Tonnen Kohlendioxid jährlich durch Kohleverbrennung

Derzeit gibt es in Tschechien zehn große Kohlekraftwerke. Sie steuern etwa 40 Prozent zur gesamten Stromproduktion im Land bei. Laut den Daten von 2020 werden bei der Kohleverbrennung insgesamt 24 Millionen Tonnen Kohlendioxid jährlich in die Luft über Tschechien gepumpt – das ist etwa ein Viertel aller Treibhausgasemissionen landesweit. Um das deutlich einzuschränken, sollen auch die erneuerbaren Energiequellen gefördert werden. Dies ist ein Punkt, den der Klima-Energie-Plan enthält, der vom Kabinett am 18. Oktober verabschiedet wurde. Darin heißt es, dass die Stromproduktion aus Wind- und Solaranlagen von derzeit 13 Prozent auf 37 Prozent bis 2030 angehoben werden soll.

Hinzu kommen noch andere Energieträger – und weitere Zweifel, etwa von Seiten der Stromerzeuger. Einer ist die Firma Sev.en Česká energie, die in Počerady das größte Kohlekraftwerk Tschechiens betreibt. Unternehmenssprecher Petr Dušek:

Kraftwerk Počerady | Foto: Tomáš Adamec,  Tschechischer Rundfunk

„Natürlich gibt es die Möglichkeit, auf andere Brennstoffe überzugehen. Das ist aber an Bedingungen geknüpft. Wenn es sich nicht um das größte Kohlekraftwerk in Tschechien handeln würde, wäre der Übergang leichter. Wir reden hier aber von einer Jahresleistung von 1000 Megawatt. Wenn es kleiner wäre, könnte man einen Wechsel zu Biomasse oder die Verbrennung von Hausmüll erwägen. Möglich wären auch Brennstoffe auf Basis von Erdgas. Alles hat aber seinen Haken. Wenn wir den kompletten Übergang des Kraftwerks Počerady auf Hausmüll in Betracht ziehen, würde das im Jahr den Verbrauch von 20 Millionen Tonnen Abfall bedeuten. In Tschechien werden aber nur fünf Millionen Tonnen produziert. Bei Biomasse ist es ähnlich. Würden wir den ganzen Betrieb darauf umstellen, bräuchten wir – ohne Einbeziehung von Investitionen oder des Aufwandes – jedes Jahr Tausende von Quadratkilometern Wald. In Tschechien gibt es davon aber nur 80.000 Quadratkilometer.“

Weil der Energiemix aus Kernkraft und Erneuerbaren also vermutlich nicht ausreichen wird, um die Kohle vollständig zu ersetzen, bezieht die Regierung in ihre Pläne auch noch Erdgas ein. Bisher werden in Tschechien jährlich 2,5 Gigawatt Energie aus diesem Rohstoff hergestellt. Bis 2030 sollen bis zu zwei Gigawatt hinzukommen. Dazu würden die ältesten Kohlekraftwerke umgerüstet, so der Minister für Industrie und Handel, Jozef Síkela (parteilos):

Jozef Síkela | Foto: Regierungsamt der Tschechischen Republik

„Diese stabile und schnelle Art der Stromherstellung wird eine ideale Ergänzung sein für die weniger gut vorhersehbare Produktion aus erneuerbaren Quellen. Zudem wird Erdgas als Mechanismus für das Kapazitätsgleichgewicht dienen oder als Reserve für Atomkraftstoffe. Mit der Zeit wird sich seine Verwendung dann verringern. Schrittweise soll Erdgas in unserem Energiemix von Wasserstoff abgelöst werden, dessen Bedeutung sowohl in Industrie und Verkehr als auch im Bereich Elektroenergie und als Heizstoff zunimmt.“

Ein Kraftwerk, das mit Erdgas betrieben wird, bläst 50 bis 70 Prozent weniger Kohlendioxid in die Luft als ein Kohlebetrieb. Für die Umrüstung werden bis 2030 knapp 90 Milliarden Kronen (3,6 Milliarden Euro) aus dem Modernisierungsfonds bereitgestellt. Im Falle von 50 modernisierten Heizkraftwerken könnten laut den Berechnungen des Umweltministeriums jährlich zwei Millionen Tonnen Braunkohle gespart und damit fünf Millionen Tonnen Kohlendioxid weniger ausgestoßen werden.

Wird es ausreichend Stromimporte geben?

Trotzdem sieht der Klima-Energie-Plan der Regierung für die Zeit nach dem Kohleausstieg auch noch Energieimporte vor. Dazu äußert Oppositionsvertreter Richard Brabec weitere Bedenken:

„Strom einzuführen ist etwas ganz anderes, als Gas oder Öl zu importieren. Das Energienetz hat ganz klare Bedingungen. Es steht einfach fest, wieviel technisch eingespeist werden darf, damit es über das Netz verteilt werden kann. Dies immer unter der Bedingung, dass der Strom in Europa überhaupt zur Verfügung stünde. Mir stehen Zahlen aus Deutschland, Frankreich und weiteren Ländern zur Verfügung. Sie besagen, dass es in zehn Jahren – wenn nicht ein Wunder geschieht – in Europa einfach nicht ausreichend Energie geben wird.“

Kernkraftwerk Dukovany | Foto:  René Volfík,  iROZHLAS.cz

Dies ist ein Grund dafür, dass auch nach 2033 so viel Energie wie möglich im Land selbst hergestellt werden soll. Dabei wird quer durch das gesamte politische Spektrum auf Kernkraft gesetzt. Umweltminister Hladík stimmt also mit Oppositionsvertreter Brabec überein, dass die Atomkraftwerke in Tschechien ausgebaut werden müssten. Der erste Schritt wurde mit der Ausschreibung des neuen Reaktorblocks im Akw Dukovany gemacht, über dessen Bauherrn bis Ende kommenden Jahres entschieden werden soll. Der Wirtschaftsjournalist Jiří Nádoba vom Nachrichtenserver Seznam zprávy macht hier aber einen Schwachpunkt in dem Klima-Energie-Plan der Regierung aus:

„Atomkraft wird in Tschechien oft als ein Allheilmittel präsentiert. Aber der Reaktor wird um das Jahr 2036, vielleicht erst 2040 fertig werden. Dann ersetzt er im Prinzip nur die ältesten Reaktoren, die es in Dukovany heute schon gibt. Tschechien verspricht für 2030 die Halbierung der Treibhausgasemissionen und will dafür die Kohleverbrennung in großem Maße einstellen. Dafür muss es aber zu einer umfassenden Modernisierung der Energiegewinnung kommen und auch zu einer Transformation in anderen Branchen als der Kernkraft. Denn die Akw allein fangen das alles so schnell nicht ab. Ich sehe also das große Risiko des gesamten Plans in der Ungewissheit, ob die Kohle rechtzeitig mit etwas anderem ersetzt werden kann. Bisher ist der Fortschritt nicht besonders groß.“

Und darum wird der Kohleausstieg 2033 wohl nicht mit einem strengen Verbot vollzogen. Im Gegenteil, Industrieminister Síkela stellt schon jetzt eine eventuelle Verlängerung der Kohlenutzung in Aussicht:

„Falls wir in eine Situation geraten, in der wir durch den Kohleausstieg die Energiesicherheit Tschechiens gefährden, dann würden wir vielleicht eine kurzzeitige Weiternutzung erwägen – aber ich wiederhole: nur für eine sehr kurze Zeit. Unser Ziel ist der Kohleausstieg im Jahr 2033 und die Umstellung auf andere Energiequellen, die keine oder wenige Emissionen produzieren.“

Das halbstaatliche Energieunternehmen ČEZ jedenfalls, das die meisten der großen Kohlekraftwerke im Land betreibt, hält sich nach eigenen Angaben auch für einen Betrieb über den Termin hinaus bereit. Ebenso hat es bereits eine Verlängerung der Fördererlaubnis in der ČEZ-Kohlegrube Bílina bis 2035 beantragt.

Autoren: Daniela Honigmann , Jana Karasová , Lukáš Matoška | Quelle: Český rozhlas Plus
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