„Heiden“: Tschechischer Film nach Vorlage von verstorbener ukrainischer Dramatikerin

„Pohani“, zu Deutsch „Heiden“, heißt der neue tschechische Film, der diese Woche seine Premiere in den tschechischen Kinos erlebte. Als Vorlage diente das Theaterstück der ukrainischen Dramatikerin Anna Jablonskaja, die 2011 bei einem Selbstmordattentat auf dem Moskauer Flughafen Domodedowo starb.

Anna Jablonskaja | Foto: Heathens / Pohani

Der neue schwarzweiße Film „Pohani“ (Heiden) beginnt auf dem Flughafen Domodedowo in Moskau. Die junge ukrainische Schriftstellerin Anna Jablonskaja ist soeben eingetroffen, um in der russischen Hauptstadt einen Preis für ihr Schaffen entgegenzunehmen. In der Flughafenhalle sprengt sich jedoch in ihrer Nähe ein Selbstmordattentäter in die Luft. Anna stirbt im Alter von 29 Jahren.

Der Großteil des neuen Films aus Tschechien basiert jedoch auf dem Theaterstück „Heiden“. Es gilt als der Höhepunkt des Werks von Anna Jablonskaja und wird auch im Ausland aufgeführt. Filmregisseurin Olga Dabrowská entdeckte das Stück, als sie als Dramaturgin im Prager Braník-Theater arbeitete:

Olga Dabrowská | Foto: Heathens / Pohani

„Die Regisseure legten mir verschiedene Theaterstücke vor, und ich hatte die Aufgabe, einige davon auszusuchen. Regisseur David Cessany gab mir das Stück ,Heiden‘ von Anna Jablonskaja. Als ich es las, war es für mich wie ein Schlag vor den Kopf. Denn das Thema ist für mich sehr persönlich. Ich bin gläubig, aber mit bestimmten Ausdrucksformen der Religion und der Kirche habe ich Probleme. Darum mache ich immer einen Schritt in die Kirche und wieder einen Schritt zurück.“

Wie sich Olga Dabrowská erinnert, hatte sie in der Kindheit das Glück, unter katholischen Dissidenten aufzuwachsen. Ihre Taufpatin war die Kunsthistorikerin und Theaterkritikerin Růžena Vacková, die 15 Jahre in kommunistischen Gefängnissen verbringen musste. Zu den Familienfreunden gehörte zudem der politische Gefangene, Theologe und Philosoph, Josef Zvěřina. In ihrer Kindheit sei der Glaube für sie wie der Himmel gewesen, merkt Dabrowská an. Später sei sie jedoch, wie sie sagt, einer engstirnigen Kirche begegnet, die die Menschen einschüchtert und mit der Vorstellung eines Gottes erpresst habe, der böse sei und dem Menschen Hindernisse in den Weg lege. Die Regisseurin:

„Bei der Lektüre des Stückes ,Heiden‘ wusste ich, das ist der Stoff, der mich  beschäftigt. Unbewusst habe ich Jahre lang nach jemandem gesucht, der das Thema bearbeitet, und jetzt habe ich ihn gefunden. Nachdem wir das Stück im Theater mehrmals aufgeführt hatten, sagte ich dem Regisseur Cessany, dass ich es verfilmen möchte.“

Das Stück wurde nicht lange gespielt, weil das Theater geschlossen werden musste. Olga Dabrowská begann also, sich auf die Dreharbeiten vorzubereiten. Mit dem Kameramann David Čálek beschloss sie, einen schwarzweißen Film zu produzieren.

„Ein schwarzweißer Film wirkt ähnlich wie Theaterkulissen: Er verdeckt das Unwesentliche, also den Eklektizismus, und schafft ein eher asketisches Bild. Dabei betont er nur das, was wichtig ist. Wir fanden dies passend für ein Theaterstück.“

In dem leicht satirischen Stück „Heiden“ wird am Schicksal einer Familie der Konflikt zwischen dogmatischer Bigotterie und der Sehnsucht nach Wahrheit und Liebe dargestellt. In eine zerstrittene und atheistisch lebende Familie kommt eines Tages die Großmutter Natalja. Die christlich-orthodoxe Frau fängt an, ihren Sohn, ihre Schwiegertochter sowie deren Nachbarn zu bekehren. Nur bei der 19-jährigen Enkelin Kristina hat die als bigott dargestellte Frau keinen Erfolg. Der Kunststudentin kommt es komisch vor, dass die Oma 15 Jahre lang zwischen verschiedenen Klöstern pendelte und nicht mit ihrer Familie lebte. Kristina gefällt der fanatische Glaube der Großmutter nicht, und sie ist erschrocken über deren Einfluss auf die Eltern. Zudem hat Kristina Sorgen mit der Liebe zu ihrem Professor von der Kunstakademie. Sie wird immer frecher, was die Großmutter davon überzeugt, die Enkelin sei von Dämonen besessen. Die sich ständig verschlechternde Familienatmosphäre wird von einer Tragödie erschüttert, die aber eigentlich alle rettet.

Tereza Slánská spielt im Film die rebellierende Kristina:

Tereza Slánská | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

„Es ist zweifelsohne eine interessante Rolle. Kristina ist ein Rebell. Sie fürchtet nichts, ist aber allein. Darum muss sie stark sein. Es gibt im Film mehrere Ebenen, und das ermöglichte mir, viel zu spielen. Mit meinem Aussehen bin ich schon im Voraus für die Rollen naiver schöner Mädchen bestimmt. Aber Kristina war eine hochinteressante Rolle,  jede Szene war für mich als Schauspielerin eine Herausforderung. Ich habe die Rolle schon in der Inszenierung des Braník-Theaters gespielt. Im Theater lebt man mit der Rolle jedoch auf eine andere Art und Weise als im Film.“

Das Thema des Films sei derzeit wegen des Kriegs in der Ukraine sehr stark, merkt Tereza Slánská an:

„Das ist jedoch nur ein Zufall, denn am Film haben wir schon früher gearbeitet. Ich denke, im Stück geht es nicht nur um den christlich-orthodoxen Glauben, sondern allgemein um einen fanatischen Glauben. Die Filmgeschichte hat schließlich doch eine Art Happy End.“

Regisseurin Olga Dabrowská hofft, dass der Streifen sowohl diejenigen anspreche, die in der Kindheit Erlebnisse mit der Religion hatten, als auch Menschen, die aus atheistischen Familien stammen…

„Der Film erzählt darüber, dass Gott für alle zugänglich ist. Es hat keinen Sinn, die anderen zu verachten und davon überzeugt zu sein, dass der eigene Glaube der bessere ist. In den Evangelien steht, dass Jesus mit Zöllnern, also mit Menschen am Rande der Gesellschaft befreundet war. Er war ein Generator des Guten, heilte Seelen und Körper. Das Einzige, was er nicht dulden konnte, waren die Pharisäer – also Geistliche, die sich zwischen Gott und den Menschen stellten. Ihnen gegenüber war er kritisch und hat dafür auch bezahlt. Auch wenn wir daran glauben, dass das nicht das Ende war.“

Der Film „Pohani“ wurde inzwischen bei zwei kleineren Festivals präsentiert – im slowakischen Košice sowie beim Slavonice Fest in Südböhmen. Die Regisseurin berichtet von ihren Plänen, ihn in Art-Kinos zu zeigen und eventuell Diskussionen zu organisieren mit – wie sie betont – „aufgeklärten“ Geistlichen, Theologen und Menschen. Diese sollten etwas dazu sagen können, was in Religionen und Kirchen in der Gegenwart geschehe, so Dabrowská:

„Denn es kommt zu Veränderungen des Religionslebens und dessen, wie Gott wahrgenommen wird. Barrieren, die von einem Teil der Kirchenvertreter zwischen den Menschen und Gott aufgebaut wurden, werden entfernt. Die menschliche Seele sehnt sich nach dem, was über den Menschen hinausgeht. Und es ist weniger wichtig, wie das benannt wird. Wichtig ist die Beziehung.“

Foto: Heathens / Pohani

„Heiden“ ist das letzte Theaterstück, das Anna Jablonskaja schrieb. Das Schauspiel entstand in den Jahren 2009 bis 2010, als die ukrainische orthodoxe Kirche noch dem Moskauer Patriarchat untergeordnet war. Es sei zur Deformation des geistlichen Lebens gekommen, und Gott sei als Herrschaftsmittel über die Menschen missbraucht worden, betont Regisseurin Dabrowská und merkt an:

„Anna Jablonskaja war sich dessen sehr bewusst und hat es auf eine wunderbare Art und Weise beschrieben. Sie gehörte zu jenen Autoren, die geahnt haben, dass sie nicht lange leben werden. Sie hat gewusst, dass sie ihre Werke schreiben und herausgeben muss, bevor das Ende kommt. Die Schriftstellerin hat wiederholt gesagt, sie habe das Gefühl, dass sie nur wenig Zeit habe. Sie schaffte es, 22 Theaterstücke und eine Gedichtsammlung zu schreiben. Anna war ein ungewöhnlich aktiver Mensch.“

Anna Jablonskaja starb mit 29 Jahren. Ein Selbstmordattentäter hat sie mit in den Tod gerissen. Annas Vater Grigorij ist Satiriker und Journalist. Er sei davon überzeugt, dass der Anschlag von der Staatsmacht in Moskau organisiert worden sei, sagt Olga Dabrowská:

„Er denkt, dass diese Serie von Attentaten auf die Zivilbevölkerung mit dem Ziel initiiert worden sei, die sogenannten ,Sicherheitsregeln‘ durchzusetzen und das Regime zu verschärfen. Ich zitiere dabei nur die Meinung von Annas Vater. Als geübter Journalist begründet er seine Aussagen dann auch mit mehreren Argumenten. Es ist die Meinung eines Journalisten, nicht das gebrochene Herz eines Vaters.“

Der Film „Pohani“ (Heiden) von Regisseurin Olga Dabrowská wird seit 13. Oktober im Prager Kino Atlas gezeigt. Er hat englische Untertitel.