Zehn Tage nach Beginn der Samtenen Revolution stand die Tschechoslowakei still. Am Generalstreik beteiligte sich die Mehrheit der Bevölkerung, im Fernsehen und Rundfunk wurde live übertragen.
Václav Havel (Foto: ČT24)
Die Revolutionen des Jahres 1989 flimmerten weltweit über den Bildschirm. Im November 1989 schalteten die internationalen Stationen zwischen der DDR, der Tschechoslowakei und Rumänien hin und her. Die Staatsmedien der Tschechoslowakei suchten unterdessen nach ihrer Rolle. Während von der Niederschlagung der Studentendemonstration nur sehr dosiert berichtet wurde, setzten sich innerhalb einer Woche auch in den Medien die Reformer durch. Jeden Tag berichteten sie offener über das Geschehen im Land. Die beiden größten Massendemonstrationen unmittelbar vor dem Generalstreik übertrug das Tschechoslowakische Fernsehen dann sogar erstmals live, Václav Havel sprach auf dem Letná-Feld zu mehreren Hunderttausend Menschen:
Letná-Feld 1989 (Foto: Jan Vodňanský, Archiv des Tschechischen Rundfunks)
„Liebe Freunde und Mitbürger. Vor einer Woche entstand in Prag eine breite Volksbewegung, das Bürgerforum. Seit sieben Tagen erlebt Prag und die ganze Republik nun ein großes Drama. Nach 40 Jahren totalitärer Regierung haben die bis dahin manipulierten Mitbürger begonnen, frei zu denken und zu handeln. Als Vertreter des Bürgerforums kann ich verkünden, dass etwas passiert ist, das wir alle fordern: Der Dialog zwischen den Machthabern und der Öffentlichkeit hat begonnen!“
Martin Peroutka (Foto: Archiv von Martin Peroutka)
Nach dem Prager Vorbild hatten sich im ganzen Land lokale „Bürgerforen“ gegründet. Sie verbreiteten die Forderungen nach einem demokratischen System, insbesondere aber den Aufruf zum Generalstreik. Innerhalb weniger Tage hatte sich die Umsturzbewegung von wenigen Intellektuellen und Studenten auf die Gesamtbevölkerung ausgeweitet. Martin Peroutka vom großen Stahlunternehmen Poldi-Hütte in Kladno verkündete bei der Massendemon-stration die Unterstützung der Arbeiter:
„Wir stehen hinter den Studenten und Künstlern. Solange unsere Forderungen nicht erfüllt werden, rücken wir nicht davon ab. Am Montag kommen wir zum Generalstreik.“
Am Tag nach der Großdemonstration beteiligten sich drei Viertel der Bevölkerung am Generalstreik, der unter dem Motto „Schluss mit der Einparteienregierung“ stand. Zwischen 12 und 14 Uhr versammelten sich die Menschen im ganzen Land. Das staatliche Fernsehen übertrug von den großen Plätzen, wie zum Beispiel aus Bratislava:
Großdemonstration in Bratislava 1989, foto: Tschechisches Fernsehen
„Der Platz des slowakischen Nationalaufstands hat sich mit Menschen gefüllt, ich würde sagen, insgesamt sind hier 50.000 bis 60.000 Menschen. Sie skandieren Parolen wie ‚Freiheit‘, ‚In der Einheit liegt die Kraft‘ und ‚Rücktritt‘. Hören wir nun den Chorgesang der tschechoslowakischen Hymne.“
In Prag kamen am Abend wiederum Hunderttausende auf den Wenzelsplatz. Für das Bürgerforum trat Václav Klaus vor das Publikum:
„Für das grundlegende Ziel halten wir die definitive Öffnung der politischen Sphäre, damit in unserem Land ein politischer Pluralismus entstehen und freie Wahlen durchgesetzt werden können.“
Einen weiteren Schritt in diese Richtung erreichte das Bürgerforum am nächsten Tag. In den Verhandlungen stimmte Premier Ladislav Adamec der Bildung einer neuen Regierung zu. Am darauffolgenden Tag wurde der Marxismus-Leninismus aus der Staatsdoktrin gestrichen.