Hl. Veit: Ein nationales Symbol oder Sakralraum?
Die wohl bekannteste Kirche Tschechiens - die Prager St. Veit-Kathedrale - sorgt in den letzten Wochen wiederum für Schlagzeilen. Die Ursache dafür ist im Urteil des Obersten Gerichts zu suchen, demzufolge der Sakralbau den Besitzer wechseln muss.
Im heutigen Spaziergang wollen wir uns jedoch nicht mit der Baugeschichte des Veitsdoms, sondern mit dem aktuellen Streit darum beschäftigten, wem die Kirche eigentlich gehört. Nachdem die Kommunisten 1948 die Macht in der Tschechoslowakei ergriffen hatten, begann auch eine scharfe Verfolgung der Kirche. Alle Ordensmitglieder und viele Priester landeten in Gefängnissen oder in kommunistischen Arbeitslagern. Das Eigentum der Kirche wurde verstaatlicht. Und für den Veitsdom wurde keine Ausnahme gemacht, sagt der Historiker Jaroslav Sebek vom Historischen Institut der Tschechischen Akademie der Wissenschaften:
"Im Jahre 1954 wurde ein spezielles Gesetz verabschiedet, mit dem die Kathedrale enteignet wurde. Der Kirche wurde das Besitzrecht darauf entzogen."Erst nach der Wende konnte sich die Kirche um die Rückgabe der Kathedrale bemühen. 1990 forderte der damalige tschechoslowakische Präsident Vaclav Havel die Kirchenvertreter auf, sich an die Justiz zu wenden. Nach einem jahrelangen Gerichtsprozess wurde ein Urteil gefällt, demzufolge die Kathedrale im Sommer des vergangenen Jahres wieder der Kirche übertragen wurde. Noch bevor jedoch die Rückgabe vollständig durchgeführt werden konnte, hob das Oberste Gericht vor einem Monat das ursprüngliche Urteil des Prager Stadtgerichts vom vergangenen Jahr auf. Nun hieß es: Die Kirche muss den Dom dem Staat übergeben. Das Urteil wurde von den Kirchenvertretern kritisierten stark kritisiert. Sie wiesen darauf hin, dass das Gericht bei seiner Entscheidung von einer Kontinuität der Rechtsordnung vor und nach der Wende von 1989 ausging und damit die 1954 gefasste Entscheidung, mit der die Kirche enteignet wurde, faktisch anerkannte. Kardinal Miloslav Vlk bezeichnete es in den Medien als unzulässig, dass gerade ein Kommunist die neuerliche Enteignung der Kirche entscheidet. Denn der Richter, der das Urteil fasste, war vor der Wende Mitglied der kommunistischen Partei.
Inzwischen war die Kirche gezwungen mit der Präsidentenkanzlei über die Rückgabe zu verhandeln. Ein verhältnismäßig großer Teil der tschechischen Öffentlichkeit befürwortet die Rückgabe des Veitsdoms an den Staat. Vor allem ein Argument wird dafür immer wieder genannt, nämlich die Behauptung von 1954, als es hieß "Die Kathedrale ist Eigentum des Volkes."
Dem Historiker Sebek zufolge gab es wechselseitige Diskrepanzen zwischen dem Staat, der Kirche und der Gesellschaft schon kurz nach der Gründung der Tschechoslowakei im Jahre 1918. Dies wurde durch die antikatholische Welle in der damaligen Tschechoslowakei verursacht, erläutert der Historiker:
"Dies kam beispielsweise im Jahr 1929 zum Ausdruck, als die Kathedrale im September 1929 feierlich eröffnet wurde. Die kirchlichen und staatlichen Feierlichkeiten anlässlich des 1000. Todestags des Heiligen Wenzel wurden getrennt veranstaltet. Präsident Masaryk nahm an der kirchlichen Feier nicht persönlich teil."
Bestimmte Spannungen zwischen dem Staat und der Kirche beziehungsweise dem Erzbistum und der Präsidentenkanzlei hatte es also schon vor Jahren gegeben. In den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts hat sich Beziehung der tschechischen Gesellschaft zur Kathedrale jedoch von Grund auf geändert. Die Kirche auf der Prager Burg war eine geistliche Oase. Unvergesslich bleibt die Festmesse, die am 25. November 1989 anlässlich der Heiligsprechung von Agnes von Böhmen im Veitsdom zelebriert wurde. Damals sagte Kardinal Frantisek Tomasek: "Ich und die ganze katholische Kirche stehen auf der Seite des Volkes." Danach folgte eine große Kundgebung auf dem Letna-Plateau. Kurz vorher - am 17. November - hatte die Samtene Revolution begonnen. Die guten Beziehungen zwischen dem Staat und der Kirche zeigten sich dann etwas später - am 29. Dezember 1989 - als führende tschechische Politiker und viele Bürger am Gottesdienst teilnahmen, der anlässlich der Einführung von Vaclav Havel ins Präsidentenamt zelebriert wurde. Erst nach und nach verschlechterte sich die Beziehung zwischen Staat und Kirche wieder.
Auf den ersten Blick erscheint es erstaunlich, dass eine Gesellschaft, die vom Glauben nicht viel hält und eher atheistisch orientiert ist, gerade eine Kirche für eines ihrer höchsten nationalen Symbole hält. Der Historiker meint:"Dies hängt eben damit zusammen, dass sich der Wert der Symbole ändert. Wir nehmen den Premyslidenfürsten Wenzel auch nicht als einen christlichen Märtyrer wahr, sondern eher als einen fähigen Staatsmann, der das Volk zu führen wusste. So wurde er auch in der Reiterstatue dargestellt, die auf dem Wenzelsplatz steht. Die Kathedrale wiederum wird von einem großen Teil der Gesellschaft als ein nationales Juwel oder ein nationales Erbe und als ein Ort wahrgenommen, wo böhmische Könige gekrönt beziehungsweise bestattet wurden. Im Veitsdom ist auch sein Begründer Karl IV. bestattet, der übrigens vor kurzem in einer Fernsehumfrage zum größten Tschechen der Geschichte gewählt wurde. Die Kathedrale wird vor allem für einen Bestandteil des nationalen Erbes gehalten, und ihre sakrale Bedeutung ist eher in den Hintergrund getreten. Es überrascht mich nicht, dass sich der Großteil des Volkes zur Kathedrale bekennt, auch wenn er atheistisch eingestellt ist."
Zurzeit laufen die Verhandlungen um die Übergabe der Kathedrale an die Präsidentenkanzlei. Welche Erwartungen setzt der Kirchenhistoriker in diese Gespräche?
"Ich meine, dass es wirklich schwierig ist, in diesem Moment etwas abzuschätzen. Ich glaube jedoch, dass die vernünftigste Lösung eine gemeinsame Vereinbarung über die Verwaltung der Kathedrale wäre. Beide Seiten sollten sich auf einen Kompromiss einigen. Dies wäre auch im Sinne der Kathedrale selbst."