Im Schatten seines Vaters: Wenzel von Luxemburg
Vor 600 Jahren, am 16. August 1419, starb der römische und böhmische König Wenzel von Luxemburg. In Tschechien ist er als Wenzel IV. bekannt. Er war ein hochgebildeter, aber zugleich wenig erfolgreicher und umstrittener Herrscher. Heute steht er im Schatten seines Vaters, des römischen Kaisers Karl IV.
„Vor genau 600 Jahren kam es in Prag zu mehreren dramatischen Ereignissen. Die Ratsherren wurden aus den Fenstern des Neustädter Rathauses hinausgeworfen und damit umgebracht. Dann starb König Wenzel IV., und gleich am nächsten Tag wurden die Klöster gestürmt und die Kirchen zerstört. Es begann die hussitische Revolution. Wenn ich auf 1000 Jahre böhmischer Staatsgeschichte zurückblicke, sehe ich etwa zwölf große Daten. Das Jahr 1419 ist eines der sechs wichtigsten und war nicht nur für dieses Land, sondern für ganz Europa von Bedeutung.“
Böhmischer und römischer König
Wenzel von Luxemburg, in der tschechischen Geschichtsschreibung Wenzel IV., war der älteste Sohn Kaiser Karls IV. Er kam aus dessen dritter Ehe, und zwar mit Anna von Schweidnitz. Wenzel wurde am 26. Februar 1361 in Nürnberg geboren und galt seit frühester Kindheit als Haupterbe. Doch seine Persönlichkeit war genauso kompliziert wie die damalige politische Lage im Römischen Reich und den Böhmischen Ländern. Bereits als zweijähriges Kind wurde Wenzel zum böhmischen König gekrönt. Die Wahl zum römischen König folgte 1376. Nach dem Tod seines Vaters im Jahr 1378 übernahm er die Regierungsgeschäfte, aber bei Weitem nicht dessen Erfolge. Robert Novotný ist Experte für mittelalterliche Geschichte bei der Akademie der Wissenschaften:„Die Person von Wenzel IV. ist von düsteren Mythen und Legenden umrankt. Auch wenn man sie von dieser Hülle befreien würde, bleibt – meiner Meinung nach – das Urteil, dass er ein schlechter Herrscher war. Es gibt viele Gründe, warum er versagt hat, darunter ist aber einer besonders wichtig: Im Unterschied zu seinen Luxemburger Verwandten war er nicht mit politischem Talent gesegnet. Für seinen Vater Karl und seinen Bruder Sigmund von Luxemburg war die Politik eine Leidenschaft, für Wenzel entwickelte sie sich bald zur Last. Er ertrug nur schwer politische Niederlagen und drückte sich sehr bald dann um seine Pflichten als Herrscher.“Lenka Bobková ist Geschichtsprofessorin an der Prager Karlsuniversität. Sie bewertet Wenzel weniger zugespitzt:
„Es lässt sich nicht eindeutig sagen, dass er ein schlechter oder ein guter Regent war. Wie übrigens bei fast keinem Herrscher. In den ersten Regierungsjahren kümmerte er sich durchaus um die Angelegenheiten der böhmischen Kronländer und des Reichs, das kann ihm keiner abstreiten. Das änderte sich erst mit der Zeit, und in dieser Entwicklung spiegelte sich die Stimmung der Epoche. Er bemühte sich, so zu handeln wie sein Vater Karl IV. Im Unterschied zu diesem und seinem Großvater fehlte es ihm aber an praktischer Erfahrung und vielleicht auch an diplomatischem Geschick.“Im Königreich Böhmen ging die Macht allmählich auf Wenzels Günstlinge über, dies waren Angehörige des niederen Adels. In der Folge entbrannte ein Streit zwischen Wenzel und dem Hochadel sowie seinem Kanzler, dem Prager Erzbischof Johann von Jenstein. 1396 wurde der König vom böhmischen Adel gefangen genommen und akzeptierte trotz seiner Befreiung dessen Bedingungen. Die Unzufriedenheit mit der Herrschaft Wenzels wuchs aber auch auf dem gesamten Reichsgebiet immer weiter an. Im Jahr 1400 wurde er vom Thron des Heiligen Römischen Reiches abgesetzt. Später wurde er noch einmal gefangen gehalten, und zwar von seinem Bruder Sigismund, so dass die Bedeutung des Königstitels immer stärker in Mitleidenschaft gezogen wurde.
Komplizierte Persönlichkeit in schwieriger Zeit
In der Geschichtsschreibung, vor allem der deutschen, gilt Wenzel als ein schwacher Herrscher und als unselbständiger sowie despotischer und zorniger Mensch, der vor seinen Pflichten in die Jagd und den Alkohol flüchtete. Er trägt sogar den Beinamen der Faule. Die Historiker sind sich allerdings einig darin, dass Wenzel zu einer schwierigen Zeit regierte. Die Probleme und gesellschaftlichen Veränderungen, die letztlich zum Ausbruch der Hussitenkriege führten, begannen bereits in den letzten Regierungsjahren von Karl IV. Einer der wichtigen Faktoren, der die Lage in Europa prägte, war das Abendländische Schisma. Dies war die zeitweilige Spaltung innerhalb der lateinischen Kirche mit konkurrierenden Papstansprüchen in Rom und in Avignon. Robert Novotný:
„Die Lage ließ sich praktisch nicht lösen. Wenzel wurde ins kalte Wasser geworfen und wusste nicht, welcher Seite er sich anschließen soll. Auf der einen Seite stand der Papst in Rom, auf der anderen der in Avignon, der von Wenzels französischen Verbündeten unterstützt wurde.“In den Auseinandersetzungen innerhalb Kirche erkannte Wenzel – wie schon sein Vater – den römischen Papst Urban VI. als rechtmäßigen Pontifex an. Das führte zu Konflikten mit seinen französischen Verbündeten. Es gab aber noch weitere Probleme, mit denen er sich auseinandersetzen musste.
„1380 brach eine Pestepidemie in Böhmen aus. Obwohl ihre Kraft nicht so vernichtend war wie 30 Jahre zuvor, wurde das Land um 10 bis 15 Prozent entvölkert. Die tschechische Münze verlor in der Folge an Wert, der Export verschlechterte sich und so weiter.“
Im Zusammenhang mit der Pestepidemie kam es zu gesellschaftlichen Umwälzungen, die später in der Hussitenbewegung ihren Höhepunkt fanden. König Wenzel unterstützte zunächst Hus. Später wandte er sich von ihm ab, hauptsächlich in Folge dessen Kritik am Ablasshandel. Nach der Verurteilung von Jan Hus wurde Wenzel vom Konzil in Konstanz und von seinem Bruder Sigismund aufgefordert, gegen die Ketzer in Böhmen vorzugehen. Er bezog aber keine eindeutige Stellung dazu. Stattdessen zog sich der Herrscher aus Prag zurück und verschanzte sich in der von ihm neugegründeten Wenzelsburg nahe Kunratice südöstlich von Prag. Dort erreichte ihn auch die Nachricht vom Prager Fenstersturz, bei diesem hatten aufgebrachte Anhänger der Hussiten die katholischen Ratsherren aus dem Fenster des Neustädter Rathauses geworfen. In der Folge versagte Wenzels Gesundheit, und kurz darauf starb er. Er wurde im Kloster in Zbraslav beigesetzt, erst 1424 wurden seine Gebeine in die Königsgruft unter dem Veitsdom überführt. Nach Wenzels Tod trat sein Bruder Sigismund auch dessen Nachfolge als böhmischer König an.Blütezeit der Kunst und Architektur
Zwar verfiel die königliche Macht zu Wenzels Regierungszeit zusehends. Doch die Entwicklung in Kultur und Bildung war sehr dynamisch. Diesen Aspekt hebt der Kunsthistoriker Jiří Kuthan hervor:
„Wenzel IV. wurde von mittelalterlichen Chronisten und neuzeitlichen Historikern nicht immer positiv bewertet. Im Gegenteil: Wir begegnen einer Auflistung seiner Mängel und schlechten Eigenschaften, insbesondere im Vergleich zu seinem Vater Kaiser Karl IV. Diese Vorwürfe sind in mancher Hinsicht gerechtfertigt. Andererseits war er ein sehr gebildeter Mann. Seine große Vorliebe waren Bücher, vor allem reich illustrierte Buchwerke. Seine Herrschaft war von einer mächtigen Entwicklung in Architektur und Kunst geprägt. Prag gehörte unter Wenzel IV. genauso wie unter Karl IV. zu den führenden europäischen Kulturzentren. Das dauerte bis zum Jahr 1419, in dem die goldene Ära der Luxemburger Kunst wie mit einem Axtschlag beendet wurde. Die Werke aus dieser Zeit sind faszinierend, egal ob es sich um die Architektur handelt, um die Bildhauerei, das Goldschmiedehandwerk oder andere kunsthandwerklichen Bereiche.“Kunst aus der Zeit von Wenzel IV., die in der Kunstgeschichte mit dem Begriff weicher Stil bezeichnet wird, ist in derzeit einer repräsentativen Ausstellung auf der Prager Burg zu sehen. Im Kultursalon in einer Woche werden wir Sie durch diese Ausstellung führen.