Jáchym Topol und sein Roman "Nachtarbeit"
Jáchym Topol war Star des literarischen und musikalischen Untergrundes vor 1989. Seinen literarischen Durchbruch hatte er mit seinem 1994 erschienenen Roman "Die Schwester". Inzwischen wurde auch sein bislang letzter Roman "Nocni prace" (Nachtarbeit) ins Deutsche übersetzt. Mehr über diesen Roman und Jáchym Topol hören Sie im heutigen Kultursalon von Martina Zschocke.
"Um ein Buch zu schreiben, muss man allein sein, das heißt ich muß allein sein. Wenn man so ein Glück hat wie ich und hat so gute Verlage, wie z.B. Suhrkamp, dann bedeutet das Reisen und Interviews geben, um die Bücher zu verkaufen. Dann ist man jemand anderes. Als Junge träumte ich immer davon, Schriftsteller zu sein und irgendwo im Wald zu sitzen - in einer kleinen Hütte in den Bergen - und Bücher zu schreiben. Aber seit 1989, dem Jahr der Freiheit, reise ich wie verrückt. Und um ehrlich zu sein: Ich hasse reisen. Meine Bücher sind in viele Sprachen übersetzt. Sie sind wie ein Ausweis. Damit komme ich überall hin. Vorher bin ich gern gereist, aber jetzt denke ich, Reisen ist gefährlich, weil man sein Territorium verliert. Mein Territorium ist natürlich Prag, aber ich reise zu viel. Jetzt glaube ich, ich sollte mich irgendwo verstecken, um endlich mein neues Buch fertig zu schreiben."
Sein erstes Buch, der Gedichtband "Ich liebe Dich bis zum Wahnsinn" gewann den Tom Stoppard Preis für inoffizielle Literatur. Seinen literarischen Durchbruch auf internationaler Ebene hatte er dann mit dem 1994 erschienenen Roman "Sestra" (Die Schwester), einer Odyssee aus dem Prag der Nachwendezeit, die in die Halb- und Unterwelt junger Künstler, Junkies und Amateurkrimineller führt. 1995 erhielt Topol den Egon-Hostovsky-Preis für das beste Buch des Jahres. Typisch für Topol sind seine spezifische Sprache und die Energie, die seine Bücher durchzieht. Er verwendet häufig Umgangssprache und stark verkürzte Sätze. Von wahren "Orgien der Mündlichkeit" schrieb Christoph Bartmann von der Süddeutschen Zeitung. Topol beschreibt seinen Schreibstil so:
"Und möglicherweise die einzige Sache, der ich mir bewusst bin, ist der Gebrauch der Sprache,... ich habe einfach begonnen eine zerbrochene Sprache zu verwenden, die aber funktioniert. Ich bin mir bewusst, dass ich vielleicht eine neue Sprache entwickelt habe, weil ich verschiedene Berufe hatte, wie jeder Dissident. Als ich jung war, habe ich nicht studiert, ich habe dieses dissidentische Leben gelebt, habe in einer Fabrik gearbeitet und war im Irrenhaus und ich habe gelernt die Sprache dieser Leute zu benutzen, die vielleicht gefährlich waren. Ich habe begonnen diese Sprache für Literatur zu verwenden. Ich habe entwickelt, wie sie sprechen. Die Sprache ist zerstreut, sie ist nicht kompakt, sondern sie ist zerstört, zerbrochen und das funktioniert."
In seinem letzten Buch "Nocni Prace" (Nachtarbeit) verwendet er denselben Schreibstil, verändert aber die für ihn bis dahin typische räumliche und zeitliche Kulisse. Spielten seine bisherigen Romane vorwiegend in der Gegenwart und in Prag, ist der neue Roman 1968 in einem böhmischen Dorf angesiedelt. Was bewog ihn dazu diesen neuen Roman in der Vergangenheit spielen zu lassen?
" In diesen ersten Büchern hat mich einfach die Gegenwart schrecklich fasziniert, das was wir erleben, weil im Jahr 1989 das Leben begonnen hat. Und jetzt habe ich das Gefühl, dass mich die Vergangenheit interessiert. Und das ist für mich einfach etwas Neues, ein Schritt vorwärts."
Und er ergänzt, was ihn an der tschechischen Vergangenheit besonders interessiert. "Das ist eigentlich eine politische Sache, mich interessieren aus irgendeinem Grund literarischer Archäologie, die Leichen im Keller. Ich bin Tscheche und wir haben solche Leichen im Keller, die Deutschen haben die auch. Und diese Leichen im Keller sind wie wilde Katzen, die beißen dich in den Hintern, wenn du nicht springst. Ich bin von der tschechischen Vergangenheit fasziniert. Und es ist ein gewaltiger Unterschied zu Deutschland, wo eine Denazifizierung stattfand. Aber in Tschechien fand keine Dekommunistifizierung statt, überhaupt nicht. Dieses Thema interessiert mich. Und das beantwortet die Frage, warum ich als Kulisse die Invasion im Jahre 1968 gebrauche."
Die Geschichte wird hauptsächlich aus der Sicht des 13-jährigen Ondra erzählt, der mit seinem kleinen Bruder aufs Land geschickt wird, als die Panzer in Prag einrücken. Es ist ein Dorf mit einem Fluss in einer wilden von Höhlen und verlassenen Weilern gekennzeichneten Landschaft. Dreh- und Angelpunkt ist die Dorfkneipe. In diesem Ort üben alle gegen alle Gewalt aus: Christen gegen Zigeuner, Männer gegen Frauen, Dörfler gegen Intellektuelle und Parteihörige gegen unabhängig Denkende. Inmitten all der dunklen Seiten lässt Ondra sein Boot auf dem Fluss treiben, in das er sich zum Träumen verkriecht...
"Nachtarbeit" erzählt eine Geschichte der Hilflosigkeit, aber auch des prallen Dorflebens. Durch die Geschichte streunen versprengte russische Truppen und die Geheimpolizei. Es ist ein Buch randvoll mit erster Liebe, Zeitgeschichte und mysteriösen Toten. Die Dialoge strotzen an vielen Stellen vor grotesker Komik und bei aller Tragik wird das Geschehen zunehmend skurriler. Man merkt Topol seine Fabulierlust an, und dass er den Leuten in Dorfkneipen genau "aufs Maul geschaut" hat. Nicht einer seiner Dialoge wirkt konstruiert.
Jáchym Topol stammt aus einer Schriftsteller-Familie. 1962 wird er als Sohn des Dramatikers Josef Topol geboren. Sein Großvater Karel Schulz war Romancier. Auch sein Bruder Filip schreibt und vertonte mit seiner Band Psi vojaci (Hundesoldaten) einige Texte Topols. Ob er diese Herkunft als Vor- oder Nachteil betrachtet, fragte ich Jáchym Topol.
"Es war kompliziert. Lange Zeit war ich Samizdat-Autor. Ich habe eine Menge Spitznamen und Pseudonyme benutzt, weil ich sehr jung war und ich habe befürchtet, dass die Leute sagen würden, aaahh sein Vater ist Schriftsteller, also muß er auch schreiben... blabla. Also habe ich lange Zeit versucht, eine andere Person zu kreieren. Mein Bruder schrieb auch 2-3 Bücher. - Es ist wie eine Krankheit. Eine Familienkrankheit. Mein Großvater war Schriftsteller und mein Vater war Schriftsteller. Aber ich selbst erinnere mich an ihn nicht als Schriftsteller, sondern als Arbeiter. Es war Sozialismus, die Zeit des Kalten Krieges damals und er war unter den Leuten, die verboten waren."
In den 90er Jahren studierte Jáchym Topol für kurze Zeit Ethnologie und bereiste als Journalist für die Wochenzeitung "Respekt" Osteuropa. Auch heute noch hat er verschiedene Berufe. "Ich arbeite als Journalist und Lehrer und ich schreibe ein Drehbuch für einen Film. Nur von meinen Büchern zu leben, ist nicht einfach. Meine Bücher sind sehr persönlich und ich möchte mich nicht in eine Schriftsteller-Fabrik verwandeln und jedes Jahr ein ähnliches Buch schreiben. Ich liebe es Bücher zu schreiben, es ist eine Art Abenteuer und jedes meiner Bücher ist anders."
Jáchym Topol lebt mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern in Prag. Derzeit schreibt er an seinem neuen Buch. Auf Deutsch erschienen von ihm die Gedichtbände "Zwischen Kirche und Western" und "Das hier kenn´ ich", sowie die beiden Romane "Engel Exit" und "Die Schwester". Sein letzter Roman "Nachtarbeit" erschien im Suhrkamp Verlag und kostet 22,90 Euro.