Jágr, Fryčer, Vrána: Drei Geschichten der beendeten Corona-Saison im Eishockey
Die beiden höchsten Eishockey-Spielklassen in Tschechien, die Extraliga und die Chance Liga, haben die Saison 2020/21 fristgemäß am 30. April beendet. Sie haben damit die ungewöhnlichste und auch schwerste Spielzeit ihrer Historie hinter sich gebracht. Es war eine Saison, die wegen der Corona-Pandemie fast ausschließlich ohne Zuschauer ausgetragen wurde. Nichtsdestotrotz hat auch sie etliche ganz persönliche Geschichten geschrieben.
Jaromír Jágr wird auch noch mit 50 Jahren für Kladno spielen
Die letzte Drittelsirene der abgelaufenen Saison ertönte am vergangenen Donnerstag. Es war der Schlussakkord in der Playoff-Finalserie des professionellen Unterhauses, der sogenannten Chance Liga. Im siebten und alles entscheidenden Match der Serie standen sich dabei zwei große Traditionsvereine gegenüber: der sechsfache tschechoslowakische Meister Rytíři Kladno und der zwölffache Titelträger Dukla Jihlava. Zuvor hatten beide Teams je drei Partien gewonnen, und das immer auswärts. Von daher hofften die Mähren auf den vierten Coup in der Fremde, doch nach dem Auftaktdrittel lagen sie schon mit 1:4 zurück. Am Ende gewann Kladno mit 5:2 und machte so die sofortige Rückkehr in die Extraliga perfekt. Das freute besonders den Clubeigner, Manager und Spieler der Mittelböhmen in Personalunion, Jaromír Jágr:
„Wir hatten großes Glück, dass wir das Momentum im ersten Drittel auf unserer Seite hatten und nutzen konnten. Wir haben vier Tore geschossen, auch weil Jihlava nach unseren zwei Treffern in der neunten Minute sichtlich unter Schock stand. Dadurch erzielten wir noch das 3:0 und 4:0. Dann kassierten wir aber zwei Gegentore, so dass Dukla wieder im Spiel war. Und Jihlava hatte weitere Chancen, darunter einen Pfostenschuss. Wäre dies das dritte Tor für unseren Gegner geworden, hätten wir das Spiel vielleicht sogar noch verloren.“
In den Worten des tschechischen Eishockeyidols schwang große Erleichterung mit. Denn vor einem Jahr war der zweifache Weltmeister und Stanley-Cup-Sieger mit seiner Mannschaft abgestiegen, nachdem sie das letzte Extraliga-Punktspiel in Litvínov / Leutensdorf mit 2:6 verloren hatte. Um den Wiederaufstieg möglichst schon nach nur einer Zweitliga-Saison zu schaffen, schnürte Jágr selbst mit nunmehr 49 Jahren weiter seine Schlittschuhstiefel. Doch es sei nicht mehr der sportliche Wettkampf, der ihn dazu motiviere, so Jágr:
„Ich spiele immer noch Eishockey, weil ich eine gewisse Verantwortung habe gegenüber dem Club. Wenn es nicht so wäre, würde ich nicht mehr übers Eis flitzen, denn mittlerweile blamiere ich mich damit zunehmend. Wenn ich aufhöre, werden uns auch viele Partner verlassen, und der Verein geht möglichweise zugrunde. Ich habe also keine Wahl.“
Folgerichtig wird Jágr auch noch in der nächsten Saison, in der er 50 wird, für seine Ritter kämpfen. Dafür gibt es aber noch einen weiteren Grund:
„Ich kann nicht aufhören. Im Dezember wird das Winter Classic nachgeholt. Es ist fast ausverkauft, und ich muss laut Vertrag auflaufen. Ich weiß aber auch, dass ich dann viel besser in Form sein muss als jetzt, um dem Team wirklich zu helfen. Das ist möglich, doch ich muss dazu wieder öfter und härter trainieren. Denn mit 50 Jahren und 120 Kilo Gewicht zu spielen, ist nicht einfach.“
Als Jaromír Jágr vor zehn Jahren seinen Stammverein als Mehrheitsaktionär übernahm, setzte er gleichzeitig eine familiäre Passion fort. Denn vor ihm hatte jahrelang sein Vater, der vor der Rente ein erfolgreicher Unternehmer war, den Club geführt. Es sei für ihn ein Ansporn, es seinem Daddy gleichzutun, schließt Jágr:
„Solange mein Vater atmet und alles um sich herum wahrnimmt, sehe ich es als meine Verantwortung, die Geschicke des Vereins weiterzuführen. Mein Vater tat dies 20 Jahre lang, und als Sohn wäre es mir peinlich, wenn ich mich aus dieser Verantwortung stehlen würde.“
In memoriam Miroslav Fryčer: Der Tscheche erzielte neun Hattricks in der NHL
Zum Aufstieg von Rytíři Kladno hat auch der 26-jährige Angreifer Nicolas Hlava seinen Teil beigetragen. Das abschließende Finalspiel gegen Jihlava stand für ihn unter einem ganz besonderen Stern: Er absolvierte es im Andenken an sein großes Vorbild, dem ehemaligen tschechischen Eishockeyspieler und -trainer Miroslav Fryčer. Der ehemalige NHL-Crack ist vergangene Woche gestorben.
„Die heutige Begegnung spielte ich für einen Menschen, der leider schon nicht mehr unter uns weilt. Er stand mir sehr nah, deshalb widme ich ihm den Sieg und das gesamte Spiel. Fryčer war ein toller Spieler, der viel geleistet hat. Und er war ein fairer Bursche, den ich sehr gern hatte“,
sagte Hlava mit feuchten Augen. Miroslav Fryčer absolvierte in der National Hockey League (NHL) 400 Spiele für die Nordiques de Québec, Toronto Maple Leafs, Detroit Red Wings und Edmonton Oilers. Fryčer war zudem der erste Tscheche, der in der NHL an einem All-Star-Game teilnahm. Das heißt, dass der gebürtige Troppauer in Nordamerika ein Top-Spieler war. Dort erzielte er insgesamt neun Hattricks. An das Spiel von Toronto gegen Edmonton, das die Maple Leafs mit 11:9 gewannen, erinnerte er sich besonders gern. Denn in dieser Partie stellte er sogar den großen Wayne Gretzky in den Schatten, wie Fryčer einst im Tschechischen Rundfunk erzählte:
„Gretzky erzielte drei Treffer und drei Vorlagen. Ich hingegen schoss vier Tore und wurde danach zum Mann des Spiels (Man of the match) gekürt. Daraufhin sagte mir ein Freund aus Toronto, es käme nur höchst selten vor, dass ein Gretzky so viele Scorerpunkte macht, am Ende aber dennoch verliert.“
Das Engagement in Übersee war möglich geworden, weil Fryčer vor 40 Jahren aus der ČSSR flüchtete. Damals hatte er mit dem TJ Vítkovice die tschechoslowakische Meisterschaft gewonnen. Bei einem Trainingslager im Sommer 1981 in der Schweiz half ihm Teamkollege Miloš Říha bei der Flucht. Der ehemalige tschechische Nationaltrainer, der vergangenen Sommer gestorben ist, steckte ihm seinen eigenen Reisepass zu. In der NHL spielte Fryčer acht Jahre lang. Er wäre sicher noch eine Zeitlang geblieben, hätten ihn nicht ständig Verletzungssorgen geplagt:
„Es war eine schöne Karriere. Sie hätte etwas länger sein können, wenn ich nicht so oft verletzt gewesen wäre. Manche haben Glück und bleiben von schweren Verletzungen verschont, bei mir aber war es nicht so. Wo ich auch hintrat, dort war eine Mine. Und ich hatte höllische Schmerzen. Um meine Leber gegen das starke Medikament Voltaren etwas zu entlasten, habe ich zur Pilleneinnahme Wein getrunken. Und zwar literweise.“
Miroslav Fryčer verstarb am 27. April dieses Jahres nach kurzer Krankheit. Er wurde nur 61 Jahre alt.
Trotz Schicksalsschlag: Petr Vrána bleibt Kapitän vom Scheitel bis zur Sohle
Am Montag vergangener Woche ist der HC Oceláři Třinec zum dritten Male tschechischer Eishockeymeister geworden. Daran hatte nicht zuletzt der Kapitän des Teams, Petr Vrána, seinen Anteil. Ob Vrána die Kapitänsrolle auch im Endkampf um die Meisterschaft ausfüllen würde, war jedoch zunächst fraglich. Denn drei Wochen vor den Playoffs ereilte ihn ein schwerer Schicksalsschlag: Seine Frau kam auf tragische Weise ums Leben. Vrána bekam die für ihn nötige Auszeit. Zum Saisonhöhepunkt aber kehrte er in die Mannschaft zurück und führte sie zum Titel. Seine Teamkollegen wussten das sehr zu schätzen, darunter auch Torwart Ondřej Kacetl:
„Ich ziehe vor ihm ganz tief meinen Hut. Wie er die familiäre Tragödie verkraftet hat und damit umgeht, das schafft nicht jeder. Petr ist ein unglaublicher Kämpfer. In den Playoffs war er ein echter Leader, und man hat ihm seinen Schmerz nicht angemerkt. Er spielte vorzüglich, einfach außergewöhnlich.“
Von Vereinsseite aus wurden die Medien gebeten, den 36-jährigen Vrána eine Zeitlang nicht zu behelligen. Diese stille Übereinkunft wurde bis zum letzten Finalspiel eingehalten. Danach brach Vrána selbst sein Schweigen. Gegenüber den Inlandsendungen des Tschechischen Rundfunks schilderte er, warum die Rückkehr in die Mannschaft für ihn letztlich so wichtig war:
„Ich sage es ohne Umschweife: Für mich war das Eishockey auch eine Flucht nach vorn. Es hört sich zwar komisch an, doch es war für mich die Rettung vor der Einsamkeit, in der ich nur zu Hause sitze, allein mit meinem kleinen Sohn, und trauere. So aber traf ich in der Umkleidekabine wieder mit meinen Teamgefährten zusammen und konnte mit ihnen über jeden Blödsinn quatschen. Und ich konnte auch wieder lächeln.“
Das alles wurde möglich, weil der Verein dem Kapitän bei der Verarbeitung der Tragödie half und ihn nach besten Kräften unterstützt. Allen voran Mitspieler Tomáš Kundrátek, der zusammen mit seiner Frau zunächst bei Vrána einzog. Beide kümmerten sich dabei um den Haushalt und sorgten für Zerstreuung.
Mittlerweile hat Petr Vrána die bisher schwersten Tage seines Lebens überwunden. Er hat wieder Fuß gefasst und richtet den Blick nach vorn. Dazu gehört, dass er weiter für den Club aus Třinec spielen und die Mannschaft als Kapitän anführen wird. Und es gibt auch neue sportliche Ziele, so Vrána:
„Über eine Vertragsverlängerung habe ich mit der Vereinsführung schon während der Saison (gesprochen). Wir einigten uns schnell, denn ich spiele gern in diesem Spitzenclub, der seinen Angestellten die wohl besten Bedingungen in ganz Tschechien bietet. Zudem habe ich hier eine intakte Mannschaft und ein tolles Umfeld. Ich bin froh, dass wir übereingekommen sind und ich weitermachen kann. Gemeinsam werden wir alles dafür tun, um weiter erfolgreich zu sein.“