Kein Maulkorb für Journalisten: Medienwissenschaftler Jirák über Pressefreiheit in Tschechien

Woran glaubt Europa – diese Frage wird derzeit im Prager Goethe-Institut gestellt. In einer siebenteiligen Veranstaltungsreihe diskutieren deutsche und tschechische Experten gemeinsam mit dem Publikum über abstrakte Themen wie Freiheit, Religion und Währungsunion. Dieses Mal waren Gemma Pörzgen von „Reporter ohne Grenzen“ und der Medienwissenschaftler Jan Jirák eingeladen. Debattiert wurde über Pressefreiheit. Corinna Anton war dabei und hat mit Jan Jirák über die tschechischen Medien gesprochen.

Gemma Pörzgen  (Foto: Matthias Bothor)
„Die gesetzlichen Rahmenbedingungen sind sehr liberal und sie fördern im Wesentlichen die Pressefreiheit. Von den Grundrechten bis zu den Pressegesetzen – ich denke da steht es sehr gut um die Pressefreiheit in Tschechien“, so Jan Jirák, Medienwissenschaftler an der Karlsuniversität, bei der Diskussion im Goethe-Institut.

Auf einer weltweiten Rangliste der Pressefreiheit von „Reporter ohne Grenzen“ liegt Tschechien auf Platz 23 von 178. Gemma Pörzgen, Vorstandsmitglied von „Reporter ohne Grenzen“, macht sich innerhalb Europas momentan mehr Sorgen um Frankreich, Italien und Ungarn. Dennoch gibt es auch hierzulande Kritisches zu berichten – zum Beispiel den Missbrauch der Pressefreiheit zu Marketingzwecken, wie Jan Jirák erklärt:

Jan Jirák  (Foto: Šárka Ševčíková,  Tschechischer Rundfunk)
„Einerseits nutzen die Medien den Begriff, um sich ein Image aufzubauen. Weil sie die Pressefreiheit haben, glauben sie, auch Telenovelas und Seifenopern haben zu können. Andererseits arbeiten die Medien mit dem Begriff Pressefreiheit, um damit das – oft unverdiente – Vertrauen der Öffentlichkeit zu gewinnen. Sie gehen nach dem Motto vor: ´Fragt nicht, wir verdienen Euer Vertrauen, ja Ihr müsst uns sogar vertrauen, weil wir die Freiheit haben.´“

Vor zwei Jahren allerdings sahen viele tschechische Journalisten diese Freiheit bedroht. Ein neues Pressegesetz, das im April 2009 in Kraft trat, empfanden sie als so strikt, dass sie es als „Maulkorbgesetz“ bezeichneten. Der Medienwissenschaftler Jirák sieht das Gesetzt heute anders:

Foto: Kristýna Maková,  Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag
„In der Praxis hatte das Gesetz keine großen Auswirkungen. Es war darauf ausgelegt, dass Journalisten die Dokumente wie zum Beispiel Abhörprotokolle, die sie unter anderem von der Polizei bekommen, nicht veröffentlichen dürfen, und dass sie manche Daten nicht bekannt geben dürfen, wie zum Beispiel die Namen von Verdächtigen. Ich denke sogar, dass es vernünftig war, die Nennung der Namen von Verdächtigen zu verbieten, denn die tschechischen Medien halten sich nicht allzu sehr an die Unschuldsvermutung. Ansonsten wird das Gesetzt bis jetzt nirgends vollständig eingehalten und es durchläuft gerade einen Änderungsprozess.“

Das so genannte Maulkorbgesetz soll jetzt wieder abgeschwächt werden. Die Regierung hatte im Januar eine entsprechende Novelle verabschiedet, über die nun in den beiden Kammern des Parlaments abgestimmt wird. Der Regierungsnovelle zufolge sollen Journalisten die Namen von Verdächtigen veröffentlichen dürfen, wenn es im öffentlichen Interesse ist – das heißt, wenn es zum Beispiel um Korruption von Politikern oder hohen Funktionären geht. Ein weiterer Kritikpunkt am Zustand der tschechischen Medien kam bei der Diskussion im Goethe-Institut aus dem Publikum: Es fehle in der tschechischen Presse an Kommentaren. Dazu der Medienwissenschaftler:

Illustrationsfoto
„Selbstverständlich gibt es in den tschechischen Medien Texte, die als Kommentare bezeichnet werden. Ihre Schwäche liegt allerdings darin, dass sie nur Behauptungen sind, Meinungen und Statements. Es entwickelt sich hier nur sehr langsam etwas, was ich Argumentationskunst nennen würde. Nur wenige Kommentare stellen die Argumente vor, wägen ab und folgern dann etwas daraus. Die meisten sagen uns einfach nur, was wir denken sollen – aber das ist kein Kommentar.“

Die Unabhängigkeit der Medien vom Staat, so Jirák, sei in Tschechien durch die Gesetzeslage gesichert. Allerdings gebe es zumindest beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine ökonomische Abhängigkeit vom Staat, da das Parlament die Höhe der Rundfunkgebühren festlegt.