Kein Schlussstrich unter die Vergangenheit: Ausstellung „Vernichtete Kirchen“
Über 60 Kirchen wurden unter der kommunistischen Herrschaft in der Tschechoslowakei allein in der Diözese Plzeň / Pilsen vollständig vernichtet. Eine hohe Zahl, dabei sind das nur 20 Prozent aller Kirchen, die in jener Zeit vom Erdboden verschwanden. Die Ausstellung „Vernichtete Kirchen“ zieht Bilanz – offen, ohne wunde Punkte zu scheuen. Gezeigt wurde sie bereits in einigen bayerischen Städten, nun ist sie im ehemaligen Piaristenkolleg von Ostrov / Schlackenwerth, unweit von Karlsbad zu sehen.
„Die Landkarte dieser zerstörten Kirchen stimmt weitgehend mit dem Gebiet überein, das die deutsche Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg verlassen musste. Die Menschen, die sich danach hier niederließen, nutzten diese Objekte nicht mehr“, erklärt Jaroslava Velemanová, die durch die Ausstellung führt.
Die Kirchen in den entvölkerten Grenzgebieten wurden von den Neuansiedlern oft als Überbleibsel der vertriebenen deutschen Bevölkerung angesehen. Sie waren daher von Verfall und Zerstörung noch stärker bedroht als manche kirchliche Objekte im Landesinnern. Als dann nach 1948 der antireligiöse Feldzug der kommunistischen Machthaber einsetzte, wurden viele dieser Kirchen zweckentfremdet und dabei arg beschädigt oder sogar mutwillig zerstört. Jaroslava Velemanová:
„In Karlsbad zum Beispiel gab es eine Kirche, an die ich mich noch aus meiner Kindheit erinnere: eine moderne und doch schöne Kirche. Sie wurde in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts errichtet. Und in der kommunistischen Zeit wurde sie in einen Altwarenladen verwandelt. 1968 forderte die katholische Kirche diesen Bau zurück und bekam ihn auch. Doch ein paar Jahre darauf verfügten die Behörden wieder etwas anderes. Die Kirche wurde abgerissen, und an ihrer Stelle steht heute das Karlsbader Stadtamt.
Ein anderes Beispiel einer zerstörten Kirche ist die spätbarocke Martinskirche von Čínov / Schönau. Das Dorf lag in der Nähe der Hauptstraße nach Karlsbad. Vor dem Zweiten Weltkrieg zählte Schönau 538 Einwohner. Nach der Vertreibung der deutschen Bevölkerung 1946 wurde das Dorf nicht wieder besiedelt, sondern zu Beginn der fünfziger Jahre bis auf einige Häuser völlig zerstört. Im Zuge der Liquidierung des Dorfes wurde auch die Kirche abgerissen. Heute sind von ihr nur mehr ein Steinhaufen, Reste der Friedhofsmauer und einige Grabsteine übrig. Über 60 Kirchen wurden allein in der Diözese Pilsen vollständig zerstört.
„In der Nähe von Ostrov zum Beispiel lag das Kloster Mariánská / Mariasorg. Es wurde vom Militär dem Erdboden gleichgemacht. Die Kirche von Krasný Les / Schönwald ist abgebrannt. Heute stehen von ihr nur noch Mauerreste. In Jáchymov / Joachimsthal stand einst die St.-Anna-Kapelle. Sie ist ebenfalls zerstört worden.“
Eine der schlimmsten Demütigungen, die man einem Feind zufügen kann, ist die Vernichtung seiner Heiligtümer. Die kommunistischen Machthaber der Tschechoslowakei erniedrigten auf diese Weise den Feind im eigenen Volk – die gläubigen Christen. Nicht nur katholische, auch evangelische Kirchen wurden zerstört. Zwei davon dokumentiert die Ausstellung exemplarisch. In der Gemeinde Vejprty / Weipert, direkt an der Grenze zu Sachsen, hatten die Protestanten 1906 mit Unterstützung ihrer sächsischen Glaubensbrüder eine Kirche errichtet. Nach der Vertreibung der deutschen Einwohner wurde die Kirche als Papierlager verwendet. Zwischen 1982 und 1984 wurde sie schließlich aus nicht bekanntem Grund abgerissen.„Zum Teil standen diese Kirchen auf Truppenübungsplätzen. Sie mussten dann bedauerlicherweise oft sogar als Zielscheiben für Schießübungen herhalten. Oder sie wurden vom Militär zerstört und dem Erdboden gleichgemacht“, so Velemanová.
Auch das Kloster Ostrov teilte das Schicksal der meisten Sakralbauten in den grenznahen Gebieten. Es war 1666 vom Schulorden der Piaristen gegründet worden, der aus Italien in die böhmischen Länder gekommen war. Jaroslava Velemanová:
„Das war hier alles leider eine Kaserne. Das Kloster liegt nahe der westlichen Landesgrenze, nach dem Zweiten Weltkrieg, in den fünfziger Jahren, waren hier, ähnlich wie im Kloster Tepl, Soldaten der tschechoslowakischen Volksarmee untergebracht. Bis zum Jahr 2000 war das Kloster im Besitz der Armee.“
Erst danach wurde das Kloster mit Mitteln des tschechischen Kulturministeriums, der Stadt Ostrov und der Europäischen Union wieder aufgebaut. Heute ist es ein Anziehungspunkt für Touristen und ein kultureller Mittelpunkt der Stadt nahe Karlsbad. Die Gemeindeverwaltung hat in einem Klostertrakt 37 Mietwohnungen eingerichtet.
Die Ausstellung „Vernichtete Kirchen“ wiederum ist in der einstigen Schulkirche der Piaristen untergebracht. Früher beteten in dieser der Mariä Verkündigung geweihten barocken Kirche tagtäglich die Zöglinge des Piaristenkollegs. An der Stelle, wo damals der Hochaltar aufragte, klafft heute allerdings ein Loch. Ein bleibendes Zeugnis der Schändung von Kirchen während der kommunistischen Herrschaft. Neben der Zerstörung der Sakralbauten gingen meist auch die wertvollen Kunstgegenstände aus dem Bestand der zerstörten Kirchen verloren. Einige wenige Kunstwerke konnten jedoch gerettet werden. Die Gestalter der Ausstellung haben sie zusammengetragen. So ist in der Ausstellung zum Beispiel der „Fußfähige Christus“ zu sehen. Die bemalte Holzplastik aus dem 18. Jahrhundert stand ursprünglich in der Kirche von Andělská Hora / Engelsburg unweit von Karlsbad. Gerettet wurde auch eine Renaissanceglocke aus der Werkstatt des Glockengießers Hans Wildt in Jáchymov / Joachimsthal. Die Glocke war für die Kirche in Boží Dar / Gottesgab gegossen worden. Ein Bruchschaden bewahrte sie davor, für die Rüstungsindustrie beschlagnahmt zu werden.Manchmal ist nicht nur der Sakralbau samt Innenausstattung vollständig verschwunden, sondern es ist sogar schwierig, die Stelle ausfindig zu machen, an der er stand. Die Wege und Straßen werden heute anders geführt als früher, die ehemaligen Baugrundstücke der Kirchen sind zugewachsen. Jaroslava Velemanová:
„Vier Kirchen, die schon in einem sehr kritischen Zustand waren, wurden aber wieder aufgebaut. Seit die Ausstellung geschaffen wurde, das war vor fünf Jahren, haben sich Bürgervereinigungen dieser Kirchen angenommen und arbeiten an ihrem Wiederaufbau.“
Zu diesen instandgesetzten Kirchen gehören zum Beispiel die St.-Nikolaus-Kirche in Čečovice / Zetschowitz oder die St.-Kunigunde-Kirche in Královské poříčí / Königswerth. In den Bürgervereinigungen, die die Kirchen erneuert haben, arbeiten nicht nur Gläubige, sondern auch Atheisten. Die Ausstellung hat also ihre Wirkung nicht verfehlt. Viele Besucher seien erstaunt, was für wertvolle Denkmäler es in Westböhmen früher gab, erzählt Jaroslava Velemanová, und sie hofft, dass die Ausstellung den einen oder anderen Besucher vielleicht auch daran erinnert, woran seine Vorfahren glaubten.
Die Ausstellung „Vernichtete Kirchen“ ist bereits 2004 entstanden. Kurator ist der Pilsner Architekt Jan Soukup. Die erklärenden Texte sind zweisprachig, deutsch und tschechisch. Im Kloster Ostrov wird die Ausstellung noch bis zum 31. August gezeigt, und zwar dienstags bis sonntags von 9.30 bis 18.00 Uhr.