“Keine Super-Helden, sondern Parodien” – Jana Fantová über den tschechischen Comic

„Odysea“ von Nikkarin ist eine Geschichte über Bo

Comics haben Konjunktur in Deutschland wie in Tschechien. In beiden Ländern wird die Comicszene immer mehr als eigener Kunstbereich wahrgenommen, nachdem Comics lange Jahre den Ruf von Kinderkram oder Schundliteratur hatten. In Prag konnten sich Comicfreunde Anfang November mit den jüngsten Neuerscheinungen bekanntmachen, und einen Einblick in die deutsche Comickultur bietet das Prager Goethe-Institut ab Ende nächster Woche mit der Ausstellung „Comics, Manga &co.“ Über die tschechische Comic-Szene hat Radio Prag mit Jana Fantová gesprochen, der Organisatorin des Komiksfests.

Comic-Trilogie ‚O přibjehi’
Frau Fantová, Comics scheinen im Moment hoch im Kurs zu sein in Tschechien – fast jede renommierte Zeitung hat heute ihren eigenen Comiczeichner, es gibt seit mehreren Jahren das Komiksfest, dass Sie organisieren, und es werden immer mehr ‚ernste’ Themen in Comicform verpackt – wie etwa in der kürzlich erschienenen, preisgekrönten Comic-Trilogie ‚O přibjehi’, die sich mit der Roma-Problematik beschäftigt. Erlebt der Comic in Tschechien gerade einen Boom?

„Ich hoffe, das ist nicht nur ein Boom, sondern schon ein Dauerzustand (lacht). Hier ist es vor allem ganz gut gelungen, den Comics als ein Medium auch für Erwachsene zu etablieren. Das Stereotyp, dass Comics nur für Kinder bestimmt sind, verblasst zum Glück immer mehr. Das kommt auch daher, dass immer mehr ‚ernste’ Themen in den Comics verarbeitet werden – politische, sexuelle. Immer mehr Verlage bemühen sich heute, Comics herauszugeben. Tschechische Comic-Autoren sagen oft, die Verlage haben noch nicht genug Mut. Ich glaube, sie sind gerade dabei, diesen Mut zu sammeln und auch tschechische Autoren zu verlegen – nicht nur ausländische, die schon populär sind.“

Können Sie das Verhältnis von tschechischen und ausländischen Autoren beschreiben – wie viel Prozent der Comics, die hier auf dem Markt erscheinen, sind von tschechischen Autoren?

„Hier erscheinen jedes Jahr etwa 130-140 Comics für Erwachsene, inklusive Comics-Zeitschriften für Erwachsene. Und davon sind etwa zehn von tschechischen Autoren – das sind also noch nicht mal zehn Prozent. Dem tschechischen Comic fehlt es vor allem an guten Text-Vorlagen für die Comic-Zeichner.“

Wie sieht es mit den Themen aus? Gibt es einen typisch tschechischen Comic?

Jiří Grus: „Voleman“
„Interessanterweise erscheinen in Tschechien keine Comics mit Super-Helden. Zwei der bekanntesten Comic-Helden – Voleman von Jiří Grus und Bo von Nikkarin – sind eher Parodien: Voleman lebt im Prager Arbeiterviertel Holešovice und läuft mit Turnschuhen durch die Gegend. Und Bo bewegt sich zwar viel auf anderen Planeten, aber er ist kein Supermann, der andere rettet, sondern muss umgekehrt selbst manchmal von seinen Freunden gerettet werden. Interessant ist auch, dass zur Zeit eher Kurzgeschichten von etwa sechs Seiten erscheinen als längere Comics-Romane. Und dass der Humor eine wichtige Rolle spielt. Es werden zwar auch ernste Themen behandelt, aber mit viel Ironie. Die Moral spielt hier nicht so eine große Rolle wie etwa in Amerika. Und es sind auch nicht in erster Linie autobiographische Geschichten wie etwa in Frankreich oder anderswo.“

Frederik Peeters: „Die blauen Pillen“
Wir sitzen hier im Büro Ihrer Bürgerinitiative zur Unterstützung der Comics-Kultur – Sequence. Erzählen Sie uns etwas darüber, warum ist diese Initiative entstanden?

„Sequence ist 2006 gegründet worden – mit dem Ziel, den Comic als ein neues Medium zu etablieren und zu zeigen, dass es auch ein anspruchsvolles Medium für Erwachsene ist. Und ich meine, dass gelingt uns bis jetzt ganz gut. Sie haben es schon erwähnt – in den tschechischen Zeitungen gibt es immer mehr Raum für Comics, es erscheinen mehr Comics-Bücher, auch mit ernsten Themen. Ein Beispiel: ´Die blauen Pillen´ von Frederik Peeters – ein autobiographischer Roman eines Autors, der mit einer HIV-kranken Partnerin zusammenlebt. Das ist schon kein Comic für Kinder mehr.“

Lucie Lomová  (rechts)
Wie sieht der typische, tschechische Comic-Leser aus, gibt es ihn überhaupt?

„Wahrscheinlich wie ich (lacht). Das ist eine schwere Frage. Schauen Sie sich mal die Fotos vom diesjährigen komiksfest an, da können Sie einen Einblick in die Szene der Comic-Fans bekommen, vielleicht finden Sie da ja den typischen Leser. Interessanterweise gibt es in Tschechien auch sehr viele Comic-Leserinnen, aus allen Altersgruppen. Mindestens die Hälfte unserer Besucher sind Frauen. Leider ist das bei den Comiczeichnern nicht so, hier gibt es nicht so viele Frauen. Am Bekanntesten sind drei Comiczeichnerinnern: Lucie Lomová, die auch im Ausland verlegt wird, Lela Geislerová, die sehr produktiv ist in letzter Zeit, und Andraste – eine unabhängige Comic-Autorin.“

Andraste: „Nachthimmel“
Sie haben vorhin gesagt, Sie möchten den Comics als eigenes Medium populärer machen. Wenn Sie zurückblicken auf die Entwicklung der letzten 20 Jahre in Tschechien – auch verglichen mit den Underground-Comics vor 1989 - wie war die Entwicklung und welche Botschaft hat dieses Medium heute?

„Hier sieht es seit der Revolution von 1989 so aus, dass die meisten jetzigen Comic-Autoren noch mit der Zeitschrift Kometa herangewachsen sind, das war eine eigene Comic-Zeitschrift. Und als diese Zeitschriften dann eingegangen sind, kam es zu einer totalen Stagnation. Die Verlage Krev und BBA haben dann viel dazu beigetragen, die Comicsproduktion wiederzubeleben, als sie um das Jahr 2000 angefangen haben, Comics für Erwachsene herauszugeben – und zwar für Intellektuelle. Und jetzt ist die Frage, ob die Leute mehr Comics lesen, weil mehr herauskommen oder ob mehr Comics herauskommen, weil es mehr Leser gibt.“

Manga
Im Prager Goethe-Institut wird nächste Woche eine Ausstellung eröffnet: „Comics, Manga & Co. Die neue deutsche Comic-Kultur“. Wenn Sie die Situation in Deutschland und in Tschechien vergleichen – was ist das Besondere an der Situation des Comics in Tschechien?

„Jetzt sieht die Situation in Tschechien gut aus, weil Comics erscheinen. Aber es gibt hier keine Comiczeichner, die davon leben können. Das ist im Ausland wahrscheinlich auch nicht immer der Fall, da mache ich mir keine Illusionen. Das Besondere hier ist, dass es im tschechischen Comic keine Super-Helden gibt. Und dass hier Mangas noch kaum verbreitet sind. Die Ausstellung im Goethe-Institut heißt ja „Comics, Manga & co.“. Aber in Tschechien gibt es noch kaum Mangas.“