Kolín: Die Synagoge im „Jerusalem an der Elbe“

Synagoge in Kolín

Die mittelböhmische Stadt Kolín wurde früher als das „Jerusalem an der Elbe“ bezeichnet. Im 16. Jahrhundert gab es dort die zweitgrößte jüdische Gemeinde in Böhmen. Bis heute ist der Großteil des einstigen jüdischen Stadtviertels erhalten, einschließlich der beachtenswerten Synagoge.

Kolín liegt etwa 60 Kilometer östlich von Prag. Eine Zugfahrt dorthin dauert von der Hauptstadt aus etwa 40 Minuten. Vom Bahnhof geht es zuerst entlang der Elbe stromaufwärts, und durch die Straße Kutnohorská ins Stadtzentrum. Das frühere jüdische Viertel befindet sich nahe dem Karlsplatz. In der Straße Na hradbách ist in der ehemaligen jüdischen Schule das Informationszentrum der Stadt untergebracht. Durch das Haus geht es zur Synagoge. Miroslava Jouzová ist Bibliothekarin und Historikerin. Sie beschäftigt sich seit Jahren mit der Geschichte der jüdischen Bevölkerung von Kolín. Diese ist auch das Thema einer Dauerausstellung, die in der Synagoge gezeigt wird:

„Seit 1504 hatte Kolín bis ins 19. Jahrhundert hinein nach Prag die zweitgrößte jüdische Gemeinde Böhmens. Damals waren nämlich die Juden aus Plzeň vertrieben worden. Fast das ganze ehemalige jüdische Ghetto von Kolín ist bis auf einige Häuser erhalten, die im 19. Jahrhundert abgebrannt sind. Auch die Synagoge steht noch. Sie wurde im 17. Jahrhundert um die beiden Seitenschiffe erweitert.“

Bekannte Industrielle aus Kolín

Nach 1848 mussten die Juden nicht mehr in Ghettos leben und konnten sich anderswo niederlassen. Deshalb kamen viele von ihnen vom Land in die Städte. Die Bewohner des Judenviertels von Kolín zogen an den Hauptplatz um. Dort kauften sie die Barockhäuser auf. In der Dauerausstellung werden einige der bekannten jüdischen Familien vorgestellt, die zum Aufschwung der Industrie in Kolín beigetragen haben. Miroslava Jouzová:

„Zu den bekanntesten Unternehmern gehörte Josef Weissberger, der eine Brennerei in der Stadt besaß. Diese gibt es bis heute. Ein bekanntes Produkt aus Kolín sind die alkoholfreien Getränke der Marke ,Koli‘. Diese werden in der ehemaligen Rapsöl-Fabrik hergestellt, die von den Brüdern Fischer gegründet wurde. Einer der Brüder, Jakob Fischer, hatte einen Sohn Pavel und zwei Enkelsöhne, Josef und Otokar. Letzterer war ein bekannter Literaturwissenschaftler, Übersetzer und auch Dramaturg des Prager Nationaltheaters. Die Industriellen und Bankiers Petschek stammten auch aus Kolín.“

Fast alle Juden von Kolín wurden während der Nazi-Zeit deportiert und ermordet. Um eine Wiederbelebung der jüdischen Gemeinde nach dem Zweiten Weltkrieg bemühte sich Richard Feder. Er sei einer der wenigen Rabbiner gewesen, die den Holocaust überlebt hätten, erzählt Jouzová.

„Er ließ die Synagoge instand setzen und den zerbombten neuen jüdischen Friedhof sowie den alten Friedhof restaurieren. Die jüdische Gemeinde gab es hier bis 1953. Danach zog Feder nach Brünn, wo er zum mährischen Landesrabbiner ernannt wurde. Schließlich wurde er zum Oberrabbiner der Böhmischen Länder erhoben. Die hiesige Gemeinde wurde der Prager Gemeinde untergeordnet.“

Die Synagoge in Kolín ist das größte jüdische Gotteshaus, das hierzulande bis zum 18. Jahrhundert erbaut wurde. Neben den Prager Gebetsstätten handelt es sich zudem um das älteste und wertvollste Baudenkmal dieser Art in Böhmen.

„Im ältesten Bericht über die Synagoge hieß es, 1422 sei die alte Synagoge instand gesetzt worden. Das zeugt davon, dass das Gebäude älter ist. 1421 belagerten die Hussiten Kolín. Auch wenn sich die Stadt ergeben hatte, brannten sie das hiesige Dominikanerkloster nieder. Dabei wurden auch weitere Häuser schwer beschädigt. Wir nehmen an, dass die Synagoge aus Stein gebaut worden war, weil sie sehr schnell repariert wurde. Vermutlich brannte damals nur das Dach ab.“

Die Synagoge wurde bald erweitert und umgestaltet. Der mittlere Teil des Gebäudes stamme aus der Zeit vor 1422, erzählt Miroslava Jouzová. Sie macht auf eine Schautafel mit einem Stadtplan aufmerksam.

„Hier wird daran erinnert, dass die Juden die königliche Kammer für einen Anbau um Erlaubnis ersuchten. Ein weiterer Teil entstand erst Mitte des 19. Jahrhunderts. Heutzutage sieht die Synagoge sehr komplex aus, aber sie wurde nicht auf einmal erbaut. Am wichtigsten war der Umbau Ende des 17. Jahrhunderts. Das heutige Interieur wurde im Barock gestaltet und verziert. Aus derselben Zeit stammt auch der Toraschrein – der Aron ha-Kodesch. Finanziert wurde dieser von Samuel Oppenheimer. Er lebte am Hof von Kaiser Leopold I. in Wien. Oppenheimer erfuhr vom Umbau der Synagoge in Kolín und überwies den hiesigen Juden Geld für die Bauarbeiten. Angeblich stammte seine Frau von dort. Der frühere Aron ha-Kodesch war kleiner.“

Sohn von Rabbi Löw

Von der Originalausstattung der Synagoge ist der Historikerin zufolge nicht viel erhalten geblieben. Doch dank eines Fotos können sich die Besucher eine Vorstellung machen von der damaligen Pracht.

„In den 1990er Jahren, als die Stadt die Synagoge restaurieren ließ, gab es fast nichts mehr von den Möbeln und dem Zubehör, das auf dem Foto zu sehen ist. Ein Teil wurde anderen jüdischen Gemeinden verkauft. Wir wissen beispielsweise, dass sich die Sessel in Denver befinden, einiges wurde nach London veräußert und auch an andere Gemeinden. Dies gilt unter anderem für die Torarollen. Während des Zweiten Weltkriegs wurden sie alle in Prag zusammengetragen. Ein Teil davon wurde später verkauft. Eine der hiesigen Toras erhielt eine neu entstandene jüdische Kongregation in London.“

Alter jüdischer Friedhof  (Foto: Pajast,  CC BY-SA 3.0)

Torarollen aus Kolín befinden sich Jouzová zufolge in New York, Denver, Atlanta, aber auch in Österreich und in Israel.

Bestandteil der Dauerausstellung in der Synagoge sind auch zwei Touch-Screens. Diese bieten dem Besucher eine Übersicht über die Grabmäler auf dem Neuen jüdischen Friedhof. Dieser ist etwa drei Kilometer von der Synagoge entfernt. Bei schlechtem Wetter kann der Besucher auf dem Bildschirm wenigstens einen virtuellen Spaziergang durch das jüdische Ghetto unternehmen. Der alte Friedhof befindet sich am westlichen Rand des historischen Stadtzentrums.

„Den jüdischen Friedhof gibt es hier schon seitdem die Stadt steht. Denn zweifelsohne hatten hier schon damals Juden gelebt. Die älteste Erwähnung über jüdische Bewohner stammt von 1339. Auf dem alten Friedhof befinden sich 2697 Grabmäler. Bestattet sind dort aber mehr Menschen, denn für Kinder wurden keine eigenen Grabmäler aufgestellt. In Kolín wurden Juden aus einer sehr breiten Umgebung begraben. Der Friedhof ist wirklich sehr alt.“

Besonders wertvoll dort ist das Marmorgrabmal des Rabbiners Becalel ben Jehuda Löw, der 1599 in Kolín starb. Er war Sohn des bekannten Prager Rabbi Löw.


Die Synagoge in Kolín ist montags bis freitags von 9 bis 17 Uhr geöffnet. Von Mai bis Oktober kann sie auch am Wochenende besucht werden. Derzeit wird in der Synagoge eine Ausstellung über die sogenannten Stolpersteine in Kolín gezeigt.

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