Kolowrat-Schloss, Schriftsteller Karel Polacek und die Glocke "Christoph"
In der heutigen Ausgabe von "Reiseland Tschechien" bleiben wir in Ostböhmen, also in der Region, die wir auch vor zwei Wochen besucht haben. Aus der Geburtsstadt Bedrich Smetanas Litomysl, die bei der musikalischen Reise unser Ziel war, begeben wir uns nordwärts, in Richtung polnische Grenze und Adlergebirge. Am Flüsschen Knezna (Greischna) liegt dort die Stadt Rychnov nad Kneznou, auf Deutsch Reichenau.
Archäologische Funde zeigen, dass die Besiedlung des nordöstlichen, vom Adlergebirge (Orlické hory) gesäumten Winkels Böhmens sehr früh begann. Zu einer kontinuierlichen Kolonisierung des Gebiets kam es seit dem 10. und 11. Jahrhundert. Damals begann man Ortschaften vor allem an Landstraßen und entlang der Flüsse zu gründen. In einem waldreichen, schwer zugänglichen Kessel entstand auch Rychnov. Eine Stadt, deren Name sich vom deutschen Richenau bzw. Riche Aue ableitet.
Aus der Zeit der Gründung von Rychnov ist der Stadtgrundriss fast ohne Veränderungen bis heute erhalten geblieben. Der Stadtkern lag auf einem leicht ansteigenden Hang rund um den heutigen Karel-Polacek-Platz. Östlich von diesem Stadtring stand von Anfang an eine gotische Burg. Mit dem Bau eines Schlosses wurde nach 1577 begonnen. Ende des 17. Jahrhunderts fiel das Schloss einem Brand zum Opfer. Es wurde 1704 durch seinen neuen Besitzer, Graf Norbert Leopold Libstein von Kolowrat renoviert, der eine neue Stirnwand bauen ließ. Der bekannte Architekt Giovanni Santini hat sich an der jüngeren Gestalt des Schlosses verdient gemacht. Die Schlossfassade wurde um Seitenflügel erweitert und mit Türmen abgeschlossen, alle Flügel wurden erhöht und mit einem Mansardendach bedeckt. Von der nordwestlichen Seite wird das Gebäude von einer Terrasse und einem französischen Garten gesäumt. Heute befindet sich das Schloss wieder im Besitz der Familie Kolowrat. Über die Geschichte der Stadt spricht der stellvertretende Bürgermeister von Rychnov, Miroslav Richter:
"Rychnov entstand Mitte des 13. Jahrhunderts, man führt das Jahr 1258 an. Ein bedeutendes Datum ist das Jahr 1640. Damals geriet Rychnov in den Besitz des Adelsgeschlechts von Kolowrat. An diese Epoche erinnern einige Baudenkmäler in der Stadt. Die Kolowrat-Straße führt uns ins Areal des Schlosses, in dem wir rund 400 Bilder und 12.000 Bücher aufbewahren. Auch die regionale Galerie von Orlicko ist dort untergebracht, die die bildende Kunst von Künstlern aus der Region versammelt. Es ist auch der Sitz des Adlergebirge-Museums."
Aus der ältesten bekannten historischen Quelle aus dem Jahr 1258 erfahren wir, dass der Besitzer der dortigen Burg, zu der auch ausgedehnte Wälder und Felder gehörten, Herman von Drnholec war. Die Einwohner widmeten sich vor allem Wald- und Landwirtschaftsarbeiten und außerdem betrieben sie kleine Handwerksbetriebe und Handel. Unter den Handwerkern nahmen Tuchmacher die wichtigste Stellung ein. Sie verkauften ihre Erzeugnisse auf bedeutenden mitteleuropäischen Märkten in Meißen, Posen, Wien und anderen Städten. Uniformen für Soldaten vieler Staaten wurden in der Geschichte aus dem ostböhmischen Tuch genäht.
Im Jahre 1488 erhielt Rychnov ein Wappen und wurde somit in den Stand einer Stadt erhoben. Auf dem Wappenfeld ist ein Hirsch dargestellt, der eine Jungfrau auf seinem Rücken trägt. Mit diesem Wappen ist nicht nur eine alte Sage, sondern auch eine neuzeitige Initiative verbunden. Mehr sagte uns der stellvertretende Bürgermeister von Rychnov, Miroslav Richter:
"In diesem Jahr verlief eine interessante Veranstaltung, die unsere Freunde in der Stadt Semily initiiert haben. Sie heißt 'Gehörnte Städte'. Unsere Kollegen haben in der Liste der Städte und Stadtwappen Tschechiens etwa 30 Gemeinden gefunden, die entweder ein Geweih oder einen Hirsch auf ihrem Wappen tragen. Jede Stadt sucht ihre Identität, will irgendwohin gehören - es gibt z. B. königliche Weinstädte, eine Vereinigung der Städte Namens Rokytnice (es gibt etwa 30 Rokytnices) - und so haben wir uns dieser Initiative der gehörnten Städte angeschlossen."
Rychnov nad Kneznou ist zwar eine kleine Stadt, trotzdem kann sie sich mit einigen berühmten Söhnen rühmen:
"Das Zentrum der Stadt mit 12.000 Einwohnern bildet der alte Marktplatz mit dem historischen Rathaus. In dieser Stadt wohnte im 19. Jahrhundert die bekannte Autorin des Hauskochbuches Magdalena Dobromila Rettigova. Von Personen, die in unserer Stadt geboren sind, möchte ich die bekanntesten nennen: Frantisek Martin Pelcl, der erste Lehrer der tschechischen Sprache an der Prager Universität, Guth Jarkovsky, der erste Vorsitzende des tschechischen Olympia-Komitees und des Vereins tschechischer Touristen, und natürlich der Schriftsteller Karel Polacek."
An den bekannten tschechischen Schriftsteller wird in Rychnov an mehreren Orten erinnert:
"Die Stadt wird auch als Karel-Polacek-Stadt bezeichnet. Wir haben im letzten Jahr als Hommage an den Schriftsteller ein Denkmal von fünf Jungs enthüllt. Sie sind Helden seines berühmten Romans Bylo nas pet (Wir fünf und Jumbo). Man kann sie in der Fußgängerzone der Stadt nicht übersehen. In den 90er Jahren wurde auch die jüdische Synagoge renoviert. Sie dient als Museum des Judentums in unserer Region und auch als ein Karel-Polacek-Museum."
Das wichtigste Kirchengebäude in der Stadt ist die Dreifaltigkeitskirche. Sie war ursprünglich dem hl. Christoph geweiht und hatte einen schlanken gotischen Turm. Zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges wurde dieses Gotteshaus stark beschädigt und erst in den 60er Jahren des 17. Jahrhunderts renoviert. In der Barockzeit ließ man den gotischen Turm abreißen und eine Statue des hl. Christoph stürzen. Anstatt dessen entstand eine Barockfassade mit einer Lorettokapelle, und die Kirche wurde der Heiligen Dreifaltigkeit geweiht. Östlich von der Dreifaltigkeitskirche steht ein Glockenturm, ein Renaissancebau aus dem Jahr 1604. Darauf hängt die Glocke "Christoph", die im Jahre 1602 gegossen wurde.