Konjunkturumfrage: Investoren positiv gestimmt – aber Sorgen über Fachkräftemangel

Foto: Stuart Miles, FreeDigitalPhotos.net

In Tschechien brummt die Wirtschaft. Im vergangenen Jahr wuchs sie sogar um 4,3 Prozent. Wie hat dies die Stimmung bei den ausländischen, meist deutschen Investoren beeinflusst? Antworten darauf hat die Deutsch-Tschechische Industrie- und Handelskammer (DTIHK) in ihrer aktuellen Konjunkturumfrage vorgestellt. Im Interview erläutert Christian Rühmkorf, Leiter Öffentlichkeitsarbeit der DTIHK und ehemaliger Radio-Prag-Redakteur, die Ergebnisse.

Christian Rühmkorf  (Foto: Archiv DTIHK)
Christian, die Deutsch-Tschechische Industrie- und Handelskammer hat eine neue Konjunkturumfrage veröffentlicht. Was sind im Groben die Ergebnisse?

„Im Groben gibt es sehr viel Positives bei der Beurteilung der Wirtschaftslage seitens der Investoren, der großen Unternehmen. Die Entwicklung ist ausgezeichnet, und die Aussichten sind stabil-positiv. Der große Pferdefuß betrifft aber den Fachkräftemangel…

Zum Fachkräftemangel möchte ich später noch kommen. Was hat zu dem positiven Teil des Ergebnisses beigetragen?

„Positiv war auf alle Fälle schon, dass 200 Unternehmen auf unsere Umfrage reagiert haben. Das sind 60 mehr als im vergangenen Jahr. Dadurch sind unsere Ergebnisse auch aussagekräftiger. Es handelt sich um Investoren hauptsächlich aus Deutschland, aber auch aus Österreich, und der Anteil tschechischer Unternehmen unter den Teilnehmern ist gewachsen. Zu den einzelnen Ergebnissen: Wir fragen natürlich immer nach der gegenwärtigen Lage und nach den Aussichten. Gerade bei der aktuellen Wirtschaftslage bewegt sich das Land auf sehr hohem Niveau. Bei der positiven Einschätzung erleben wir schon seit mehreren Jahren eine Verdoppelung: 2013 sagten neun Prozent, die Wirtschaftslage sei gut, 2014 waren es 16 Prozent, 2015 dann 29 Prozent, und in diesem Jahr sind es 56 Prozent. Daran kann man sehen, wie sich Tschechien aus der Krisenstimmung des Jahres 2013 befreit hat und nun ein hervorragendes Ergebnis vorliegt. Im Gegenzug halten auch nur vier Prozent der Firmen die aktuelle Wirtschaftslage für schlecht. Es sind Werte, die nur geringfügig unter denen aus dem Frühjahr 2008 liegen, also kurz vor Ausbruch der Krise.“

Wie wirkt sich denn die gute allgemeine Stimmung auf die Aussichten aus?

„Die Investoren schauen mit vorsichtigem Optimismus auf 2016.“

„Das ist eine interessante Frage, wenn die Umfrageergebnisse zur aktuellen Lage ausgesprochen gut sind. Was die Erwartung eines weiteren Wirtschaftsaufschwungs betrifft, lesen wir gute Nachrichten, auch wenn die Unternehmen ein bisschen zurückhaltender sind. Im vergangenen Jahr waren es 33 Prozent, die von einer Verbesserung der Wirtschaftsaussichten ausgegangen sind. Jetzt sind es 34 Prozent. Es herrscht also vorsichtiger Optimismus. Gut jedes zweite Unternehmen erwartet für den Jahresverlauf eine stabile, also gleichbleibende Entwicklung. Zehn Prozent befürchten aber eine Verschlechterung – das ist allerdings etwas mehr als doppelt so viel gegenüber 2015. Da waren es nur vier Prozent, die eine Verschlechterung erwartet haben. Wir sehen: Bei den Aussichten kehrt etwas Normalität ein. Das liegt, wie gesagt, mit Sicherheit daran, dass wir uns schon auf einem sehr hohen Niveau bewegen – dann ist die Steigerungsfähigkeit immer begrenzt. Ein anderer Faktor ist sicherlich die geopolitische Großwetterlage, die insgesamt etwas unsicher ist und wohl auch zu einer leichten Verunsicherung bei den Unternehmen beiträgt. Im Ganzen zeichnet sich im Vergleich zum vergangenen Ausnahmejahr eher stabiles Wachstum ab – und mittelfristig wohl eine Verlangsamung.“

Foto: Stuart Miles,  FreeDigitalPhotos.net
Wie sehen denn die Pläne der Unternehmen beispielsweise bei Investitionen und Beschäftigtenzahlen aus?

„Ein wichtiger Maßstab für die Stimmung in der Wirtschaft sind immer die Investitionsausgaben. Auch da ist das Ergebnis unserer Umfrage sehr erfreulich. Denn 41 Prozent der Unternehmen – und das sind acht Prozentpunkte mehr als im vergangenen Jahr – rechnen mit einer Steigerung ihrer Investitionsausgaben. Das ist unserer Ansicht nach ein wichtiges Signal. Aus den Gesprächen mit unseren Mitgliedsunternehmen wissen wir, dass die Investitionen gerade auch Digitalisierungsmaßnahmen in den Unternehmens-, Kommunikations- und Produktionsstrukturen betreffen. Gerade in diesem Bereich muss sich Tschechien auch gut aufstellen, um in dieser sehr temporeichen Zeit, in der eine Innovation die nächste jagt, ganz vorne mitzuspielen. Das ist also eine gute Nachricht, und die gibt es auch bei den Beschäftigungsprognosen für 2016. Anders als viele befürchten, zeichnet sich gerade im Zuge der Digitalisierung nicht ab, dass die intelligente Maschine den Menschen ersetzt. 44 Prozent der Firmen sagen, sie wollen im Jahresverlauf mehr Mitarbeiter einstellen. Das sind neun Prozentpunkte mehr als 2015. Auch bei den Umsatzerwartungen und dem Exportsatz verhält es sich wie im vergangenen Jahr positiv.“

Wie sieht es mit den Löhnen aus: Werden sie steigen?

„Tschechien glänzt bei der Beurteilung der Zulieferer.“

„Ja. Wir unterteilen bei der Umfrage immer drei Segmente: Lohnsteigerungen von null bis drei Prozent, dann von drei bis acht Prozent und mehr als acht Prozent. In diesem Jahr gibt es im untersten Bereich eine Abnahme, in den anderen beiden Bereichen aber eine Zunahme. Wir haben zwar nicht nach den Lohnerhöhungen gefragt, sondern nach den Arbeitskosten – das heißt, ob die Unternehmen erwarten, dass insgesamt die Arbeitskosten steigen. Da aber in Tschechien von der Politik keine Maßnahmen geplant sind, um den Arbeitgeberanteil wesentlich zu erhöhen, können wir davon ausgehen, dass sich die Umfrageergebnisse tatsächlich in erster Linie auf Lohnerhöhungen seitens der Unternehmen beziehen.“

Foto: Archiv des Regierungsamtes der Tschechischen Republik
Wie steht es laut der Umfrage allgemein um den Standort Tschechien?

„Es gibt eine Reihe sehr guter Faktoren. Das sind Standortqualitäten, die Tschechien seit Jahren hat. Um das kurz zu erwähnen: zum einen die EU-Mitgliedschaft, auch wenn das in Ostmitteleuropa kein Alleinstellungsmerkmal ist. Aber Tschechien glänzt gerade bei der Verfügbarkeit und der Qualität der Zulieferer – und das besonders in der Boombranche der tschechischen Wirtschaft, dem Automotive-Bereich. Zum ersten Mal in der Top Five der guten Faktoren befindet sich auch die Berechenbarkeit der Wirtschaftspolitik. Lesen kann man das als Hinweis darauf, dass die Unternehmen mit der Regierungsarbeit im Groben zufrieden sind und die Stabilität wertschätzen.“

Es gibt in der Umfrage aber auch einen negativen Aspekt…

„Bei der Verfügbarkeit von Fachkräften ist Tschechien im Keller angekommen.“

„Ja, und da besteht tatsächlich ein Riesenproblem. Auf dem allerletzten Platz von insgesamt 21 Faktoren ist die Verfügbarkeit von Fachkräften gelandet. Das ist ein Absturz um sieben Plätze innerhalb eines Jahres. Tiefer geht nicht: Wir sind im Keller angekommen. Das ist unserer Ansicht nach ein ganz eindeutiger Warnschuss seitens der Unternehmen, in dem Sinne: ‚Wenn wir nicht ausreichend Fachkräfte finden, müssen wir über kurz oder lang unsere Investitionsplanungen ändern und den Standort Tschechien meiden‘. Ein Land wie Tschechien, das ein Hightech-Standort ist und diesen Bereich sogar ausbauen möchte, steuert so auf eine dramatische Situation zu. Die Anzeichen sind bei den steigenden Arbeitskosten im hochprozentualen Bereich zu sehen. Denn steigende Gehaltsforderungen seitens der Fachkräfte und mangelnde Verfügbarkeit von Beschäftigten gehen Hand in Hand, beides ist für die Zukunft der tschechischen Wirtschaft ein Riesenproblem.“

Foto: Stuart Miles,  FreeDigitalPhotos.net
Wenn man Tschechien im Vergleich mit anderen mittelosteuropäischen Staaten sieht: Zeigen sich da eher die positiven Aspekte oder die Ängste vor der Entwicklung beim Fachpersonal?

„Man muss natürlich sagen, dass die großen Investoren aus Deutschland hierzulande ihre Investitionsentscheidungen langfristig treffen. Wenn also die Unternehmen jetzt die Verfügbarkeit von Fachkräften auf den letzten Platz verdammen, als den schlechtesten Standortfaktor, dann ist das eine Warnung, ein Signal. Die Unternehmen müssen sehr großes Eigenengagement zeigen, um ihre Stellen besetzen zu können. Das betrifft besonders die Zukunft, noch ist die Situation zu handhaben. Derzeit ist Tschechien im Ostmitteleuropa-Vergleich der Primus – also an erster Stelle vor Polen und der Slowakei. Tschechien hat es damit nach vier Jahren geschafft, sich wieder ganz nach oben vorzuarbeiten und Polen auf Platz zwei zu verdrängen. Diese gute Nachricht bestätigt die positive Lage in Tschechien. Aber nicht nur das: Alle Investoren in Ostmitteleuropa haben ihren Standort Nummer eins bestimmt – und das ist Tschechien.“

Autor: Till Janzer
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