„Kristallkirche“ – Zusammenspiel von Glaskunst und Sakralraum
Die Kirche zur Erhöhung des Heiligen Kreuzes steht seit 1833 in der Gemeinde Kunratice u Cvikova / Kunnersdorf im Norden Böhmens. Vor zwei Jahren begann ihre Verwandlung in eine sogenannte „Kristallkirche“.
Von außen ist die Kirche unauffällig. Teilweise blättert der Putz ab, und der Anstrich ist ausgeblichen. Erst im Innern wird man vom Zauber mannigfaltiger Glasformen, Farben und Lichter ergriffen. Dort befinden sich nämlich mehr als 300 Glasobjekte aus der Werkstatt von Jiří Pačinek. Diese Objekte sind von Flora und Fauna sowie sakralen Motiven inspiriert. Der renommierte tschechische Glasmacher betreibt seit 2015 seine neue Glashütte in Kunratice u Cvikova. Und mit der Zeit sei die Idee der sogenannten „Kristallkirche“ herangereift, erzählt Pačinek:
„Wir haben die Glashütte hier vor acht Jahren eröffnet. Zur Feier wurde unter anderem der Bischof von Litoměřice, Jan Baxant, eingeladen. Beim Mittagessen habe ich ihn angesprochen und zaghaft gefragt, ob es vielleicht möglich wäre, in der Kirche einmal eine Ausstellung zu machen. Er stimmte zu. Dann hatte ich viel anderes zu tun, ich bin zu Ausstellungen in der ganzen Welt gereist. Erst durch Corona – heute kann ich sagen: dank Corona – ist meine Arbeit ins Stocken geraten. Mein Kollege David Sobotka und ich haben überlegt, was wir weiter machen sollen. Damals haben wir mit der Umsetzung der Idee einer ‚Kristallkirche‘ begonnen.“
Zauber der Glasformen, Farben und Lichter
Anfang April vor zwei Jahren hätten sich Pačinek und Sobotka sowie der Pfarrer vor der Kirchentür getroffen und ihre Pläne besprochen, schildert David Sobotka. Er ist Manager der Glashütte:
„Unser Pfarrer, Pater Rudolf Repka, ist sehr offen. Er saugt die Ideen auf, die wir als Künstler und Glasmacher ihm präsentieren, und füllt sie mit geistlichem Inhalt. Oder er gibt selbst Anregungen. Zwischen uns funktioniert es wunderbar.“
Als erstes Werk von Jiří Pačinek wurde ein gläserner Kronleuchter in der Kirche installiert. Der Pfarrer gab ihm sofort den Namen „Dornenkrone“. Pačinek erläutert:
„Es begann mit dem Kronleuchter, danach folgte ein Kristallengel. Später entstanden große gläserne Kreuze, die an den Seiten des Kirchenschiffs platziert sind. Des Weiteren habe ich Wandlampen hergestellt, sie können als Kerzenträger dienen, damit die Kirche so wie früher beleuchtet werden kann. Unser Ziel ist, Glasstücke hier herzubringen, die auch für die nachfolgenden Generationen erhalten bleiben. Ich plane unter anderem, einen gläsernen Christus am Kreuz in Lebensgröße anzufertigen. Sollte dies gelingen, wäre dies mein Meisterstück.“
In der Kirche werden aber auch weitere Glasobjekte von Jiří Pačinek ausgestellt. Sie haben nicht immer einen religiösen Inhalt und dokumentieren den künstlerischen Werdegang des Glasmachers von seinen Anfängen bis heute. Farbige Vasen, Schalen, Tierfiguren und andere Skulpturen, aber auch etwa eine Darstellung des Coronavirus aus Glas sind zu sehen. Zu Weihnachten vergangenen Jahres bekam die Kirche eine neue Krippe mit Glasfiguren.
Reliquiar für Papst Franziskus
Vorne im Presbyterium befindet sich ein Lebensbaum aus Kristallglas. Und oben vor dem Altarbild steht das Reliquiar der heiligen Zdislava. Zdislava wird als Beschützerin der Armen und Kranken verehrt. Sie lebte im 13. Jahrhundert in der Nähe von Kunratice und wurde 1252 etwa zehn Kilometer von dort, in der Basilika in Jablonné v Podještědí / Gabel bestattet. David Sobotka:
„Das Reliquiar hat die Form einer Monstranz aus Kristallglas. Drei Kameen (reliefartige Gravuren, Anm. d. Ted.) unten symbolisieren die Heilige Dreifaltigkeit. Eine Gravierung von Arno Čančík zeigt die heilige Zdislava, wie sie arme Menschen mit Essen beschert. Zwölf Strahlen, die nach oben zeigen, stehen für die zwölf Apostel. Auf der anderen Seite des Schreins sind sieben Strahlen zu sehen. Diese symbolisieren die sieben Gaben des Heiligen Geistes. Und eine Kapsel in der Mitte dient zur Aufbewahrung der Gebeine der heiligen Zdislava.“
Das Reliquiar wurde als Geschenk für Papst Franziskus angefertigt. Die Glaskünstler überreichten dem Pontifex die Monstranz persönlich bei einer Audienz im Vatikan im Herbst vergangenen Jahres. Ein Exemplar befindet sich nun also im Vatikan, ein weiteres in der Pfarrkirche in Cvikov, und das dritte blieb in Kunratice.
In der Kristallkirche zu Gast: Designer Bořek Šípek
Momentan sind in der „Kristallkirche“ aber nicht nur Werke von Jiří Pačinek zu sehen. Eine Ausstellung präsentiert dort bis Ende Mai Glasobjekte des namhaften tschechischen Künstlers und Designers Bořek Šípek (1949-2016). Pačinek und Sobotka haben mit ihm viele Jahre lang zusammengearbeitet. Vasen, Gläser, Porzellan, Kronleuchter und Möbel – insgesamt etwa 150 Stücke – werden gezeigt. Sie würden überwiegend aus dem Besitz der Familie Šípek und von einigen Privatsammlern stammen, sagt David Sobotka. Er macht unter anderem auf drei große Vasen aufmerksam, die Šípek in den 1990er Jahren für den Privatsitz des Mode-Kaisers Karl Lagerfeld in Hamburg geschaffen hat. Und er weist auch auf das seiner Meinung nach schönste Stück der Ausstellung hin:
„Es ist die sogenannte ‚ungreifbare Vase‘ (Neuchopitelná váza, Anm. d. Red.). Sie wurde von Václav Havel für Šípek entworfen und soll die Dornen von Heckenrosen darstellen, aber gewissermaßen auch Stacheldraht. Symbolisch wird damit auf das dornige und von Verfolgung geprägte Leben von Václav Havel hingewiesen.“
Eine andere Vase wurde hingegen von Šípek für Václav Havel entworfen. Sie heißt Millenium. Sobotka erklärt die Hauptidee des Werkes:
„Auf den Trümmern des alten Jahrtausends, das in Fragmenten zusammenbricht, wird ein neues Jahrtausend in der blauen Farbe der Hoffnung geboren. Dazu gibt es auch ein schönen Brief von Václav Havel, den ich nun vorlese: ‚Lieber Bořek, ich danke Dir sehr für die Vase, die der anstehenden Jahrtausendwende gewidmet ist. Ja, es scheint wirklich, als ob unsere Zivilisation in große Scherben und Drohungen zerfallen würde. Als ob die Jahrtausendwende eine Aufforderung für uns sei und für diejenigen, die nach uns kommen, eine neue Hoffnung für die Menschheit zu finden. Es grüßt Václav Havel.“
Kunraticer Schatz: Heiliges Gab aus Glasperlen-Mosaik
Als der nordböhmische Glaskünstler Jiří Pačinek vor zwei Jahren seine ersten Werke dort ausstellte, hatte er keine Ahnung, dass sich in dem Gotteshaus bereits ein anderes, etwa 150 Jahre altes Glaskunstwerk befand. Nämlich das Heilige Grab aus Glasperlen-Mosaik. Es besteht aus einem Kasten, in dem das Felsengrab mit dem Leichnam Christi aus Pappmaché nachgebildet ist, sowie einem Mosaik-Bild, das auf dem Kasten steht. Das Bild habe Pfarrer Rudolf Repka erst vor einem Jahr zufällig entdeckt, wie David Sobotka erzählt:
„Wir stehen jetzt vor dem Kunraticer Schatz. Heute lässt sich das komplette Werk besichtigen. Der untere Teil mit dem Felsengrab Christi war schon früher bekannt. Er stand hinten in der Kirche, war mit einem Tuch bedeckt und diente als Sockel für eine Pietà. Pater Rudolf hat mir einmal das Glasmosaik gezeigt, das unter dem Tuch verborgen war. Vor einem Jahr, kurz vor Ostern, rief er mich dann an und sagte, er habe wahrscheinlich den oberen Teil des Heiligen Grabes gefunden. Im Dunklen, unter der Treppe zum Chor, habe er eine Kiste gefunden. Er glaubte, sie diene zur Aufbewahrung von Gemälden. Durch ein kleines Fensterchen habe er hineingeleuchtet, und es war wie ein Wunder.“
Der Pfarrer hatte das Glasmosaik-Bild entdeckt. Ein Kreuz und zwei kniende Engel sind dort dargestellt. Erst wenn man die Glasperlen von hinten anleuchtet, sieht man die Szene in ihrer vollen Pracht. Sobotka fährt fort:
„Wir haben keine Ahnung, wer das Bild unter der Treppe versteckt hat. Ob es Deutsche waren, die nach dem Zweiten Weltkrieg den Ort verlassen mussten, oder jemand anderes. In der Gemeindechronik steht nur ein kurzer Bericht dazu: Um 1890 habe man das Heilige Grab aus einer Spendensammlung der Pfarrleute mittels eines Wiener Kunsthändlers erworben. Der Kaufbetrag habe bei 270 Gulden gelegen.“
David Sobotka erläutert den Hintergrund des prunkvollen Glasmosaik-Werkes:
„Laut einer Bachelor-Arbeit zum Thema handelt es sich um eines der zehn bekannten Heiligen Gräber dieser Art hierzulande. Außerdem soll es zwei Exemplare in der Slowakei, vier in Österreich und weitere sechs in Deutschland geben. 1855 wurde in Olmütz die Firma Zbitek und Söhne gegründet. Sie produzierte liturgische Gegenstände, und darunter auch diese durchscheinenden Bilder.“
Das Bild besteht aus etwa 3000 farbigen Glasperlen. Es sei in einem hervorragenden Zustand vorgefunden worden, sagt der Glasmacher:
„Wir haben es nur mit einem Wedel entstaubt. Sie können selbst sehen, dass keine einzige Perle fehlt oder gebrochen ist.“
Die Nachbildungen des Heiligen Grabes werden normalerweise in der Karwoche in den Kirchen aufgestellt. Das Mosaik-Werk in der „Kristallkirche“ von Kunratice sei jedoch das ganze Jahr über zu sehen, betont Sobotka.
„Wir fanden es schade, das Mosaik irgendwohin wegzuschließen. Es handelt sich um ein hervorragendes Kunstwerk, das mit den Objekten, die wir hier haben, im Einklang steht. Ich finde, der Eindruck ist fantastisch.“
Der „Kristallkirche“ ist nicht das einzige, was man in Kunratice u Cvikova besichtigen kann. Besucher sind auch in der der Glashütte sowie im „Gläsernen Garten“, einer Galerie im Freien, herzlich willkommen.