Kunst ohne Grenzen: Gotik und Renaissance im Erzgebirge
Altarbilder, Madonnenskulpturen, Grabmale, aber auch Buchillustrationen und Werke der Goldschmiedekunst. Etwa 200 Werke zeigt die Ausstellung mit dem Titel „Ohne Grenzen. Die Kunst im Erzgebirge zwischen Gotik und Renaissance“. Es handelt sich um die Kunst Nordwestböhmens aus der Zeit zwischen 1250 und 1550. Zu sehen ist die Ausstellung in den Ausstellungsräumen der Nationalgalerie auf der Kleinseite in Prag.
„Die Ausstellung zeigt einerseits den früheren kulturellen Reichtum der Region und der dortigen Städte. Und andererseits präsentiert sie Werke, die vor allem in Sachsen entstanden sind und von dort importiert wurden. Die bedeutendsten Künstler waren Lucas Cranach der Ältere, Peter Breuer und Hans Witten, der auch als Meister HW bezeichnet wird. Sie und ihre Werkstätten lieferten Kunst auch in die Gegend am Fuße des Erzgebirges.“
Der Kunstaustausch erfolgte aber ebenso in die andere Richtung:„Umgekehrt können wir für die Zeit der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, also für die Ära des sogenannten Schönen Stils belegen, dass aus dem Königreich Böhmen, aus lokalen Werkstätten in Nordwestböhmen, Werke auf die deutsche Seite des Erzgebirges geliefert wurden.“
Der Symbolik des Titels entspricht auch das Konzept der Ausstellung. Der Besucher kann einen der beiden Handelswege wählen, die einst das Königreich Böhmen und das Fürstentum Sachsen miteinander verbunden haben. Der eine folgte der Elbe entlang nach Dresden, der andere führte über das Erzgebirge nach Freiberg.
Madonna von Brüx – zentrales Motiv der Ausstellung
Gleich beim Betreten stößt man auf das Bild, das auch als zentrales Motiv der ganzen Ausstellung gilt: zwei betende Figuren eines bürgerlichen Ehepaars aus der Königsstadt Brüx, auf Tschechisch Most:„Es handelt sich um die Madonna von Brüx aus dem Jahr 1538. Es ist ein Votivtafelbild – das heißt, dass seine Anschaffung mit der Bitte um das Heil für die eigene Seele verbunden war, in diesem Fall für die Seelen des dargestellten Ehepaars. Wer der Mann und die Frau waren, ist uns leider nicht bekannt. Wir haben sie anhand der Quellen leider bislang nicht identifizieren können, obwohl wir ihre Initialen kennen. Das Tafelbild entstand im Atelier des Meisters IW, der einer der bedeutendsten Nachfolger von Lucas Cranach war. Der Meister IW war in Nordwestböhmen tätig, höchstwahrscheinlich hatte er seine Werkstatt in Leitmeritz (tschechisch Litoměřice, Anm. d. Red.). Dort dürften die Aufträge für die gesamte Erzgebirgsregion entstanden sein – und auch eben für die Kirche Mariä Himmelfahrt in Brüx.“
Auf dem Tafelbild dargestellt sind die Jungfrau Maria mit dem Christkind und sechs Medaillons mit Motiven aus dem Leben Marias. Außerdem hält die abgebildete Frau einen roten Rosenkranz in ihrer Hand.
„Zu dieser Zeit war die Gesellschaft bereits konfessionell gespalten. Der Rosenkranz drückt also eindeutig die Zugehörigkeit der Frau zum katholischen Glauben aus.“
Marmor-Grabmal des Johannes von Lobkowitz und auf Hassistein – zum ersten Mal in Prag
Im Herzen der Ausstellung werden zwei damals sehr reiche Orte präsentiert. Das eine ist die zunächst königliche Stadt Kadaň / Kaaden, die in der Mitte des 15. Jahrhunderts an die Familie Lobkowitz verpachtet wurde. Aus dieser Zeit stammt eine große Zahl von Kunstwerken, die für die Stadt und für das Franziskanerkloster der Vierzehn Nothelfer geschaffen wurden.„Ein außerordentliches Artefakt ist das Grabmal des Johannes von Lobkowitz und auf Hassistein. Die Marmor-Platte wiegt zwei Tonnen. Sie wurde 1517 von Ulrich Creutz angefertigt. Johannes von Lobkowitz und auf Hassistein war einer der führenden Diplomaten am Hof von Wladislaw Jagello. Er unternahm auch eine Reise in das Heilige Land. Die Form seines Grabmals spiegelt seine geistige Einstellung wider. Er ließ sich selbst als ein Skelett, als einen verfaulenden Körper darstellen, den Schlangen umringen. Damit sollte die Vergänglichkeit des diesseitigen Lebens ausgedrückt werden.“
Für die Ausstellung in Prag wurde das Grabmal überhaupt erstmals aus Kadaň wegtransportiert. Gegenpol zum monumentalen Bildhauerwerk ist die kleine Skulptur der Madonna aus Květnov / Quinau bei Chomutov / Komotau. Sie wurde vom Leitmeritzer Bistum ausgeliehen. Die Maria in Erwartung mit einem kleinen segnenden Jesus im Mutterleib wird als Königin des Erzgebirges bezeichnet.Außer dem Franziskaner-Kloster in Kadaň war das Zisterzienser-Kloster in Osek / Ossekein wichtiges geistliches Zentrum der Region. Von dort wird zum Beispiel eine Jungfrau-Skulptur aus Stein aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts gezeigt.
Der Elbe entlang…
Auf dem Elbe-Weg kommt man nach Ústí nad Labem / Aussig. Eine Erwähnung verdient unter anderem der Altar mit der Darstellung von Mariä Heimsuchung aus der Aussiger Hauptkirche Mariä Himmelfahrt. Er wurde im Auftrag des Stadtrats um das Jahr 1500 von Meister Stephan geschaffen.
„Meister Stephan war weder ein erstklassiger Bildhauer, noch ein erstklassiger Maler – das können die Besucher auch selbst erkennen. Seine Bedeutung lag aber darin, dass er einer der höchsten Stadträte und für eine bestimmte Zeit auch der Bürgermeister von Aussig war. Dies ist für uns sehr interessant: Dieser Meister Stephan, der wahrscheinlich keine künstlerische Ausbildung hatte, versorgte mit seinen Werken nicht nur die Region um Aussig, sondern auch die von Leitmeritz und Teplitz. Bis heute sind mindestens fünf Altaraufsätze von ihm erhalten geblieben, das ist für das Mittelalter eine sehr hohe Zahl. Man kann sagen, dass er eine sehr produktive und erfolgreiche Werkstatt hatte – zweifelsohne auch dank seiner gesellschaftlichen Stellung.“Aus dem Hauptsaal der Galerie kommt man in einen kleineren Saal, in dem Werke des Kunstgewerbes ausgestellt sind. Unter ihnen fallen insbesondere große Gesangbücher und prachtvolle Monstranzen auf.
Kunst aus den Bergbauzentren im Erzgebirge
Ein Gang die Treppe hoch führt einen im übertragenen Sinne bergauf: in die bedeutenden Zentren des Bergbaus im Erzgebirge. Dort ist Kunst versammelt, die im Zusammenhang mit der Förderung von Silber und anderen Metallen seit dem Ende des 15. Jahrhunderts in Freiberg, Annaberg, Krupka / Graupen und Jáchymov / Joachimsthal entstanden ist:
„Joachimsthal wurde erst im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts gegründet. 1516 wurde dort eine sehr starke Silberader gefunden. Bis 1520, als Joachimstal den Status einer Stadt erhielt, stieg die Einwohnerzahl auf 4000 Menschen. Mit Joachimstal verbunden ist die Adelsfamilie Schlick. Zunächst war es eine Bürgerfamilie aus Cheb / Eger, sie wurde im 15. Jahrhundert aber geadelt und häufte durch den Bergbau im Erzgebirge einen unglaublichen Reichtum an. Das wichtigste Exponat ist ein Altar aus dem Umkreis von Lucas Cranach dem Älteren, der normalerweise in der Allerheiligen-Kirche zu sehen ist.“ Soweit die Kunsthistorikerin Michaela Ottová von der Nationalgalerie in Prag. Unter ihrer Leitung haben Experten von der Purkyně-Universität in Ústí nad Labem und der Karlsuniversität in Prag fünfzehn Jahre lang geforscht. Die Ausstellung sowie ein wissenschaftlicher Katalog sind ein Resultat ihrer Forschung. Die Experten haben damit an die Arbeit des Prager deutschen Kunsthistorikers Josef Opitz angeknüpft, er gilt als Entdecker von Kunstschätzen der Gotik und Renaissance in Nordwestböhmen. 1928 stellte er die erste Ausstellung mit Kunstwerken dieser Region zusammen.Die Ausstellung „Ohne Grenzen: Kunst der Gotik und Renaissance im Erzgebirge“ ist täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Sie ist in der Waldschrein-Reitschule auf der Kleinseite in Prag noch bis März zu sehen. Danach werden etwa 50 der Kunstwerke in Chemnitz gezeigt, und zwar in Verbindung mit Werken sächsischer Kunst.